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Spielräume des Selbst in Lehr-Lern-Settings Erwachsener?

The scope of the self in teaching and learning settings of adults

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Zusammenfassung

Das erwachsenenpädagogische Interesse richtet sich seit geraumer Zeit verstärkt auf Formen der Bildung Erwachsener außerhalb pädagogischer Institutionen und auf die Fragilität von Lehr-Lern-Prozessen. Es geht weniger darum, wie pädagogischer Intentionalität durch organisatorische Vorkehrungen und/oder professionelles Handeln zum Durchbruch verholfen werden kann, als vielmehr darum, wie deren Adressaten mit entsprechenden Bemühungen umgehen bzw. ohne sie lernen. In das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt also das Selbst, das seine Spielräume nutzt, d. h. Lehrangebote ignoriert, Wissen allein aneignet, sich widerständig verhält usw. Die Rahmen, in denen das Selbst sich dabei bewegt, sind aber allein durch eine Verschiebung der Aufmerksamkeit nicht suspendiert. Zu klären ist vielmehr, wie sich das Verhältnis von individuellen Spielräumen und Rahmen unterschiedlichster Art begrifflich fassen lässt. Dazu liefert Luhmanns Unterscheidung von Interaktions- und Organisationssystemen in Verbindung mit Goffmans Verständnis von situierter Aktivität gute Anknüpfungspunkte. Will man vor dem Hintergrund entsprechender Unterscheidungen Lehr-Lern-Settings empirisch untersuchen, bieten sich Methoden rekonstruktiver Forschung an. Sie ermöglichen es in besonderem Maße, den unhintergehbaren Eigensinn jeder Interaktion zu erfassen, machen sichtbar, wie Subjekte sich in je gegebenen Interaktionsordnungen bewegen und wie sie solche Ordnungen selbst schaffen. Eingewandt wird gegenüber solchen Verfahren, dass sie der Interaktion vorausgehende Ordnungen bzw. ‚objektive‘ Beziehungen nicht in den Blick bekommen. Akzeptiert man diesen Einwand, muss geklärt werden, wie sich Erkenntnisse über die je besondere Gestaltung von Interaktionssituationen mit solchen über deren historische, biographische und gesellschaftsstrukturelle Bedingtheit verknüpfen lassen.

Abstract

The field of adult education has been increasingly focused on ways of educating adults outside of educational institutions and on the fragility of the teaching and learning process for a while now. It is much less a question of how pedagogic intentions can be successfully implemented through organisational measures and/or professional actions and more a question of how the addressees deal with such efforts, as well as how they learn without them. The centre of attention is, therefore, the “self”, which utilises its leeway, i.e. to ignore teaching provision, to acquire knowledge alone, to behave antagonistically etc. The spaces in which the self operates are, however, not suspended by shifting the centre of attention. We must explain how the relationship between individual scope and the different framework conditions can be captured terminologically. Luhmann’s differentiation between interaction systems and organisational systems in connection with Goffman’s understanding of situated activity provides a number of good starting points. If we want to investigate teaching and learning settings empirically within this context, the methods of reconstructive research are appropriate. In particular, they make it possible to grasp the irreducible obstinacy of each interaction and make visible how subjects act within interaction structures and how they form such structures themselves. A criticism of such procedures is that they do not reflect the interaction with previous structures or “objective” relationships. If this criticism is accepted, it is necessary to resolve the issues of linking insights into the specific form of interaction situations with their historical, biographical and socio-cultural conditioning.

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Notes

  1. Die Frage nach Spielräumen in Lehr-Lern-Settings aufzuwerfen, kann als eine Art Wiederannäherung verstanden werden, die allerdings mit der Hypothek der eingebürgerten und hochwirksamen Dichotomisierungen belastet ist.

  2. Ähnlich Luhmann (1975, S. 19): „Nur die […] Tatsache einer organisatorisch und gesellschaftlich schon geordneten Umwelt ermöglicht es dem Interaktionssystem, fremdgesetzte Prämissen zu unterlaufen und strukturelle Determination entgleisen zu lassen“.

  3. Beim ‚Klassengespräch‘ handelt es sich eine Form, mit der wir – angeregt durch das skizzierte Verständnis von Interaktions- bzw. situierten Aktivitätssystemen – in einer Untersuchung über ‚Orientierungen im Übergangssystem Schule–Beruf‘ experimentieren. Zu ersten Ergebnissen vgl. Giese und Wittpoth 2009.

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Wittpoth, J. Spielräume des Selbst in Lehr-Lern-Settings Erwachsener?. Z Erziehungswiss 13, 363–375 (2010). https://doi.org/10.1007/s11618-010-0139-2

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