Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dieser Ausgabe können wir Ihnen nun (endlich) die S3-Leitlinie zur „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ vorlegen. Ein insgesamt 7-jähriger Prozess konnte damit erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Ich danke hiermit den beteiligten 20 Fachgesellschaften und Fachverbänden, den abgeordneten Vertretern in der Leitliniengruppe und den unermüdlichen „Mitstreitern“ der Steuergruppe. Mein ganz besonderer Dank gilt Frau Prof. Ina Kopp vom Institut für Medizinisches Wissensmanagement der AWMF, die in absolut souveräner Weise die manchmal nicht ganz einfachen Konsensus-Konferenzen moderiert hat und die Leitliniengruppe bei der Erstellung des Hintergrundtextes und der Formulierung der Empfehlungen stets maximal unterstützt hat. Außerdem möchte ich an dieser Stelle meinem Mitarbeiter Andreas Kühnl danken, der als Sekretär der Steuergruppe zahllose Stunden damit verbracht hat, die zahlreichen Treffen der Leitliniengruppe zu organisieren, Protokolle zu verfassen und allen Beteiligten die notwendige Literatur zur Verfügung zu stellen.

Warum brauchen wir eine methodisch und inhaltlich anspruchsvolle interdisziplinäre Leitlinie zur extracraniellen Carotisstenose?

Zunächst einmal stellen extracranielle Carotisstenosen mit bis zu 30.000 carotisassoziierten Schlaganfällen/Jahr in Deutschland eine relevante Ursache der zerebralen Ischämie dar. Insgesamt besteht gleichzeitig bei bis zu 1 Mio. vornehmlich älterer Menschen eine >50%ige Carotisstenose. Außerdem werden in Deutschland jedes Jahr >25.000 CEAs und >8.000 Carotis-Stent-Implantationen durchgeführt, in immerhin mehr als der Hälfte der Fälle bei asymptomatischen Patienten. Die Erstellung einer deutschen, interdisziplinären, evidenzbasierten Leitlinie zur Diagnostik und Therapie extracranieller Carotisstenosen erschien daher dringend geboten.

Zielsetzung dieser Leitlinie ist die Sicherstellung einer evidenzbasierten, flächendeckenden, optimalen Versorgung von Patienten mit extracraniellen Carotisstenosen. Die Leitlinie richtet sich dabei an alle in der Diagnostik, Therapie und Nachsorge Beteiligten aus dem ärztlichen und nichtärztlichen Bereich in Deutschland und Österreich und hat zum Ziel, die wichtigsten Erkenntnisse aus den verschiedenen Spezialgebieten für die Behandlung der extracraniellen Carotisstenose zusammenzufassen und somit eine Handlungshilfe im klinischen Alltag zu geben.

Zielsetzung der der S3-Leitlinie „Carotisstenose“ ist eine Handlungshilfe im klinischen Alltag

Die S3-Leitlinie „Carotisstenose“ wurde auf der Basis systematischer Literaturrecherchen und Literaturbewertungen konzipiert und in einem interdisziplinären mehrstufigen Konsensus-Prozess verabschiedet. Grundlage dieses Prozesses war das Regelwerk der AWMF (http://www.awmf-leitlinien.de) sowie die im Deutschen Instrument zur methodischen Leitlinien-Bewertung von AWMF und ÄZQ formulierten Anforderungen (DELBI, http://www.delbi.de). Bei der Abfassung wurden neben einer Vielzahl rezenter nationaler und internationaler Leitlinien methodisch hochwertige systematische Reviews, Metaanalysen und randomisierte Studien berücksichtigt.

Bei der Darstellung der Inhalte wurde zwischen Kernaussagen/Schlüsselempfehlungen (in Tabellen), deren Herleitung (Fließtext, Quellenangaben) und der Darstellung der Primärliteratur (Evidenztabellen) unterschieden. Bei den Empfehlungen wird zwischen drei Empfehlungsgraden unterschieden, deren unterschiedliche Qualität bzw. Härte durch die Formulierung („soll“, „sollte“, „kann“) und Pfeilsymbole ausgedrückt wird. Empfehlungen gegen eine Intervention werden entsprechend sprachlich ausgedrückt („soll nicht“, „sollte nicht“) bei Verwendung der gleichen Symbole. In der Regel bestimmt die Qualität der Evidenz (Evidenzstärke) den Empfehlungsgrad. Die aufgeführten Empfehlungen richten sich nach der jeweils verfügbaren Evidenz. Empfehlungen mit fehlender oder lückenhafter Evidenz wurden nach breiter interdisziplinärer Diskussion als Konsensusempfehlungen aufgeführt (GCP good clinical practise, klinischer Konsens). Die Empfehlungsgrade orientieren sich an den Vorgaben des Oxford Center of Evidence-Based Medicine (Tab. 1).

Tab. 1 Graduierung der Evidenz- und Empfehlungsstärke

Die S3-Leitlinie „Carotisstenose“ wurde in der vorliegenden Form von allen 20 Fachgesellschaften und -verbänden bestätigt, die Empfehlungen wurden überwiegend im „starken Konsens“ (Zustimmung von >95% der teilnehmenden Fachgesellschaften), ansonsten im Konsens (Zustimmung von >75% der teilnehmenden Fachgesellschaften) verabschiedet. Inhaltlich gliedert sich das Dokument in vier große Kapitel zur Epidemiologie, Symptomen und Diagnostik, Therapieverfahren sowie Nachsorge, Rezidivtherapie und Lebensqualität. Ein weiteres Kapitel zum Thema „Kosteneffizienz“ wird im Laufe der nächsten Monate angefügt werden. Innerhalb der einzelnen Kapitel werden sog. Schlüsselfragen beantwortet, die bei der ersten Konsensuskonferenz von allen beteiligten Fachgesellschaften konsentiert worden waren. In diesem Heft der Gefässchirurgie wird nun erstmals die bereits auf der Homepage der AWMF online verfügbare Langfassung der S3-Leitlinie „Carotisstenose“ publiziert. Kurzversionen dieser Leitlinie sollen in Kürze in deutscher und englischer Sprache erscheinen, außerdem ist eine Patientenleitlinie in Planung.

Die Leitliniengruppe wünscht sich eine breite Akzeptanz der konsentierten Empfehlungen, die sich stark an den interdisziplinären „Guidelines on the diagnosis and treatment of peripheral artery diseases“ der European Society of Cardiology (ESC) aus dem Herbst 2011 orientieren. Diesen hat bekanntlich auch die Europäische Schlaganfallgesellschaft (ESO) zugestimmt. Es ist zu hoffen, dass unser gemeinsames Dokument zu einer weiteren Versachlichung der Diskussion um das individuell bessere Therapieverfahren führen wird. Weitergehende Informationen (z. B. Evidenztabellen) sowie den Leitlinienreport finden sich auf der Homepage der AWMF (http://www.awmf-leitlinien.de).

Mit den besten Grüßen

Ihr

Prof. Dr. H.-H. Eckstein