Zusammenfassung
Die Diversifizierung und die Dynamisierung familialer Lebensformen führen zu steigenden Anforderungen in Bezug auf die (reflexive) Gestaltung von Familie und Familienalltag. Die Entwicklung sowie Veränderung subjektiver Familienkonzepte und die Verwirklichung eines befriedigenden Familienalltags werden dadurch zu einer Herausforderung, der sich Familienmitglieder insbesondere im Rahmen von familialen Übergängen (z. B. Übergang zur Elternschaft, Wiedereinstieg in den Beruf, Trennung/Scheidung) immer wieder neu zuwenden müssen. Obwohl die Relevanz der alltäglichen Herstellung und Erhaltung von Familie (,doing family‘) jüngst betont wird, fehlt es bislang an Studien, welche die Entwicklung und Anpassung subjektiver Familienkonzepte an sich wandelnde Lebensumstände empirisch erfassen und als Bildungs- und Lernprozess in seinen Strukturabläufen beschreiben. Ausgehend von der Konzeption von Familie als interaktiv zu gestaltenden Sozialzusammenhang wird in diesem Beitrag eine theoretisch-methodische Grundlage für die empirische Untersuchung solcher familienkonzeptbezogener Bildungs- und Lernprozesse dargelegt und abschließend an einem Fallbeispiel veranschaulicht.
Abstract
Against the background of a growing diversity and fluidity of family life in modern western societies, the arrangement of everyday family life has become quite demanding for individuals and families. The reflection of individual notions of family as well as the development of concepts of a fulfilling everyday family life has become a recurrent challenge throughout the life course, particularly relevant during transitions in family life (e. g. the transition to parenthood, the reentry of the main caregiver into the labor market, or the transition into post couple parenthood after separation or divorce). Although family theory recently developed the concept of ‘doing family’ to highlight the need to maintain and arrange family life day after day, there is little knowledge on how individuals develop family concepts and how these concepts are adopted to changing life circumstances. In this article we present a research approach which allows to empirically study the reflection and development of family concepts and to work out family concept-related processes of learning and ‘Bildung’. We will illustrate our theoretical and methodological considerations by presenting results from a case study that is part of an ongoing longitudinal study.
Notes
Beispiele hierfür sind Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Familienbildungsstätten, Hilfen zur Erziehung wie die Sozialpädagogische Familienhilfe oder Erziehungsbeistandschaft aber auch Familienzentren oder Mehrgenerationenhäuser (vgl. Uhlendorff et al. 2013).
Obwohl in all diesen Dimensionen gegenwärtig inhaltliche Veränderungen und Bewegungen in der inhaltlichen Ausgestaltung erkennbar sind, bilden die von Mollenhauer genannten Prinzipien immer noch den Bezugsrahmen: So ist etwa die Erziehungsverantwortung der Familie trotz einer zunehmenden Bedeutung öffentlicher Erziehung nicht grundsätzlich in Frage gestellt (BMFSFJ 2013, S. 63 ff.). Ebenso verändert die zunehmende Frauenerwerbsarbeit die familiale Arbeitsteilung. Das Prinzip exofamilialer materieller Existenzsicherung wird dadurch aber nicht ungültig, sondern eher für beide Geschlechter relevant.
In ähnlicher Weise ist der Begriff in der Forschung hin und wieder beiläufig genutzt worden (vgl. z. B. Lenz 2005, S. 152), selten aber genauer bestimmt oder gar zum zentralen Begriff eines Forschungsvorhabens gemacht worden.
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Euteneuer, M., Uhlendorff, U. Familie und Familienalltag als Bildungsherausforderung. Z Erziehungswiss 17, 723–742 (2014). https://doi.org/10.1007/s11618-014-0583-5
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