1 Auf den Begriff gebracht

Zunächst sei ein Blick auf die verschiedenen Definitionen und Aufgaben von Ausbildungs- bzw. Lehrsupervision sowie Kontrollsupervision gerichtet. Menschen in der Beratungsprofession, in spezifischen theoretischen und methodischen Verfahren und Handlungsfeldern auszubilden, ist herausfordernd und interessant. Sie kommen aus ganz verschiedenen Grundberufen und lernen Psychodrama, Supervision, Coaching und auch Organisationsentwicklung als Zusatzqualifikation und Ergänzung zu ihrer bisherigen Tätigkeit oder mit dem Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung. Zu allen soliden Ausbildungen für die genannten Tätigkeiten gehört auch – und dies schulenübergreifend – Ausbildungs- bzw. Lehrsupervision. Die theoretische Auseinandersetzung mit dieser zentralen Rolle entsprach lange nicht ihrer Bedeutung für die Ausbildung. Für das Psychodrama erschien die von Krall, H., Fürst, J. und Fontaine, P. herausgegebene Veröffentlichung „Supervision in Psychodrama“ (Krall et al. 2013) auf Englisch. W. Boettcher und G. Leuschner (1989) in einem Sammelband, B. Geissler-Pilz, B. Schigl, R. Reichel (2016) mit Definition und Literaturübersicht zum Thema und schließlich widmete sich das von E. Freitag-Becker, M. Grohs-Schulz, H. Neumann-Wirsig herausgegebene Buch „Lehrsupervision im Fokus“ (Freitag-Becker et al. 2017) der Zusammenfassung von Aufgaben und verschiedenen theoretischen und methodischen Konzepten. Der nachfolgende Artikel bezieht Erkenntnisse daraus mit ein. Carla van Kaldenkerken (2021) definiert „Lehrsupervision“ speziell als ausbildungsbegleitend für Supervision – und grenzt demgegenüber „Ausbildungssupervision“ als die beratende Begleitung für alle anderen Ausbildungen ab. Da auch in anderen Kontexten, etwa von Psychodrama-Ausbildungen, für alle Anwendungsbereiche meist von begleitender Lehrsupervision gesprochen wird, verzichten die nachfolgenden Ausführungen auf diese logische Abgrenzung.

Bei entsprechend ausgebildeten Kolleg*innen, die als Psychodramatiker*in, als Supervisor*in, Coach, Organisationsentwickler*in oder in Training und Fortbildung arbeiten, gehört die kontinuierliche Reflexion ihrer Tätigkeit in verschiedenen Facetten zur notwendigen und selbstverständlichen Qualitätssicherung und zum professionellen Selbstverständnis. Sie dient der professionellen Weiterentwicklung ebenso wie der persönlichen Entlastung – und kann auf ganz verschiedene Weise geschehen: als kollegiale Intervision, als Balintgruppe und oder als Kontrollsupervision. Ähnlich gering wie beim Thema Lehrsupervision ist die Ausbeute auf der Suche nach neuerer Literatur zur Kontrollsupervision. Hierzu finden sich in erster Linie Angebote von Supervisor*innen im Netz … mit entsprechend nur kurzen Beschreibungen. Allein die Zeitschrift Supervision (ZfS) widmete 1995 dem Thema ein ganzes Heft (27) (Zeitschrift Supervision 1995) – neben anderem mit Definitionen und einer kritischen Auseinandersetzung zum Begriff der Kontrolle: Es wird Kontrollsupervision als regelmäßige, freiwillige Reflexion der eigenen Supervisionstätigkeit in dafür eigens eingerichteten Arbeitsformen definiert (Berker 1995), aber die Gleichsetzung des Begriffs Kontrolle mit dem der Reflexion als Problem beschrieben: Setzt Kontrolle die Beurteilung in richtig und falsch voraus – und bezeichnet der Begriff nicht zudem eine Hierarchie in der Beziehung zwischen Kontrollsupervisor*in und Kontrollsupervisand*in? H. Neumann-Wirsig (1995; ZfS 1995, S. 51) und C. Rappe-Giesecke (1995; ZfS 1995, Band 27, S. 34–37) plädieren dafür, diese Aufgabe entweder „Metasupervision“ oder schlicht „Supervision“ zu nennen, da es sich wie bei jeder anderen Supervision auch um die Reflexion von Arbeitsprozessen handelt, nur dass in diesem Fall die Arbeit eben die Supervision ist. Carl Josef Leffers (1995; ZfS 1995, S. 57–69) dagegen nimmt den Begriff Kontrollsupervision ernst und beschreibt Motive, Haltungen, den Markt, Konzepte und Fallen in der Kontrollsupervision. Auch wenn der Begriff nicht sehr geschmeidig ist, verwende ich ihn an dieser Stelle in der ursprünglichen Form nicht zuletzt, weil er sich über viele Jahre in der Beratungsprofession eingebürgert hat. Neben der Auseinandersetzung mit dem Begriff finden sich in dem genannten Heft weitere differenzierte Darstellungen verschiedener Konzepte und Vorgehensweisen.

