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Die „metaphysische Pathologie“ des Juden

Erkenntnistheoretische Dimensionen eines religiösen Rassismus um 1920

  • Chapter
Lebendige Sozialgeschichte
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Zusammenfassung

In Thorn sollte sich eine folgenreiche Wende in Hans Blühers (1888–1955) Leben ereignen. Bisher hatte sich der in Berlin lebende Schriftsteller vor allem für homoerotische Formen des Männerbundes interessiert und die junge Wandervogelbewegung in diesem Sinne gedeutet, was ihn ebenso populär wie umstritten gemacht hatte. Obwohl er weder Mediziner noch Naturwissenschaftler war, hatte er sich Anerkennung in sexualwissenschaftlichen und psychoanalytischen Fachkreisen erworben. Während des Krieges wurden seine Schriften zunehmend pessimistischer und wissenschaftskritischer. 1916 warb er für die Erneuerung der platonischen Akademie durch einen Zusammenschluss aller „wahrhaft Geistigen“ gegen die Intellektuellen und hatte 1917 großen Erfolg mit seiner Monographie über Die Rolle der Erotik im männlichen Staat. Sein Antifeminismus der Kaiserreichszeit wurde in der Weimarer Republik von einem starken Antisemitismus überlagert.

„Es war im Oktober 1918. Deutschland ging seinen dunkelsten Tagen entgegen, und wir ahnten noch nicht, welche Finsternis über uns hereinbrechen würde [...]. Wir zitterten alle heimlich um das Los unseres Vaterlandes [...]. Da bekam ich gerade so, als ob wir im Paradiese lebten, eines Tages eine Einladung der sogenannten Thorner Landsgemeinde für eine Tagung mir zu Ehren. [...] Ich stand damals, sowohl durch meine Geschichte des Wandervogels wie durch die Rolle der Erotik auf der Höhe meines Ruhmes. Alle Welt las meine Schriften, und ihr Resonanzgeheimnis wirkte kräfteauslösend auf die aufständische Jugend ein, teils sie entflammend, teils sie bändigend. [...] So fuhr ich denn nach Thorn.“ (WuT, 427).

„Aber ich habe doch eben allmählich feststellen können, was in diesen Leuten, die vorwiegend Israeli-ten sind, eigentlich vor sich geht. Es ist eine pathologische Störung metaphysischer Art.“ Hans Blüher: Werke und Tage. Geschichte eines Denkers. München 1953, 94 (im Folgenden als „WuT“ zitiert).

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Literatur

  1. In dieser Schrift kritisiert Blüher in nietzscheanischem Gestus christliche Religion und vor allem ihre kirchlichen Vertreter und deutet Schopenhauers Philosophie im Sinne eines pessimistischen indischen Brahmanismus. Hans Blüher: Die Theorie der Religionen und ihres Untergangs. Preisschrift der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin über die Grundlage der Religionen, betrachtet in der Optik der schopenhauerschen Metaphysik. Nicht gekrönt von der theologischen Fakultät. Berlin-Tempelhof 1912. Blüher zog seinen Erstling kurz nach dessen Erscheinen aus dem Buchhandel zurück.

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  2. Blüher muss irgendwann aus der evangelischen Kirche ausgetreten sein, denn laut einem Dokument aus dem Nachlass wird ihm von der evangelischen Landeskirche Preußens sein Wiedereintritt ab dem 7.12.1934 bescheinigt; Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz (SBBPK), Nachlass (NL)

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  3. Hans Blüher, K 1, Mappe 1. Die Kirche habe „fast ausnahmslos die großen religiösen Naturen unterdrückt und blieb selber ewig unproduktiv“, hieß es dort. Hans Blüher: Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen. Ein Beitrag zur Erkenntnis der sexuellen Inversion. Mit einem Vorwort von Dr. med. Magnus

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  4. Hirschfeld und einem Nachwort von Hans Blüher. Berlin 1912, 120f. Rainer Lächele: Protestantismus und völkische Religion im deutschen Kaiserreich. In: Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918. Hg. von Uwe Puschner, Walter Schmitz und Justus H. Ulbricht.

