Prolog

Ich werde bald 90 Jahre alt. Eines Morgens, ich befand mich quasi noch im Halbschlaf, wurde ich von einer gütigen Fee überrascht. Sie eröffnete mir, ich hätte einen Wunsch frei, der in Erfüllung gehen sollte. In Rückblick auf mein langes Lebens konnte ich ihr ohne zu zögern antworten:

„Ich wünsche mir einen absolut ehrlichen Biographen. Er darf tief in meine Vergangenheit blicken, mit all den (hoffentlich verdienten) intellektuellen Erfolgen und auch den psychologischen zwischenmenschlichen Zwängen – egal ob sie nun real oder nur in den Köpfen vorhanden waren. Wenn er möchte, kann er auch meine Freunde und alle anderen Menschen aus meinem Umfeld ausfragen, bevor er sich seine Meinung bildet.“

Es wird schwierig, wenn man sich, so wie viele, selbst gleichzeitig zum eigenen Anwalt und Richter erhebt. Man ist dann weiterhin von der Gültigkeit der eigenen Entschuldigungen und der eigenen falschen Haltung überzeugt. Ich muss zugeben, dass ich selbst den weniger mutigen Weg wählte. Ich habe tatsächlich mich selbst zum Richter über alle meine Ideen und Entscheidungen gewählt. Zum Glück hat das Leben mit der Zeit dann die nötigen Korrekturen vorgenommen.

Zudem fällt es schwer, beim Erzählen meiner Lebensgeschichte den Überblick zu behalten. Mein Interesse ist sehr sprunghaft und hat mich daher in verschiedene Bereiche der Chirurgie geführt. Dennoch wird der Leser nach einer Weile die drei Hauptdomänen meiner Arbeit erkennen.

Daher teile ich meinen Bericht in eben diese Hauptthemen ein:

  • die Revolution bei der Behandlung von Traumata und Frakturen,

  • meinen Betrag zu chirurgischen Rekonstruktions- und Nahttechniken,

  • meine Forschungsarbeit im Bereich der Pathophysiologie und Behandlung von Verbrennungen.

Bevor ich auf die einzelnen Themen eingehe, möchte ich gerne die akademischen Auszeichnungen benennen, die ich in den vergangenen Jahrzehnten dankbar, oft mit Überraschung und in aller Bescheidenheit entgegennehmen durfte.

Akademische Stationen und Leistungen

1942:

Martin Allgöwer promoviert mit dem Thema: „Über das Vorkommen, die Natur und die Bedeutung der Sulfonamid-Antagonisten im Milieu des Körpers“. Das Werk entsteht vor der Ära der Antibiotika und somit findet Allgöwer auch keinen Hinweis darauf.

1943:

Medizinalassistent an der Chirurgischen der Universitätsklinik zu Basel, Mitarbeit im Forschungslabor der CIBA Basel und in der Abteilung für Plastische und Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Texas bei Prof. T.G. Blocker und Experimentelle Biologie bei Prof. Pomerat, Galveston.

1952–1956:

Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik zu Basel.

1956:

Habilitation mit dem Thema: „Die zellulären Grundlagen der Wundheilung“.

1956–1957:

Chefarzt der Chirurgie am „Rätischen Kantons- und Regionalspital“ in Chur, Schweiz. Dieses kleine aber komplett ausgestattete Krankenhaus war den anderen 5 Schweizer Universitätskliniken gleichgestellt.

1958:

Gründung des Labors für experimentelle Chirurgie in Davos in Zusammenarbeit mit Maurice E. Müller und Hans Willenegger.

1962:

Allgöwer wird zum Präsident der Schweizer Krebs-Liga gewählt, der er bis 1966 vorsaß.

1967:

Als Nachfolger von Rudolf Nissen wird Allgöwer zum Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Basel gewählt. Diese Stellung behielt er bis Ende 1983.

1969:

Membre Associé de l’Académie de Chirurgie, Paris.

1970:

Ehrenmitglied der British Orthopaedic Association.

1971:

Allgöwer wird von der American Burn Association beim Jahrestreffen in San Antonio, Texas, für den Everett-Idris-Evans-Gastvortrag ausgewählt. Noch im gleichen Jahr folgt die Ehrenmitgliedschaft in der American Burn Association, korrespondierende Mitgliedschaft in der Norwegian Surgical Society und die Samuel-Higby-Gastprofessur an der Harvard Medical School.