2 Dimension 1: Das Modell

Die Lehr- und Kontrollsupervision ist eine spezifische Form der Supervision auf drei Ebenen der Kommunikation: Von Kontroll‑/Lehrsupervisor*in zu Lehr‑/Kontrollsupervisand*in und von diesem/r zu den jeweiligen Supervisand*innen. In vielfältigen Veröffentlichungen zur Supervision hat Ferdi Buer (1999, 2014) Grundlagen der psychodramatischen Supervision gelegt und immer wieder auf den wesentlichen gesellschaftlichen Bezug des Psychodramas (Buer 2017) hingewiesen. Das hier vorgestellte Modell greift seine Forschungen und Erkenntnisse und MORENOS Theorien und Erkenntnisse auf und ist der Versuch die Komplexität in einem bildlichen System zu fassen. Dieses psychodramatisch/soziodramatische Supervisionsmodell wird hier nur in aller Kürze behandelt, da es an anderer Stelle ausführlich beschrieben wurde (vgl. Weiß 2007, 2017, 2018). Es dient als Diagnostikum und bietet eine Grundstruktur des Vorgehens. in jeder Supervision. In der Kontroll- und Lehrsupervision kann sowohl der Kontext des/der Lehrsupervisor*in wie auch der Lehrsupervisand*innen und deren Supervisionsprozesse analysiert und je nach Thema Schritt für Schritt bzw. im Zusammenhang bearbeitet werden.

Hier sei zunächst das Modell kurz vorgestellt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Wirkfaktoren in der Supervision

Dass es in der Supervision immer um die Dynamik und das Verstehen der vier Faktoren Mitarbeiter*innen/berufliche Rollen/Klient*innen/Organisation geht, hat W. Weigand (1987, S. 27) beschrieben. Diese Grundstruktur wird vor dem Hintergrund psycho- und soziodramatischer Theorie und Praxis um grundlegende Perspektiven und vielfältige Dimensionen erweitert.