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  5. München-New Providence-London-Paris 1996, 149–163, 150f. Zwischen 1906 und 1914 gab es erstmals eine organisierte Kirchenaustrittsbewegung. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stiegen die Zahlen der Kirchenaustritte in einem bis dahin nicht gekannten Maß an; vgl. Rainer Hering: Säkularisierung, Entkirchlichung, Dechristianisierung und Formen der Rechristianisierung bzw. Resakralisierung in Deutschland. In: Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe „arteigener“ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Hg. von Stefanie von Schnurbein und Justus H. Ulbricht. Würzburg 2001, 120–164, 132–140.

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  6. Ebd., 123; Ulrich Linse: Säkularisierung oder neue Religiosität? Zur religiösen Situation in Deutschland um 1900. In: Recherches Germaniques 17 (1997), 117–141, 118.

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  7. Ebd., 119. Linse hebt hervor, dass die Säkularisierungsthese zunächst vielmehr die „theologische Auslegung einer als Symptom einer,Kulturkrise‘ wahrgenommenen statistischen Beobachtung und deren nachträgliche kultursoziologische Verwissenschaftlichung’ im Umfeld des sogenannten,Kulrur-protestantismus‘ um 1900“ war. Vgl. Justus H. Ulbricht: Religion und Spiritualität. In: Handbuch der deutschen Reformbewegungen. Hg. von Diethart Kerbs und Jürgen Reulecke. Wuppertal 1998, 495–498, 496.

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  8. Linse (Anm. 6), 117.

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  9. Ulbricht: Religion und Spiritualität (Anm. 7), 495; Olaf Blaschke / Frank-Michael Kulemann: Religion in Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus. In: Dies. (Hg.): Religion im Kaiserreich. Milieus — Mentalitäten — Krisen (Religiöse Kulturen der Moderne 2). Gütersloh 1996, 7–56, 9.

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  10. Jochen-Christoph Kaiser: Erneuerungsbewegungen im Protestantismus. In: Handbuch der deutschen Reformbewegungen (Anm. 7), 581–594; Inka Bertz: Jüdische Renaissance. In: Ebd., 551–564; Michael Klöcker: Erneuerungsbewegungen im römischen Katholizismus. In: Ebd., 565–580.

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  11. Linse (Anm. 6), 120. Viele dieser Bewegungen waren antimodern und in ihren Wirkungen ambivalent. Tatsächliche Modernisierung von einer Revitalisierung der Tradition gegen einen angeblich „säkularen“ Zeitgeist trennen zu wollen erscheint nicht viel versprechend. Auch Schieder konstatiert, das 19. Jahrhundert sei „keineswegs durch einen so dramatischen Verlust an Religiosität“ gekennzeichnet, sondern eher durch eine „Steigerung außerkirchlicher Religiosität“. Wolfgang Schieder: Sozialgeschichte der Religion im 19. Jahrhundert. Bemerkungen zur Forschungslage. In: Ders.: Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1993, 18.

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  12. Linse (Anm. 6), 122–129.

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  13. Richard Heinrich Grützmacher: Kritiker und Neuschöpfer der Religion im zwanzigsten Jahrhundert. Keyserling, L. Ziegler, Blüher, Chamberlain, Steiner, Scholz, Scheler, Hauck. Leipzig-Erlangen 1921, 3.

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  14. Richard Heinrich Grützmacher: Kritiker und Neuschöpfer der Religion im zwanzigsten Jahrhundert. Ebd., 44.

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  15. SBBPK, NL Blüher, K 13, Mappe „Kritische Stimmen“, Hans Feigl: Entdeckung der Erotik. Ein Vortrag Hans Blühers. In: Neues Wiener Tageblatt, 17.1.1923, 5; ebd., weiße Mappe, Erich Hepner: Das Wiedererwachen der Mystik (Eine kritische Betrachtung über Hans Blühers régente Schriften). Masch. Ms. o.O., 5 Seiten.