1972:

Korrespondierendes Mitglied der Polish Surgical Society.

1973:

Allgöwer wird zum Alexander-Simpson-Smith-Gastvortrag zum Thema „Sepsis bei Verbrennungen und Verbrennungstoxine“ an das West London Hospital eingeladen.

1974:

Allgöwer wird Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. In demselben Jahr wird Allgöwer Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität zu Basel.

1975:

Allgöwer wird Ehrenmitglied des International College of Surgeons (CICD). Im gleichen Jahr erhält er eine Gastprofessur an der State University, Department of Surgery, Ohio, USA, und eine Gastprofessur an der University of Illinois, Chicago, USA. In Bristol hält er den Moynihan-Gastvortrag zum Thema „Allgemeinchirurgie und Trauma“. Gleichzeitig wird er als Ehrenmitglied in das American College of Surgeons aufgenommen.

1976:

Er wird zum Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie und der Union Schweizer Chirurgischer Fachgesellschaften gewählt.

1978:

Allgöwer wird zum Ehrenmitglied in der American Surgical Association, der Schweizer Gesellschaft für Orthopädie und der Griechischen Akademie ernannt.

1979:

Allgöwer erhält die Ehrendoktorwürde der Universität Ulm in Deutschland und freut sich gleichzeitig auf eine Gastprofessur an der University of California USCD, San Diego, USA.

1979 war ein bemerkenswertes Jahr. Das Schicksal der ältesten internationalen Fachgesellschaft stand auf dem Spiel. Die Gesellschaft war 1902 von belgischen Chirurgen unter der Führung von Charles Willems, Jean Verhoogen, Robert Danis, Fritz Albert, P. Lorthior und Paul Martin gegründet worden. 1905 kam es zu einer leichten Veränderung der internationalen politischen Beziehungen. Die belgischen Gründer erkannten den Bedarf an internationaler Zusammenarbeit und beauftragten Prof. Theodor Kocher damit, eine Gruppe nichtbelgischer Chirurgen zusammenzustellen, um die International Society of Surgery (ISS) zu gründen. Der gewählte nichtbelgische Präsident dieser Fachgesellschaft war Prof. V.v. Czerny. Nach ihm übernahm der ebenfalls nichtbelgische Theodor Kocher die Präsidentschaft.

Trotz diesem ersten Schritt zur Öffnung blieben die Belgier weiterhin tonangebend und das Sekretariat dieser internationalen Fachgesellschaft verblieb vorerst in Brüssel. Somit war es auch kein Wunder, dass immer mehr Mitgliedsstaaten die dauerhafte Vormachtstellung einer Nation hinterfragten. Den Belgiern entging dieser wachsende Widerstand natürlich nicht. Frank Gerbode gehörte zu den positiveren Stimmen dieses Widerstands. Unter seiner Führung begann man, mögliche strukturelle Veränderungen in der ISS zu sondieren und festzulegen.

Den Vorstandsmitgliedern wurde klar, dass sie nicht länger alle Fäden in der Hand behalten konnten und eine grundlegende administrative Neuorganisation notwendig sei. Selbst der Preis einer kompletten formellen Auflösung der Royal Society mit anschließender Neugründung wurde in Kauf genommen.

In den späten 70er Jahren hatte Allgöwer mittlerweile eine einflussreiche Position im Vorstand der ISS eingenommen. Schnell wurden ihm die grundlegenden Probleme dieser ältesten und sehr traditionsreichen International Royal Society of Surgery bewusst, die langsam ihre Führungsposition aufgrund drei wesentlicher Faktoren einbüßte.

  1. 1.

    Aufgrund von Versäumnissen bei der Mitgliederrekrutierung überalterte die Fachgesellschaft allmählich.

  2. 2.

    Eine nachlässige Buchführung bescheinigte zahlreichen Mitgliedern die noch ausstehenden Zahlungen der Beiträge und hielt sie so auch in den Büchern fest. Nachweise dazu, wer von diesen Mitgliedern tatsächlich bezahlt hatte, fehlten allerdings.