Es geht darum zu versuchen, die Komplexität eines Systems in den Ebenen Mitarbeitende, Rollen, Organisation, Klienten (‑Systeme) mit der je eigenen aktuellen Situation, der Geschichte, den Aufgaben und Aufträgen, den ethischen, spirituellen, politischen Werten, Zielen, Strukturen, Rollen, den sozialen Einbindungen und Kulturen zu sehen. Zudem spielen die gesellschaftlichen Regeln und Werte eine ebenso wichtige Rolle wie die Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen und die Dynamik des Arbeitsfeldes. Die Veränderungen im Umfeld der Organisationen haben unmittelbaren Einfluss auf die Themen und Konflikte in ihr und unter den Mitarbeitenden und lassen häufig die eigentliche Arbeit in den Hintergrund geraten. Die Schnittpunkte zwischen Person, beruflicher Rolle, Arbeitsfeld, Organisation und Klient*innen/Kund*innen einerseits und den gesellschaftlichen Kontexten andererseits – sowie ihre jeweiligen Wechselwirkungen, die weitaus komplexer sind, als sie das rein individuelle Erleben (als Innenleben) zunächst spiegeln – beeinflussen die individuelle Wahrnehmung und Verarbeitung nachhaltig. Die Ursachen von Konflikten (und damit auch deren Klärungsmöglichkeiten) liegen so häufig außerhalb der einzelnen Person. Die Suche nach den jeweiligen Verwicklungen nimmt daher einen bedeutenden Teil der Reflektion im Supervisionsprozess ein. Werden sie erkannt und akzeptiert, können die Einzelnen wieder zu produktiv Handelnden werden. Vorrangig nur inner- oder interpsychische Realitäten der Klient*innen/Kund*innen wie auch der Supervisand*innen wahrzunehmen, psychologisiert und individualisiert – und das bedeutet: Es verkürzt in der Regel die Problematik und wirkt damit dem kritischen und aufklärenden Impuls – sowie dem Anliegen zu befreien – von Supervision und von Psycho- und Soziodrama entgegen.

Eine Orientierung und wesentliche Aufgabe für Beratung ist es, den Scheinwerfer auf die Kernaufgabe der Organisation/der Mitarbeitenden/der Rolle zu richten. Supervisions- und Change-Prozesse, die nicht das Ziel haben, die Kernaufgabe qualitativ besser – d. h. für die Klient*innen/Kund*innen etc. und ressourcenschonender für die Mitarbeitenden und die Organisation – zu gestalten, führen zu sehr hoher Anspannung, zur Überlastung und bisweilen gar zur Destruktion. Wie kann eine Organisation gestaltet sein, die ressourcenschonend, rollenklar und menschenfreundlich die Aufgaben, die an sie herangetragen werden, erfüllt? Das ist eine wichtige Frage, mit der sich Berater*innen beschäftigen, wenn sie sich in den Dschungel von Teams und Organisationen mit ihren verwickelten Themen, Konflikten begeben. Sich darin berühren zu lassen, sich selbst zu verwickeln und auch sich zu verirren gehört dazu. Diese Verwicklungen anzuschauen, zu verstehen, die eigene Rolle als Organisationsentwickler*in oder Supervisor*in erneut zu klären – mit all ihren Aufgaben, Zielen, Grenzen, persönlichen Zumutungen – ist Ziel der Kontrollsupervision, in deren Verlauf die Teilnehmenden aus Ver-Wicklungen zu Ent-Wicklungen gelangen.

Mit Blick auf die Lehrsupervision im Rahmen der Ausbildung von Psychodramatiker*innen macht das oben gezeigte Modell das Zusammenspiel der vielen Faktoren von Wirklichkeit deutlich, wie Moreno diese verstanden wissen wollte, und bietet eine grundlegende Orientierung zur Entwicklung professionellen Handelns als Psychodramatiker*in und Soziodramatiker*in. Die Verortung und das Begreifen des eigenen beruflichen Handlungsfeldes, der Klienten*innen/Kund*innen und der eigenen Rolle wie der Handlungsmöglichkeiten darin ermöglichen, zur Kernaufgabe passende auch methodisch geeignete Interventionen zu entwickeln. Auch kann die Ausbildung von Supervisor*innen dazu dienen, die Komplexität der Faktoren, die in einer und auf eine Situation Einfluss haben, zu erschließen. Diese sind selbstverständlich nicht nur in der Supervision wirksam, sondern Bestandteil des alltäglichen (Arbeits‑) Lebens. Eben deshalb erscheint es sinnvoll, zukünftigen Psychodramatiker*innen und Supervisor*innen das Modell gleichsam als Schlüssel zur Analyse konkreter Arbeitswirklichkeiten an die Hand zu geben. Den Supervisand*innen bietet es Hilfestellung dafür, bildlich zu verstehen, wie die verschiedenen Faktoren des oft verworrenen Geschehens zusammenhängen, und wo sich in einer aktuellen oder vergangenen Situation vielleicht neue Ansatzpunkte des Begreifens und damit Impulse zu sinnvollem Handeln auffinden lassen. Supervisor*innen kann es als Grundorientierung zur Entwicklung eines eigenen Supervisionskonzepts und zur Gestaltung von Supervisionsprozessen dienlich sein.