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  16. Houston Stewart Chamberlains Schriften lieferten nach Blühers Ansicht ein solches Beispiel für die Verbürgerlichung der Christusgestalt. Dessen (antisemitische) Haltung in der „Judenfrage“ sei dennoch „verdienstvoll“. Hans Blüher: Die Aristie des Jesus von Nazareth. Philosophische Grundlegung der Lehre und der Erscheinung Christi. Prien 1922 (erstmals 1921), 115 (im Folgenden als „AJN“ zitiert).

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  17. Claudia Bruns: Homosexualität als virile Sozialität. Sexualwissenschaftliche, antifeministische und antisemitische Strategien hegemonialer Männlichkeit im Diskurs der Maskulinisten 1880–1920. In: Jenseits der Geschlechtergrenzen. Sexualitäten, Identitäten und Körper in Perspektiven von Queer

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  18. Studies. Hg. von Ulf Heidel, Stefan Micheler und Elisabeth Tuider. Hamburg 2001, 87–108, 100–107. „[...] [D]ie besten Beschreibungen der äußeren Verläufe durch die Naturwissenschaft [bleiben] völlig dunkel und können nur erhellt werden durch die verschwiegene und unaussprechliche Rück-verbindung (religio), die der Forscher mit seinem inneren Sein zu den Dingen hat, die er erforscht.“

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  19. (AJN,55f). Blühers Entlassung von der Universität erfolgte 1916 und hatte mit dessen offener Kritik an Ulrich von Wilamowitz’ Nietzsche-Deutung zu tun. Ulrich von Wilamowitz-MoellendorfT (1848–1931), der bedeutende Altphilologe, war damals Rektor der Berliner Universität. Blüher hatte mit einer Streitschrift für die Philosophie Nietzsches gegen Wilamowitz Partei ergriffen und diesen darin persönlich beleidigt; Hans Blüher: Ulrich von Wilamowitz und der deutsche Geist 1871/1915. Berlin 1916.

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  20. ,,[D]enn was immer auch die anderen Tierarten unternehmen mögen, wenn sie ihre Nester bauen und ihre Höhlen graben. Es gerät alles wohl, [...] nur beim Menschen sitzt und stimmt es nicht, er hat mit einer fortwährenden Fehlleistung zu kämpfen, mit dauernden Durchbrechungen und Verkrampfungen; sein ganzes Leben steht unter dem Gesetze der Hamarita, wie das Neue Testament tiefsinnig sagt. [...] Sollte hier ein Missgriff der Natur im Typus anthropos vorliegen, [...] solange nicht der Menschensohn [...] kommt?“ (AJN, 12). „Worum es denn eigentlich letzten Endes geht? Was es mit dieser Menschheit auf sich hat und worauf sie zusteuert? Die Antwort kann nur lauten: es handelt sich um den verlorenen Posten der Menschheit [...].“ (AJN, 19).

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  21. Blüher konstatiert: „[Der Mensch ist] das grausamste und bei weitem mißratenste aller Geschöpfe. Er ist in zwei Rassen gespalten, die sich mißverstehen und auseinanderklaffen, und die besten Exemplare des ganzen Typus verfallen der Melancholie [...].“ (AJN, 183).

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  22. So heißt es bei Blüher: „Das männliche Tier hält das Primat seiner dominierenden männlichen Substanz fest und siegreich aufrecht und ebenso das weibliche. Es ist daher jedes Tier, einschließlich des Menschen, stets ganz eindeutig entweder Mann oder Weib und keines zweifelt daran. Die Indifferenzzone ist ganz außerordentlich schmal.“ (AJN, 40 [Hervorhebung im Original]). Eine Vermischung der Geschlechter, wie sie etwa der Hermaphrodit zeige, wird überwiegend als „Missgeburt“ beschrieben (AJN, 40). Dennoch bleibt — jetzt in der Gestalt Christi aufgehoben — eine Idee der Überschreitung rigider Geschlechtergrenzen präsent, wenn auch verschoben in das „Reich“, ein inwendiges oder jenseitiges Utopia: „Über dem Reiche des organischen Lebens und bereits in ihm beim Menschen angedeutet, liegt das Reich des äonischen Lebens, und dieses beginnt mit dem Hermaphroditen.