  3. 3.

    Gerbode erkannte die drohende finanzielle Katastrophe und suchte nach einer Rettung – das Vermögen der Gesellschaft war auf 392 US-Dollar geschrumpft! Das reichte wohl kaum aus, um den Bankrott dieser traditionsreichen International Royal Society zu verhindern.

Der mutige Frank Gerbode erklärte sich bereit bei dem bevorstehenden Kongress den Vorsitz zu übernehmen und sich auch aktiv mit einzubringen. Unterstützung erhielt er von dem ersten nicht belgischen Präsidentschaftskandidat, Prof. Fritz Linder aus Heidelberg. Er bat Hans Borst mit Martin Allgöwer Kontakt aufzunehmen und sich zu erkundigen, ob er bereit sei, die Präsidentschaft zu übernehmen, sofern er bei der Generalversammlung in Kyoto gewählt werden würde. Hans Borst handelte so, wie es ihm von Frank Gerbode aufgetragen worden war und erhielt von Allgöwer eine Zusage.

Beim Treffen der International Society in Rom, 1963, hatte Allgöwer sich mit den damaligen „chirurgischen Giganten“ Jonatan Rhoads, Egelbert Donphy und Robert Zollinger getroffen. In Allgöwers Augen waren diese Chirurgen in den USA die Meinungsbildner. Er spürte, dass es sich lohnen würde, in die Rettung dieser renommierten historischen Fachgesellschaft zu investieren, selbst wenn damit ein erheblicher finanzieller Aufwand zu leisten wäre.

Ursprünglich hatte man erwogen, in Kyoto einen Mann aus Milano zu nominieren. Allgöwer reiste nach Kyoto in der Annahme, dass alle Zeichen auf den italienischen Bewerber deuteten. Frank Gerbode war jedoch von Allgöwer als Präsidentschaftskandidat so eingenommen, dass er daran auch festhielt. Zur Überraschung aller wurde Allgöwer bei der Generalversammlung gewählt, obwohl seine starke Bindung zur Abdominal- und Traumachirurgie wohlbekannt waren.

Somit stand 1979 also eine Neuorganisation und Neupositionierung der ältesten internationalen chirurgischen Organisation bevor. Zuvor schon hatte es zahlreiche Initiativen gegeben, die dominante belgische Vormachtstellung zu mildern. Diese Tendenz zeigte sich deutlich in dem Bestreben, die Generalversammlung der ISS-SIC 1979 in San Francisco abzuhalten, anstatt wie gehabt in Belgien.

Gleichzeitig bot eine private Schweizer Gruppe (Swiss AO) der SIC an, im Falle eines Umzugs des Sekretariats von Brüssel nach Basel in der Schweiz, die nötigen finanziellen Mittel von 1 Mio. Schweizer Franken mit einzubringen. Die Schweiz, als ebenfalls kleines aber sehr traditionsreiches Land, erfüllte damit eine moralische Verpflichtung gegenüber solchen Schweizer Pionieren wie Kocher oder De Quervain.

Bei der Generalversammlung der International Society of Surgery in San Francisco wollte eine Gruppe junger Chirurgen – symbolisch in alpiner Tracht wie „Schweizer Gnome“ aufgetreten – ihrer Bereitschaft Ausdruck verleihen, sich der internationalen Solidarität unterzuordnen. Diese Haltung moderner junger Chirurgen wurde von den Delegierten der Generalversammlung sehr positiv aufgenommen. Dieser Generalversammlung standen überraschende Entscheidungen bevor.

Die International Society of Surgery und ihre rasche Neugründung als International Society of Surgery oder Société International de Chirurgie mit ihrem vorübergehenden Sitz in der Schweiz sollte es künftig jeder Generalversammlung ermöglichen, den Sitz der Gesellschaft in andere Länder zu verlegen. Diese Entscheidung wurde praktisch ohne jeden Widerstand von der Generalversammlung in San Francisco 1979 akzeptiert. Die Generalversammlung stimmte darüber hinaus mit überraschender Mehrheit dafür, die alte International Royal Society of Surgeons aufzulösen und – nach 10 min Unterbrechung – diese Auflösung der International Royal Society of Surgeons tatsächlich durchzuführen und an ihrer Stelle eine neue, wahrhaft internationale chirurgische Fachgesellschaft zu gründen. Dies geschah erneut quasi ohne Widerstand. Der Vorschlag, Allgöwer zum neuen Präsidenten der frisch gegründeten International Society of Surgery zu wählen, wurde durch eine große Mehrheit der Stimmen bestätigt.