Nicht zuletzt kann dieses Modell u. a. auch Grundlage für die Selbstreflektion des/der Lehr‑/Kontrollsupervisor*in sein, z. B. um sich mit den eigenen Werten, (Organisations‑) Erfahrungen, sozialen Einbindungen und lebensgeschichtlichen Hintergründen zu beschäftigen, wie auch mit der Rolle, und den entsprechenden Implikationen, mit seiner/ihrer Einbindung in eine Organisation, deren Zielen, Werten und Strukturen und die Wirkungen der gesellschaftlichen Regeln und Werte, die Teilhabe an Ressourcen und die Dynamik des Arbeitsfeldes zu begreifen und miteinzubeziehen. Am eigenen Leib diese Einflüsse zu spüren und zu verstehen, ist eine gute Grundlage, um im Prozess des Lehrens und Lernens in passsenden Elementen dieses auch mit Lehr- und Kontrollsupervisand*innen anzugehen.

3 Dimension 2: Lehrsupervision

3.1 Begegnung-Kontakt-Kontrakt-Setting

Abhängig von der Einbindung der Lehrsupervision in die jeweilige konkrete Ausbildung – zur Psychodramatiker*in, zur Supervisor*in, Organisationsentwickler*in auch nach anderen theoretischen und methodischen Konzepten und den entsprechenden Ausbildungsinstituten – gestaltet sich die Lehrsupervision unterschiedlich. Allerdings gibt es viele Gemeinsamkeiten, auf die sich hier vor allem bezogen wird. So geht es zunächst immer um die Begegnung und den Kontakt zwischen Lehrsupervisor*in und Lehrsupervisand*innen, in dem zwei (bzw. in einer Gruppenlehrsupervision mehrere) Menschen verschiedener Berufe, Lebens- und Organisationserfahrungen aufeinandertreffen. Hier begegnen sich Supervisand*innen mit ihren Wünschen und Ängsten, den Anforderungen des Ausbildungscurriculums und einem/einer Lehrsupervisor*in mit deren Möglichkeiten, Ansichten, Werten, ihrem Können und Wissen, dem jeweils eigenen Konzept und der reflektierten Erfahrung eigener beruflicher Praxis.

Der Aufbau von Kontakt und Vertrauen, die Klärung von Aufgabe und Auftrag, von Zielen und Rahmen der gemeinsamen Aufgabe, Anforderungen und spezifischen Bedingungen der Lehrsupervision bilden wesentliche Grundlagen für eine produktive Arbeit. Die Art, wie diese persönlichen, konzeptionellen, professionellen Klärungen gestaltet werden, kann den Lehrsupervisand*innen gleichzeitig als Modell für die eigene zukünftige Praxis dienen. Zugleich gilt es, die deutliche Verortung des Geschehens im Dreieck „Supervisand*in – Lehrsupervisor*in – Ausbildungsinstitut“ zu verstehen und in den Prozess mit einzubeziehen. Dies alles mit Zeit und Geduld eingehend zu verhandeln, lohnt, denn die Klärung schafft eine sichere Basis für die durchaus beunruhigende kommende Phase der „Bewährung“.