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  23. Das hat auch Christus geahnt [...].“ (AJN, 41). „Während die weiblichen Substanzmerkmale des Mannes (und umgekehrt) in der übergroßen Zahl der Fälle rudimentär sind, ist diese Rudimentarisierung der Rassenmerkmale nicht geglückt, sondern der mit überwiegend primären Anzeichen ausgestattete Mensch hat heftig mit dem Eindringen der sekundären zu kämpfen [...].“ (AJN, 42).

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  24. „So scharf man also die Grenze ziehen kann, welche die primären und die sekundären Rassenmerkmale gegeneinander haben, so scharf es also in dem Kulturgebiete dieser beiden Rassen zugeht, so verwaschen und unklar steht es mit ihrem biologischen Befunde.“ (AJN, 52). Der Rassebegriff war tatsächlich äußerst schillernd. Selbst in den rassenhygienischen Instituten des Kaiserreichs und der beginnenden Weimarer Republik war er nicht eindeutig definiert und überschnitt sich vielfach mit völkischem Rasseverständnis. Vgl. Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Hg. von Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz. Frankfurt/Main 1996, 91–103, 230–232.

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  25. Nach „Jahrhunderten der Trübung“ der ursprünglichen „Zweirassigkeit“ sei es zwar schwer, aber nicht unmöglich, diese wieder einzuführen: „So schwierig es heute noch ist, im exakten biologischen Sinne die beiden Rassen zu entwirren — es ist schon zu viel Vermischung geschehen — so völlig eindeutig und klar heben sie sich ab, wenn man ihr Wesen auf die geistigen Inhalte projiziert.“ (AJN, 40, [meine Hervorhebungen, C.B.]). Hier konnte Blüher (wie Hitler) auf die Thesen des französischen Grafen Joseph Arthur de Gobineau (1816–1882) zurückgreifen, der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem „Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen“ in Erscheinung getreten war. Um die Jahrhundertwende ins Deutsche übersetzt, erschien das vierbändige Werk 1922 in vierter Auflage. Gobineau betonte die Ungleichheit der Menschen und vertrat die Auffassung, die „Rassen-Vermischung“ müsse unvermeidlich zum tödlichen Niedergang der höheren „Rassen“ und damit auch des „Adels“ fuhren; vgl. Johannes Zerger: Was ist Rassismus? Eine Einfuhrung. Göttingen 1997, 36–39.

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  26. Blüher beklagte das Fehlen fester Grenzen, eine aus den Fugen geratene Situation, eine extrem flexibi-Iisierte Normalität, die jegliche Unterscheidungsmöglichkeit zum „Unnormalen“ verloren zu haben schien: „Die unglückliche Lage der Menschheit ist ja eben darin zu suchen, dass jene scharfe Trennung [der Rassen, C.B.] sich in ihr nicht vollzogen hat, und wir begegnen daher fortwährend Zwischengewächsen und haltlosen Irrwandlern, die weder ganz zur einen noch ganz zur andern gehören.“ (AJN, 52). Vgl. Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Op-laden 1996.

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  27. „Kultur oder die Reproduktion der Natur durch die primäre Rasse eines Volkes ist die geheime Erlösungslehre fur ein Volk.“ (AJN, 15).

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  28. Vgl. dazu: Philippe Lacoue-Labarthe: Die Fiktion des Politischen. Heidegger, die Kunst und die Politik. Stuttgart 1990, 129–138.

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  29. In der aristotelischen Tradition des abstrakten Denkens wurde das Sehen als höchster Sinn bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Sinnen wie dem Hören, Riechen oder Tasten verlangte das Betrachten eine Distanz vom betrachteten Objekt und stand der Rationalität am nächsten. Der Tastsinn hingegen galt als der niedrigste, weil er auf Lust und Eros verwies. Christina von Braun: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht. Zürich 2001, 26f, 215f.

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  30. Ebd., 27 (Hervorhebung im Original).