Gleichzeitig freute sich die Generalversammlung darüber, die International Association of Endocrine Surgeons als vollwertiges Mitglied in die International Society of Surgery aufnehmen zu können sowie die International Association of Trauma Surgery and Surgical Intensive Care (IATSIC) und die Association for Surgical Metabolism and Nutrition (IASMEN) als Fachgesellschaften zu integrieren.

Eine große Hilfe war Prof. J. van Geertruyden, seit 1965 Generalsekretär der Société International de Chirurgie, die Verlegung des Sekretariats von Brüssel in Belgien nach Basel in der Schweiz erfolgreich zu gestalten. Für seine selbstlose Hilfe, indem er sich hinter die in San Francisco von der Generalversammlung getroffene Entscheidung stellte, schuldete ihm die International Society of Surgery ihren großen und aufrichtigen Dank.

1980:

Allgöwer wird Ehrenmitglied der renommierten „Hedersdoctor“ der Universität Uppsalla.

1981:

Gleichzeitige Verleihung der Ehrendoktorwürde der University of Belfast an Loyd M. Nyhus, von der University of Illinois, und an Martin Allgöwer, Direktor der Chirurgischen Abteilung von Basel.

1982:

Martin Allgöwer wird Ehrenmitglied der Association of Surgeons of Great Britain and Ireland.

1983–1987:

Allgöwer übernimmt den Vorsitz der Stiftung der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen)-International, was eine aufwendige „Missionsarbeit“ für die adäquate aggressive operative Versorgung von Poly- und auch Monotraumata bedeutete.

Sein Hauptverdienst als Vertreter der Schweizer AO-Philosophie war es, den brillanten virtuosen AO-Chirurgen Maurice E. Müller, eine weltweit anerkannte Kapazität, für die aggressive Traumachirurgie zu gewinnen. Martin Allgöwer war ein überzeugter Fürsprecher der generell erfolgreichen initialen Totalversorgung. Das schließt die Behandlung komplizierter Frakturen sowie Verletzungen der Bauch- und Thoraxorgane in enger Zusammenarbeit mit den Anästhesisten und Intensivmedizinern ein.

Die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) vertrat ihre Grundhaltung der initialen Totalversorgung von Traumapatienten recht erfolgreich. Die AO-Implantate und AO-Weiterbildungen hatten den Boden für eine vernünftige aggressive Totalversorgung eines jeden Unfallopfers bereitet.

Die Kurse und der Verkauf der Implantate hatten der AO ein recht ansehnliches Einkommen beschert, das nicht in „private Geldbörsen“ floss, sondern erneut in Forschung und Ausbildung investiert wurde. Über die Jahre hatte diese Praxis zu einem geradezu fürstlichen Jahreseinkommen geführt, das sich in Jahre 1984 auf 77 Mio. Schweizer Franken belief. Das räumte der AO die Freiheit ein, die Gelder in verschiedene Ideen zu investieren, wie zum Beispiel für die Verlegung der International Society of Surgery von Brüssel nach Basel in der Schweiz.

Da die AO-Implantate sich einer gewissen Popularität erfreuten, hielten die Mitglieder natürlich an dem Prinzip fest, das AO-Einkommen an die AO-Stiftung weiterzureichen. Das funktionierte sehr gut und verhieß der AO weiterhin eine finanzielle Freiheit.

Die Idee die Mittel entsprechend der wahren Bedeutung der AO-Stiftung zu investieren, beruhte ursprünglich auf einen Vorschlag Allgöwers, der von der General Versammlung 1979 gut aufgenommen wurde. Er hatte damals vorgeschlagen, dass das von einzelnen AO-Mitgliedern erwirtschaftete Einkommen, nicht in deren privaten Börsen verschwinden solle, sondern als gemeinsames Gut der AO-Stiftung betrachtet werden solle, ebenso solle die AO die Patente besitzen. Die Mitglieder stimmten dieser Regelung zu.