3.2 Der Schritt in die eigene Praxis

Sich allein aus der (vermeintlichen) Sicherheit der Rolle als Teilnehmer*in in der Ausbildungsgruppe mit intensiver Selbsterfahrung und dem Erleben als Teil einer Gruppe (und entsprechender Unterstützung und Auseinandersetzung mit Kolleg*innen) in das ungewohnte Terrain der eigenen Praxis zu begeben, stellt für die meisten Teilnehmenden einen Riesenschritt dar. Auch wenn sie bisher sehr sicher in ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit agiert haben, stehen sie vor neuen und hohen Hürden. Wer Psycho- und Soziodrama lernt, gehört häufig zu den Ersten in der jeweiligen Organisation mit einem anderen, tiefergehenden Verständnis, Blick und methodischen Vorgehen. Da erscheint zunächst eine Übersetzung in das berufliche Handlungsfeld als schier unmöglich. Einen ersten Zugang bietet gemäß dem o. g. Modell die Analyse der eigenen Rolle, des organisationalen Auftrags, des Settings und des Klientels. Die Dynamik des jeweiligen Arbeitsfeldes zu begreifen und eine stimmige Diagnostik und, daraus abgeleitet, Handlungsfähigkeit zu entwickeln, erfordert Übung und Erfahrung. Beide führen von der geschärften Wahrnehmung eigener Kompetenzen und Handlungsmuster über eine Phase der Verunsicherung, die oft mit dem Gefühl verbunden wird, gerade sei im eigenen Feld überhaupt nichts umzusetzen, bis hin zu dem Drang, jeden einzelnen Schritt minutiös vorzubereiten. All dies geschieht häufig mit dem Effekt, dass der Kontakt zur Situation und den darin eingebundenen Menschen verloren geht und stattdessen „Methoden“ eingesetzt werden. Ein normaler Entwicklungsprozess verläuft in kleinen Schritten, geht hin und wieder auch in Sprüngen voran, manchmal aber auch rückwärts. Erst mit wachsender Erfahrung kann Sicherheit in der neuen (erweiterten) Rolle und im Handwerk gewonnen – und passend zur Aufgabe und Situation spontan und kreativ psycho- und soziodramatisch agiert werden.

In der Begleitung von Lehrsupervisand*innen zu Supervisisor*innen und Organisationsentwickler*innen ist der Schritt von der Rolle des/der „passiv“ Lernenden zum selbst in dieser Aufgabe Tätigwerden ähnlich groß, allerdings noch in anderer Weise anspruchsvoll. Je nach Ausgangsprofession geht es nicht nur um eine Erweiterung der aktuellen beruflichen Fähigkeiten im bisherigen Rahmen, sondern um die Eroberung eines neuen Feldes mit zahlreichen Unbekannten. Menschen, die fest angestellt arbeiten und sich bisher nicht um die Akquise von Aufträgen bemühen mussten, erscheint es manchmal schier unmöglich, die erforderlichen Praxisfälle zu akquirieren. Scheu und Scham, aus der Sicherheit der gewohnten professionellen Rolle herauszutreten und sich auf unbekanntes Gelände zu begeben, aktivieren alte und neue Ängste. Die durch Vorbilder geprägte Idealvorstellung von einer/m guten Supervisor*in lässt die eigene Kompetenz zu Beginn der Supervisionstätigkeit oftmals erschreckend gering erscheinen.

Die Auseinandersetzung mit dem Ideal, den eigenen realen Fähigkeiten und dem aus dem gewohnten beruflichen Feld gewonnenen Wissen stiftet einerseits Ermutigung für den Start, liefert gleichzeitig aber auch den realistischen (begrenzten) Ausgangspunkt von sicherem Boden. Mithilfe von Bildern, Skulpturen und Rollenübernahmen kann der Weg vom aktuellen Stand zum Gewünschten probehandelnd beschritten werden. Gleichermaßen hilfreich ist es, die verschiedenen Ressourcen psychodramatisch in den Blick zu nehmen. Als eine Anknüpfung zur Akquise eignet sich die soziodramatische Netzwerkanalyse – die den Blick auf das jeweils persönliche berufliche, betriebliche und gesellschaftlich-soziale Netz richtet (vgl. Weiß 2011).