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  31. Betrachten wurde zunehmend als männlich wahrgenommen, während das Betrachtet-Werden als weiblich galt. Dies prägte auch noch die Geschlechterkonstruktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts. So beschreibt (nicht nur) Blüher den Eros der Frau als „hörig“, während der Mann die Fähigkeit zur erkennenden und schöpferischen „Schau“ wie auch zum Führertum besitze; Hans Blüher: Familie und Männerbund. Leipzig 1918, 35, 83–85;

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  32. Philipp Sarasin / Jakob Tanner: Physiologie und industrielle Gesellschaft. Bemerkungen zum Konzept und zu den Beiträgen dieses Sammelbandes. In: Dies. (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. Und 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1998, 12–43, 18f.

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  33. Im Austausch zwischen verschiedenen Diskursfeldern blieb der Sinn der rassisch-visuellen Metaphern allerdings nicht stabil. Die Übernahme von Konzepten und Ideen von einem Diskurs in einen anderen funktioniert nicht als vollständig rationales Kalkül; vgl. Sarasin / Tanner (Anm. 31), 32f.

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  34. Das heißt auch, dass eine Körpererfahrung immer schon kulturell vermittelt ist und in einem vorgängigen Sinne nicht „authentisch“ sein kann. Der Körper wird von Diskursen und Praktiken geformt und kann sich nicht aus der Dominanz der Signifikanten entfernen, nie unmittelbar zur Quelle der Evidenz werden.

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  35. Erkennender Mensch und erkanntes Ding wurden von Blüher in eine — philosophisch weit nach Platon zu datierende, moderne — „Subjekt-Objekt“-Dualität übersetzt. Ich danke Sonja Tiedemann für ihre

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  36. Hinweise zur Platonlektüre. Hingabe und Gegenseitigkeit im Austausch zwischen „Subjekt“ und „Objekt“ deuten sich an. Die Welt existiere überhaupt erst „in einem Zwischenreich von Geben und Nehmen, von Objekt und Subjekt (AJN, 164 [Hervorhebung im Original]).

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  37. „Man sehe einer Frau voller Ruhe ins Auge, dann vom Auge in [...] das Gesicht, dann [...] [ihre] Gestalt; sodann vergesse man, was für eine Frau das ist, von welchem Alter und von welcher Herkunft, [..] vergesse alle Begriffe, die sich mit ihr verknüpfen, und bleibe doch bei alledem dabei, daß sie eine Frau ist und diese eine bestimmte Wesenheit hat, so sind wir auf einmal noch tiefer eingedrungen über den Restbestand hinaus, den sie als Einzelwesen an sich drängt, und stehen vor ihrem Urbild, oder platonisch gesprochen, ihrer Idee.“ Hans Blüher: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft. Eine Theorie der menschlichen Staatsbildung nach Wesen und Wert. II. Band: Familie und

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  38. Männerbund. Jena 1921 (erstmals 1919), 75 (im Folgenden als „RdE IT zitiert). Luce Irigaray: Speculum. Der Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt/Main 1980, 178.

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  39. Aus Blühers Vorkriegs-Plädoyer für die androgynen Anlagen jedes Menschen ist eine klare Hierarchie geworden. Vgl. Anm. 22. 39 Irigaray (Anm. 37), 173.

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  40. Es geht um die Formierung eines hypostasierten Subjektes, das sich zugleich Gott oder das jeweilige Objekt einverleibt — eine Omnipotenzphantasie, die mit der abendländischen Geschichte des Künstlersubjekts eng verwoben ist; Cornelia Klinger: Flucht Trost Revolte. Die Moderne und ihre ästhetischen Gegenwelten. München-Wien 1995, 143–154.

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  41. Denn, so Blüher, das „hierartische Wissen um den Sinn der Bilderschrift [ist zentral] für das objektive Wort (Logos) des Welthintergrundes.“ (AJN, 43).

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  42. Von Braun (Anm. 29), 203.

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  43. Diese ging davon aus, dass die verwandelnde Betrachtung den Betrachter dem Betrachteten anglich.

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  44. Von Braun (Anm. 29), 356.