1984 wurde die AO-ASIF-Stiftung in Chur formell neu bestätigt. Diese gemeinnützige Organisation entschied, dass ihr Vermögen in chirurgische Forschung und Weiterbildung investiert werden solle. Damit stand innerhalb weniger Jahre ein Budget von 77 Mio. Schweizer Franken für Forschung und Ausbildung zur Verfügung. In diesem Jahr wird Allgöwer auch Ehrenmitglied der Association Francaise de Chirurgie und der Schweizerischen Gesellschaft für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie.

1988:

Den drei Hauptgründungsmitgliedern der AO (Maurice E. Müller, Martin Allgöwer und Hans Willenegger) wird der angesehene Marcel-Benoit-Preis verliehen. Dieser Preis ist eine offizielle staatliche Einrichtung, der den drei Geehrten aufgrund ihrer bahnbrechenden Arbeit im Bereich der Fraktur- und Traumabehandlung verliehen wurde. Ihr Hauptanliegen war ein Abweichen von der übervorsichtigen Behandlung von Patienten mit Traumaverletzungen oder im Schockzustand. Damals galt noch die Meinung polytraumatisierte Unfallopfer seien in einem so schlechten Zustand, dass eine sofortige Operation zu gefährlich sei. Die AO konnte das Gegenteil beweisen: Schwerverletzte Patienten sind so gefährdet, dass eine Verschiebung einer Operation nicht zu verantworten ist. Eine sofortige Versorgung thorakaler und abdomineller Verletzungen mit einer Stabilisierung der wichtigsten Frakturen ist die Vorraussetzung für eine frühe Mobilisierung der verletzten Gliedmaßen und die Grundlage zur Verbesserung der Heilungschancen.

1988:

Ehrendoktor der Technischen Universität München und Ehrenmitglied der American Association for Surgery of Trauma.

1989:

Ehrenmitglied der Chirurgischen Gesellschaft der damaligen DDR.

1990:

Ehrenmitglied der Vereinigung Mittelrheinischer Chirurgen.

1991:

Ehrenmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Traumachirurgie.

1993:

Ehrenmitglied und Sprecher der Association Espanola de Cirujanos.

1995:

Ehrenmitglied der International Society of Surgery.

1997:

C. Whitaker International Burn Price.

Revolution der Traumabehandlung

Die Traumatologie ist in der Schweiz bemerkenswert entwickelt – vielleicht ist die Schweiz das einzige Land, in dem die Traumatologie eine so hohe Qualität in so vielen Krankenhäusern der Maximalversorgung aufweist. Die Traumatologie zählt heute zu den Fachrichtungen, deren Vertreter eine eher geringere Lebensqualität haben. Das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben, aber die Entwicklung in der Notfallversorgung wird sich in Zukunft automatisch dem Bedarf an die Lebensqualität der jungen Chirurgen und deren Familien anpassen. Die Chirurgie wird insgesamt von dieser Entwicklung profitieren – aber dafür braucht es Zeit. Also sollte man verantwortungsvolle und motivierte Chirurgen ausbilden, daran mangelt es bestimmt nicht, aber man sollte nicht die Chirurgen während ihrer Fachausbildung mit zu häufigen Notdiensten demotivieren.

Auf die plötzliche Beeinträchtigung der Lebensqualität durch eine gebrochene Extremität wird auf verschiedene Weise reagiert und sie ist in den Gedanken der Patienten in der Regel mit der Frage verbunden: „Warum musste das gerade mir und nicht einem Anderen passieren?“ In Chur und Basel, wo Frakturen recht aggressiv behandelt werden, zeigen die Chirurgen den Patienten, dass sie Verständnis für ihr Problem haben. Meistens gelingt es ihnen, den Patienten mit Optimismus anzustecken und zur aktiven Zusammenarbeit zu bewegen, um so eine rasche funktionelle Wiederherstellung des verletzten Körperteils zu erreichen.