3.3 Das Handwerk

Lehrsupervision beinhaltet, wie der Begriff deutlich macht, Supervision und Lehre bzw. Lernen: ein nicht immer leicht zu kombinierendes Modell. Besteht Supervision allgemein heute nicht mehr in erster Linie in einer kontrollierten Praxisanleitung, so enthält „Lehrsupervision“ im Gegensatz dazu genau solche Elemente – nämlich das handwerkliche Erlernen von Psychodrama und Supervision und eine im Rahmen der Lehrsupervision erfolgende kontrollierte Praxis der Lehrsupervisand*innen. Das Lern- und Erfahrungsfeld besteht aus der Reflexion sowohl der Dynamik des jeweiligen Anwendungsfeldes – und das Verstehen der Prozesse in der Situation – als auch der Verwicklung der Person in der Praxis. Die Dynamik zwischen Lehrsupervisand*in und Lehrsupervisor*in wird in der Lehrsupervision durch kurze theoretische und methodische Impulse erweitert und lässt sich diesbezüglich mit einer Handwerkslehre vergleichen – etwa zur Frage: Wie kann eine Vorbereitung auf einen neuen Auftrag, wie können Auftragsklärungen, Anfänge von Gruppen, von Supervisionen, von komplexen Fortbildungs- oder Lehrprozessen, von beruflicher Praxis passend gestaltet werden? Mithilfe des o. g. Modells (als Orientierung und Radarsystem) kann monodramatisch im Einzelsetting (oder in der Gruppe) die Einfühlung in verschiedene Systeme, Rollen und Dynamiken erprobt werden. Im Setting der Lehrsupervision – häufig im Kontext der Reflexion der Praxis der Teilnehmenden – werden durch auftauchende Schwierigkeiten, Unklarheiten und gefühlte oder tatsächlich misslungene Interventionen sowohl persönliche Hindernisse als auch handwerkliche Fehler insbesondere in der methodischen psychodramatischen Anwendung deutlich. Werden diese verstanden und besteht zur Lehrsupervisor*in und zur Lehrsupervisionsgruppe ein vertrauensvolles Verhältnis, können sie bearbeitet werden und es entstehen nachhaltig eindrückliche Lernerfahrungen.

3.4 Die Rolle

Je nach Ausgangspunkt ist die Strecke weit – von der bisherigen Berufsrolle mit ihren Aufgaben, Werten und Handlungsweisen (und -korridoren) hin zu neuen Ufern eines veränderten Selbstverständnisses mit allem, was dazugehört. Eine Rollenentwicklung beinhaltet, sich wirklich Neuem zu stellen, Unsicherheiten auszuhalten, sich bewusst auf die Entwicklung einer neuen Rolle einzustellen und nur notfalls auf die alten, bekannten „Rollenkonserven“ zurück zu greifen. Die Rollen von Lehrer*innen oder Psychotherapeut*innen etwa weisen auf dem Weg zur Rolle als Supervisor*in einiges Gemeinsames und viel Verschiedenes auf. Träger*innen der erstgenannten „alten“ Rolle können Lehrinhalte vermitteln und zeigen Sicherheit im Umgang mit Gruppen und der Organisation. Sie möchten häufig zunächst ihren Supervisand*innen die Welt erklären und jede Stunde nach Zielen und methodischen Schritten (wie in der Unterrichtsvorbereitung) durchplanen. Psychotherapeut*innen hingegen verstehen viel von den persönlichen lebensgeschichtlichen Themen und Konflikten Einzelner, haben in der Regel aber nur wenig Organisationserfahrung – sie gehen in Supervisionen daher eher auf die persönliche Ebene und favorisieren psychotherapeutische Interventionen. Ohne die Kompetenzen der Ausgangsprofessionen außer Acht zu lassen, hilft das Verstehen der Widerstände die alten Sicherheiten zu verlassen und damit den bewussten Umgang mit der Differenz in der neuen Aufgabe.

