Zusammenfassung
Selbstwirksamkeit wird im vorliegenden Beitrag als Schlüsselfaktor für die Bewältigung des Übergangs in die Grundschule, als Eintritt in die formale Bildung und für weitere Lernprozesse betrachtet. Mit der zugrunde liegenden qualitativ-längsschnittlichen Interviewstudie werden Ergebnisse zur Perspektive von befragten Vor- und Grundschulkindern auf ihre Selbstwirksamkeitserfahrungen vorgelegt, die Hinweise für die Förderung der Selbstwirksamkeitsentwicklung in der pädagogischen Praxis im Sinn eines Mastery-Klimas liefern. Hier erweisen sich Spielsituationen ohne Beteiligung Erwachsener als zentral für die Selbstwirksamkeit von Kindern. Darüber hinaus zeigt die Studie Reflexionspotential hinsichtlich des Konzepts der generationalen Ordnung in der Kindheitsforschung auf.
Abstract
This paper discusses self-efficacy as a key factor for the coping of the transition into primary school which grants admission to formal education and further learning processes. The underlying qualitative, longitudinal interview study submits results regarding the perspective of interviewed preschool and primary school children on their self-efficacy experiences which permit reference to the support of the development of self-efficacy within pedagogical practice based on mastery-climate. In this context, play situations that adults are not involved in turn out to have a main impact on the development of a child’s self-efficacy. Furthermore, the study provides reflective potential of the concept of generational order in childhood studies.
Notes
Das Erleben von Kompetenz und Wirksamkeit, von Autonomie und von sozialer Eingebundenheit lässt sich als Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse fassen, die auch in der Selbstbestimmungstheorie als wesentliche Informationsquellen für die Entwicklung von Motivation betrachtet werden (Deci und Ryan 1985). Dementsprechend ist eine inhaltliche Nähe beider theoretischen Motivationstheorien festzustellen (Krapp und Ryan 2002).
Das Bedürfnis nach Mitbestimmung könnte möglicherweise für Kinder im Grundschulalter vor dem Hintergrund des bestehenden hierarchischen generational geordneten Verhältnisses zwischen ihnen und Erwachsenen äquivalent zum Bedürfnis nach Selbstbestimmung betrachtet werden. Hierzu liefert die dem Beitrag zugrunde liegende Studie erste Hinweise.
Zum ersten Erhebungszeitpunkt nahmen 23 Kinder teil. Nach dem Umzug eines Mädchens in der Sommerferienzeit nahmen 22 Kinder zu beiden Erhebungszeitpunkten teil.
Zur Wahrung der Anonymität werden der statistische Report sowie die pädagogischen Konzeptionen der beteiligten Kindertageseinrichtungen und Grundschulen nicht angegeben. Aufgrund des Längsschnitts wurden zum zweiten Erhebungszeitpunkt die Grundschulen dann durch das Elternschulwahlverhalten bestimmt.
Da sich die Erhebungen sowohl zu t1 als auch zu t2 von März bis Juli 2013 bzw. September bis November 2013 erstreckten (s. unten), wird hier zur Bestimmung des ersten und zweiten Erhebungszeitpunkts das jeweilige Mittel genutzt. Dementsprechend wird Mai 2013 als t1 und Oktober 2013 als t2 festgelegt.
Da in NRW zum Zeitpunkt der Untersuchung nur in besonderen Ausnahmefällen vor dem Ende der Schuleingangsphase Verfahren zur Überprüfung eines möglichen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs eingeleitet wurden, liegen keine Überprüfungsunterlagen für die Kinder vor. Die Aussagen der Erzieherinnen und Erzieher beruhen auf eigenen einrichtungsinternen Beobachtungsverfahren.
Die eingesetzte Selbstwirksamkeitsskala ist angelehnt an gängige Skalen, wie sie Bandura (2006) für Kinder von ca. zehn bis 12 Jahren vorschlägt oder in der World Vision Studie (2010) für Kinder von ca. fünf bis zwölf Jahren eingesetzt wurde, und in ihrem Wortlaut an die Untersuchungsgruppe der fünf- bis siebenjährigen Kinder angepasst. Insgesamt umfasst sie 24 Items, die in zwei Blöcken in einem face-to-face-Format vorgelesen wurden. Die Kinder konnten die vorgelesenen Aussagen verbal oder nonverbal über das Hüpfen auf Markierungen am Boden beantworten. Die Befragungen wurden zur Sicherung der verbalen und nonverbalen Aussagen der Kinder mit einer Videokamera aufgenommen. Sie dauerten zwischen zehn und 20 min.
Die Handlungsaufforderung war: „Fotografiere das, was du hier in der Kindertageseinrichtung/Schule besonders gut kannst und was du (mit)bestimmen kannst“. Die teilnehmenden Kinder nutzen jeweils zu zweit (aus organisatorischen Gründen vereinzelt auch alleine) eine Kamera mit 24 Aufnahmen.
Die Interviews wurden ebenfalls mit einer Videokamera aufgenommen, um die verbalen sowie nonverbalen Aussagen der befragten Kinder zu sichern. Sie dauerten zwischen 15 und 52 min.
Eine Besonderheit ergab sich aufgrund des analogen Fotomaterials: Im Interview sahen die befragten Kinder die Fotografien zum ersten Mal, sodass sie zunächst die Gelegenheit hatten, diese genau zu betrachten. Es wurden immer alle Aufnahmen einer Kamera ausgelegt. Diese Situation löste in nahezu allen Interviews erste Gespräche über die Motive aus (z. B. aufgrund der Kameranutzung zu zweit über die Urheberschaft der jeweiligen Aufnahmen).
Alle Namen der Kinder sind pseudonymisiert.
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Velten, K. HandlungsSpielRäume – Selbstwirksamkeitserfahrungen von Kindern in Kindertageseinrichtung und Grundschule. ZfG 12, 165–179 (2019). https://doi.org/10.1007/s42278-019-00045-8
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