Bis dahin war das allgemein angestrebte Therapieverfahren die Reposition der Fraktur mit der anschließenden Fixierung des Ergebnisses durch einen Gipsverband. Ruhigstellung und Fixierung im Gipsverband sind heutzutage fast vollständig durch die modernen Möglichkeiten der operativen Behandlung ersetzt worden, in der der sehr schmerzhafte Frakturfokus durch angemessene Implantate im Knochen stabilisiert wird. Die Frakturstabilisierung durch Schrauben, Nägel und Platten erlaubt eine frühe postoperative Beübung und rechtfertigte das Verschwinden der Gipsverbände durchaus.

In den vorangegangenen Jahrzehnten war man der Ansicht, dass Traumaopfer im Schockzustand in zu schlechtem Zustand seien, um operiert zu werden. Die AO bewies jedoch das Gegenteil. Der geschockte Traumapatient bedarf einer angemessenen und sofortigen kardiorespiratorischen Reanimation, weil der Patienten zu malade und dermaßen gefährdet ist, dass eine Operation dringend indiziert ist. Anschließend ist eine intensivstationäre Behandlung nötig, bis der Patient wieder spontan atmen kann.

Es ist daher sehr von Vorteil, akute Unfallopfer mit abdominellen und thorakalen Verletzungen zu Beginn sofort umfassend zu behandeln und die wichtigsten Frakturen zu stabilisieren, um ihnen eine frühe Mobilisierung zu ermöglichen. Das ist das Glaubensbekenntnis der heutigen AO. Darin besteht die tatsächliche Revolution in der Traumabehandlung!

Gründung des Labors für experimentelle Chirurgie in Davos

Ein für Allgöwer entscheidender Schritt war die Gründung des Labors für experimentelle Chirurgie in Davos durch die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen. Diese fand auf dem ersten Arbeitstreffen von Martin Allgöwer, Maurice E. Müller und Hans Willenegger und noch anderen im März 1958 statt. Später, auf dem Jahrestreffen in Boston, entschied die AO, dass sie nicht nur mit der Universität zusammenarbeiten wolle, sondern auch mit allen Wissenschaftlern, die sich damals mit Mono- oder Polytraumafällen befassten. Der Standort dieses AO-Zentrums war in seinem „Bergtal“ nicht gerade einfach zu erreichen. Doch die Idee, in Davos eine wissenschaftliche Einrichtung erster Güte einzurichten, konnte nicht so schnell in die Tat umgesetzt werden. Zunächst wurde Allgöwer zum Direktor des Labors für Gewebekultur der Firma Ciba-Geigy in Basel ernannt.

Die Gründung des Labors für experimentelle Chirurgie wurde nicht besonders begrüßt. Als Allgöwer 1958 zum Direktor der chirurgischen Abteilung des Kantonspitals in Chur berufen wurde, wartete auf ihn eine angenehme Überraschung. Das Pathologische Institut in Davos hatte seine wichtigste Funktion als Referenzzentrum für pulmonale Tuberkulose eingebüßt, weil die chemotherapeutische Tuberkulosebehandlung die Krankheit besiegt hatte und in Davos war der Bedarf an Autopsien erheblich gesunken.

Allgöwer, jetzt neu ernannter Direktor der chirurgischen Abteilung des Kantonspitals in Chur, bemühte sich sofort, den für Forschungszwecke vakant gewordenen Laborraum für sich und die gerade rekrutierte AO-Mannschaft zu besetzen, um vielversprechende Ideen im Umgang mit Traumaverletzungen zu erforschen.

Im März 1958 trafen sich, auf Initiative von Allgöwer und Maurice E. Müller, 12 Allgemeinchirurgen und Müller als Orthopäde, um den gegenwärtigen „state of the art“ für die weitere Behandlung von Frakturen in der Schweiz zu eruieren. Maurice Müller war gerade von einem Besuch bei Robert Danis in Brüssel zurückgekehrt. Von dessen chirurgischer Methodik, Frakturen ohne eine externe Stabilisierung durch Gipsverband zu behandeln, war Müller tief beeindruckt. Danis stabilisierte stattdessen den schmerzhaften Frakturfokus mit fest eingesetzten Implantaten, wodurch eine sofortige Mobilisierung der verletzten Extremität möglich wurde.