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  45. Die Gemeinschaft der Gläubigen verbindet sich nach einer Metapher von Paulus zum Corpus Christi mysticum. Der religiöse Gemeinschaftskörper verwandelte sich nach der Reformation zunehmend in eine (naturalisierte) Nationalgemeinschaft. Die Geschichte des Kollektivkörpers lässt sich als Prozess seiner Naturalisierung beschreiben. Die Phantasie der Einswerdung (im Kollektivkörper) hat dabei sehr viel mit dem griechisch-christlichen Erbe zu tun.

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  46. „Blüher nimmt jene Substanzialisierung des Christentums wieder auf, wie sie in der griechischen und in der römisch-katholischen Kirche eine bedeutsame Rolle spielt. [...] Ja in Christus selbst wird das göttliche in naturhafter Kategorie gedacht [...]. Diese Einstellung in Kategorien einer naturalistischen Philosophie und Religion ist freilich innerhalb der griechisch- und römisch-katholischen Auffassung stets begleitet, neutralisiert und überboten durch eine religiös-ethische. Indem Blüher diese restlos streicht, bleibt für ihn allein jene erstere übrig, die dadurch naturgemäß an Gewicht und an Einseitigkeit gewinnt.“ Blüher verlasse das Christentum, um zum Griechentum zurückzukehren; Grützmacher (Anm. 13), 48f.

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  47. Während sich das so genannte „Zweirassenphänomen“ zunächst auf die gesamte Menschheit bezog und etwa proletarische Unter- und gebildete Oberschicht, Bürger und Antibürger, Männerbund und anonyme (weibliche) Masse, Schöne und Hässliche, Anhänger des Eros uranios und des Eros pande-mos, der anschaulichen und der abstrakten Philosophie voneinander trennte, entwickelte es sich zugleich immer deutlicher zum Synonym der Differenz zwischen „christlich-germanischem“ und Jüdischem“ Typus. Zu Beginn der Weimarer Republik spricht Blüher Juden die Möglichkeit, zur primären Rasse zu zählen, nicht völlig ab (AJN, 234). Er unterscheidet zwischen einem „obersten Typus“ des Zionisten, dem der „allergrößte Respekt“ gebühre, dem „ewigen Diaspora-Typus“, der zu einer „wirklichen Synthese mit dem Gastvolk“ in der Lage sei, und den „Ausschussgeschöpfen“, die die Mehrheit der Juden stellten und „minderwertig“ seien. Auf diese Juden bezöge sich der Antisemitismus zu Recht (Hans Blüher: Deutsches Reich, Judentum und Sozialismus [Rede an die Freideutsche Jugend, 1919]. In: Ders.: Philosophie auf Posten. Gesammelte Schriften 1916–1921. Heidelberg 1928, 125–152, 139–141). Vgl. auch die Unterteilung in „assimilierte“, „amalgamierte“ und „zionistische“ Juden (RdE II, 170f). Seine hierarchische Typenbildung deutete Blüher als einen Strategiewechsel vom radikalen zum „relativen“ Antisemitismus (AJN, 233). Dass die Juden kein „primäres Rassenphänomen“ hätten, hätte sich zu leicht widerlegen lassen. Das jüdische Volk habe im Gegenteil sogar eine „recht große Anzahl von Exemplaren produziert, die die primären Rassemerkmale ganz offensichtlich und unverkennbar an sich tragen.“ (AJN, 233). Dennoch könne auch der relative Antisemitismus „zu so weitgehenden Ablehnungen fuhren, dass er in praxi unter Umständen mit dem absoluten übereinstimmt“ (AJN, 234). Die Stigmata der „sekundären Rasse“ wurden jedoch zunehmend kollektiv auf die Juden übertragen. Öffentlich exponierte Personen jüdischen Glaubens galten Blüher zu Beginn der 1930er Jahre als besonders bekämpfenswert (Hans Blüher: Die Erhebung Israels gegen die christlichen Güter. Hamburg-Berlin 1931, 131f). Gegen Ende der Weimarer Republik verlor sich die „Relativität“ dieses Antisemitismus vollends. Juden wurden von Blüher aber auch schon 1921 in ihrer Mehrheit eine besonders große Nähe zur „sekundären Rasse“ zugeschrieben. Ihr Abstand zur „primären Rasse“ sei besonders groß (AJN, 74). Aber auch ihre positiven Qualitäten seien besonders überragend und daher bedrohlich: „Das heilige Volk, das Volk Gottes, [...] ist zugleich das verruchte Volk. [...] Israel muß verflucht sein, weil es heilig ist.“ (AJN, 130). Juden hätten den Vorteil, dass sie eine „dämonische“ Stärke hätten, ihre Thora. „Aber wir Deutsche haben keine Thora, und wir haben keine Tempel. Wir haben nichts als unser nacktes, erbärmliches Leben, das wir hingeben können. Wir können nicht sterben im Dienst einer übergeordneten Gemeinschaft“ (Hans Blüher: Deutsches Reich, Judentum und Sozialismus. Die Rede an die freideutsche Jugend [1919]. In: Ders.: Philosophie auf Posten. Gesammelte Schriften 1916–1921. Heidelberg 1928, 125–152, 132). Ab 1921 versucht Blüher, diese den Juden zugeschriebene metaphysische Stärke auch für die „christlichen“ Deutschen aufzubauen. Er fängt an, beide Religionen gegeneinander auszuspielen. In der Metapher der Sichtbarkeit verbanden sich biologisch und philoso-Dhisch-religiös begründeter (rassistischer) Antisemitismus.