Nachdem Müller aus Belgien in die Schweiz zurückgekehrt war, wendete er die Fixationsosteosynthese nach Danis bei einer großen Anzahl von Patienten an. Die Ergebnisse ließen ihn in der Behandlungsmethode nach Danis die Zukunft der Trauma- und Frakturbehandlung erkennen. Bei der Märzkonferenz in Chur überzeugte er seine 12 allgemeinchirurgischen Kollegen von dem enormen Potenzial der Fixationsosteosynthese nach Danis.

Diese 12 Allgemein- und orthopädischen Chirurgen kehrten Heim, nachdem sie „das Licht“ gesehen hatten. Das Licht einer modernen, verhältnismäßig aggressiven und sicheren neuen Idee in der operativen Trauma- und Frakturbehandlung.

Nach dieser Märzkonferenz in Chur verschwanden Zug- und Gipsverband aus den AO-Verbandsräumen. Schritt für Schritt wurden sie durch Schrauben, Neutralisationsplatten und gelegentlich auch Marknägel ersetzt. Die glücklichen Chirurgen in der Schweiz erkannten ihre neue Verpflichtung in der Ausbildung und organisierten praktische Kurse.

Wie schon zuvor erwähnt, stellte das ehemalige Pathologiegebäude den idealen Ort dar, um ein zunächst relativ kleines Labor einzurichten. Der erste AO-Weiterbildungskurs über die stabile interne Fixation war ein voller Erfolg. Er läutete eine neue Ära der interaktiven Ausbildung mit Video-Instruktionen ein. Mittlerweile kommen jedes Jahr zweimal im Dezember über 1000 Chirurgen in Davos zusammen, die sich aufgrund des zunehmenden Bedarfs mit der aktiven aggressiven Traumabehandlung vertraut machen wollen.

Grundlagen in chirurgischer Rekonstruktion und Nahttechniken

Jeder Unfallchirurg wird irgendwann auch mal in die Verlegenheit geraten, einen Wanddefekt am Darm nähen zu müssen. Viele verschiedene Nahttechniken werden vorgeschlagen. Nach Professor Allgöwers Erfahrung sind auf der gesamten Strecke des Magen-Darm-Traktes, das heißt vom Ösophagus bis zum Analkanal, nur zwei Nahttechniken erforderlich. Die Anwendung dieser Techniken hängt davon ab, ob man die Naht am mobilen Darm (90%) oder am retroperitoneal fixierten Darm (10%) ausführen muss. Grundsätzlich gilt jedoch bei allen Nahttechniken: „Keep it simple!“

Das essenzielle Element der Wundnaht ist nicht die Anzahl der Nahtreihen, sondern die Gewebeperfusion der Wundränder. Das ist gerade bei den weniger gut vaskularisierten Wundrändern von Bedeutung, die sehr „liebevoll“ versorgt werden müssen. So sollte man z. B. Knoten seitlich platzieren.

Die Hinterwand versorgt man am besten mit intraluminal geknoteten Rückstichnähten durch alle Schichten, die sehr vorsichtig adaptiert werden müssen. Die Nähte an der anterioren Wand werden anschließend nur extramukös gelegt und vorsichtig geknotet, nachdem für die gesamte anteriore Wand alle Nähte gelegt sind. Dieses Credo der internationalen Nahtechnik wird auch heute noch in den von Allgöwer gegründeten Nahttechniken in Davos gelehrt.

Identifizierung von Verbrennungstoxinen in steriler, schwer verbrannter Haut als tödliche Realität

Der Ursprung der Meinungsverschiedenheiten lag darin, dass man dachte, die Verbrennungstoxine entstünden durch die Einwirkung großer Hitze auf normale sterile Haut. Um diese These zu testen, musste man menschliche Haut (oder Haut von Tieren) sorgfältig desinfizieren und nach dem Erhitzen einer Hochdruckhomogenisierung aussetzen. An der verbrannten menschlichen oder tierischen Haut konnte man eindeutig nachweisen, dass sich durch die Temperaturen von 135° oder 250°C hochgiftige Homogenisate bildeten.

Damals war das in den Krankenhäusern am meisten verbreitete Verfahren die Sterilisation mit Äthylenoxid. Diese war sehr effizient und eliminierte alle Bakterien auf der Haut von Mensch und Tier bei einer Exposition von 250°C über 15 s. Es kam zu keinerlei Verkohlungen und in der exponierten Haut entstanden hochgiftige Toxine, die nach intraperitonealer Injektion in 93% der Fälle binnen 2–5 Tagen zum Tode führten.

Im Jahr 1963 standen die Verbrennungschirurgen dem Verbrennungstoxin allerdings noch skeptisch gegenüber. Man ging eher davon aus, dass Infektionen die Haupttodesursache bei schweren Verbrennungen sei.

Daher waren wir natürlich sehr stolz, als wir auf einer Forumssitzung des Herbstkongresses des American College of Surgery 1963 Beweise präsentieren konnten, dass Mensch- und Tierhaut, wenn man sie mit Temperaturen von 135° und 250°C behandelt, einen maximal starken toxischen Effektor produziert, der in 93% der Fälle tödlich ist.

Cerium-Nitrat

Das Cerium-Nitrat wurde erstmalig von Monafo in der Behandlung von Brandverletzungen eingesetzt und rettete Patienten mit schwersten Verbrennungen, deren Überleben eher als unwahrscheinlich eingeschätzt worden war, das Leben.

Monafo und Fox glaubten, dass die Kombination von Cerium-Nitrat mit einem Sulfonamid eine optimale Infektionsprophylaxe bei Verbrennungsopfern darstelle und ihre guten Behandlungsergebnisse bei Schwerstverbrannten der Beweis dafür seien. Die genauere Überprüfung der antibakteriellen Eigenschaften des Cerium-Nitrats zeigte aber nur eine sehr geringe antibakterielle Potenz. Monafo verwendete also aus einem Irrtum heraus eine Substanz, die zwar eine bemerkenswerte immunogene Potenz besaß, aber kaum über antibiotische Eigenschaften verfügte.

Scheidegger und Allgöwer behandelten 1992 in Basel 64 schwer verbrannte Patienten mit einem 0,04 M Cerium-Nitrat-Bad. Die meisten dieser Patienten, sogar die älteren überlebten. Schönenberger, der schon seit längerem mit Cerium-Nitrat und LPC („lipid-protein complex“) experimentierte, entdeckte eine starke Affinität zwischen Cerium-Nitrat und LPC.

Seither konnte die Verbrennungsnekrose als Verursacher für die rapide Verschlechterung von Verbrennungsopfern während der ersten Woche nachgewiesen werden. Das frühe Abtragen von Verbrennungsnekrosen bedeutet nämlich eine effektive Reduktion des Verbrennungstoxins!

Leider ist das Abtragen von Verbrennungsnekrosen nur in Ländern mit einer gut strukturierten Intensiv- und Transfusionsmedizin möglich, damit Schock und Blutverlust nach der frühen Exzision schnell ausgeglichen werden können.

Die das Verbrennungstoxin neutralisierende Wirkung des Cerium-Nitrats gilt als eine der bedeutendsten Entdeckungen der letzten Jahre. Genau wie durch das frühe Abtragen von Verbrennungsarealen, wird auch die Resorption des Toxins neutralisiert, allerdings ohne Blustverlust. Kremer und Schoelmerich konnten 1980 den Resorptionsmechanismus sehr schön darstellen und gewannen dafür den Von-Langenbeck-Preis. Sie konnten zeigen, dass Zellmembranschäden und mitochondriale Vakuolisation durch die Verbrennungstoxine getriggert werden. Dadurch wird der Zelltod durch progressive Apoptose ausgelöst.

Tödliche Wirkung verbrannter Haut

Wir sollten endlich begreifen, dass Infektionen nur ein nebensächliches Phänomen darstellen. LPC bedarf keiner Infektion, um tödlich zu wirken. In Tierversuchen konnten keimfreie Mäuse durch die direkte intraperitoneale Injektion von LPC oder durch Einpflanzen verbrannter Haut getötet werden. Diese Mäuse waren nach ihrem Tod noch immer steril.

Das Credo Allgöwers war, dass die durch die schrittweise Schädigung der Zellmembran und Vakuolisierung der Mitochondrien ausgelöste Apoptose eine tragende Rolle beim Tod nach Verbrennungen spielt.