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  48. Stefanie von Schnurbein: Die Suche nach einer „arteigenen“ Religion in germanisch’- und,deutsch‘ gläubigen’ Gruppen. In: Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ (Anm. 5), 172–185, 175.

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  49. Ähnlich sah auch der Philosoph Leopold Ziegler die Zukunft der Religion in einer Religion ohne Gott. Nachdem Gott tot sei, bleibe nur „ein fröhlicher Menschenwille zur Vergöttlichung“; ders.: Gestaltwandel der Götter. Berlin 1920, 507.

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  50. Verbunden mit der eigenen körperlichen Schönheit war dessen Fähigkeit, die Welt im Sinne der platonischen Ideenschau gemäß ihren schönen Urbildern zu sehen. Entsprechend erschließe sich Christus auch nur „dem Genie im Zustande der Hybris“ (AJN, 246).

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  51. Doch sei der „große Befruchtungsakt“ noch nicht ganz geglückt: „Der jüdische Geist kam dazwischen und holte sich seinen Tribut.“ (AJN, 250).

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  52. Hans Blüher: Secssio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Sicht des Judentums und der antisemitischen Bewegung. Berlin 1922, 55.

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  53. In zeitgenössischen theologischen Debatten wurde die Figur des Paulus häufig sehr kritisch bis antisemitisch beurteilt; Grützmacher (Anm. 13), 91.

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  54. Vgl.Anm.22.

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  55. Zum Bereich der philosophischen Erkenntnis zählt Blüher u.a. „das Gebiet von Sprache und Schrift, das Gebiet der Liebe, das Gebiet der Herrschaft, das Gebiet der Erkenntnis und Wissenschaft, sowie das Gebiet der Ethik. Sie alle sind von Nahem betrachtet, ausgesprochen allogen, d.h. sie stammen nicht aus einer einheitlichen, gleichmäßigen und allen Menschen zugänglichen Weltsituation“ (AJN, 40 [Hervorhebung im Original]).

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  56. Justus H. Ulbricht: „Veni creator Spiritus“ oder: „Wann kehrt Bald[u]r heim?“ Deutsche Wiedergeburt als völkisch-religiöses Projekt. In: Politische Religion — religiöse Politik. Hg. von Richard Faber. Würzburg 1997, 161–172, 167.

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  57. Sarasin / Tanner (Anm. 31), 19.

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  58. Susanne Lettow: Die Macht der Sorge. Die philosophische Artikulation von Geschlechterverhältnissen in Heideggers „Sein und Zeit“. Tübingen 2001.

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Bruns, C. (2003). Die „metaphysische Pathologie“ des Juden. In: Hering, R., Nicolaysen, R. (eds) Lebendige Sozialgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89787-9_18

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