3.5 Neue Sicherheiten ermöglichen Kreativität

Mit der Sicherheit im Handwerklichen, der persönlichen Entwicklung und der erlebten Möglichkeit, auch psychodramatisch zu diagnostizieren, zu intervenieren und zu reflektieren, wächst die Neugier, das Gelernte im eigenen Arbeitsfeld umzusetzen. Dafür muss die angestrebte Rolle als Psychodramatiker*in jeweils in die Ausgangsberufe als Lehrer*in, Psychotherapeut*in, Personalentwickler*in, Sozialarbeiter*in, Pfarrer*in/Priester, Arzt/Ärztin oder Organisationsberater*in integriert werden. Damit einher geht auch die handlungsrelevante Einbindung der den beruflichen Basisausrichtungen zugrunde liegenden Wissenschaften – wie Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Medizin etc. – mit der Theorie und Praxis des Psychodramas, der Soziometrie und des Soziodramas. In diesem Kontext wird Morenos Gesamttheorie spannend: Denn Philosophie, Gesellschaftstheorie, Soziometrie und Rollentheorie können in den vielfältigen Handlungsfeldern, wie sie Moreno schon entdeckt hatte (vom Theater über Organisationen, Psychotherapie bis zu Sozialpolitik) für die eigene berufliche Rollenerweiterung wie für neue Auffassungen der beruflichen Praxis und ihrer Gestaltungsspielräume Pate stehen. Während der Weiterbildung entwickeln die meisten Kandidat*innen noch einmal einen vertieften Zugang zur Theorie und erleben sie (stärker als früher) als haltgebend.

So wird die Lehrsupervision zum Ort, an dem auch die Wahrnehmung überindividueller Einflussfaktoren auf die Dynamik von Arbeitsfeldern, auf Kunden, auf die Mitarbeitenden (und die Zusammenarbeit mit ihnen) noch einmal bewusst erlebt, durchlebt, reflektiert und in der Praxis neu umgesetzt werden kann. Damit stellt sie eine gute Ergänzung und Vertiefung für die Erfahrungen dar, die in der primären Ausbildungsgruppe gemacht wurden: Sie baut darauf auf, stabilisiert sie und führt sie weiter. Für diejenigen, die Supervisor*innen oder Organisationsentwickler*innen werden und ggf. aus einem anderen theoretischen und methodischen Ausbildungskontext (als dem Morenos) kommen, führt die handwerkliche Sicherheit in dieser Art von Beratung, wie beschrieben, gleichfalls zu wachsender Freiheit, um gemäß des Auftrags und der Situation im Rahmen der komplexen Dynamik des Geschehens der Ratsuchenden spontan und kreativ handlungsfähig zu werden.

3.6 Die Rolle der Lehrsupervisor*in

Ein Sprichwort besagt: „Es hat keinen Sinn Kinder zu erziehen, sie machen einem doch alles nach“. Nun sind Lehrsupervisand*innen keine Kinder, sondern Erwachsene – und doch wirkt die Rolle der Lehrsupervisor*innen über lange Zeit prägend. Durch sie wird nicht nur Handwerk, sondern darüber hinaus Vieles mehr bewusst oder vorbewusst vermittelt: Konzepte, Werte, Stile, persönliche Vorlieben, die Fähigkeit zu Auseinandersetzung mit Können und Grenzen, der Umgang mit Macht und Abhängigkeit etc. Bei allen Unterschieden in den Rollen der Lehrsupervisor*in und des/der Lehrsupervisand*in ist es wichtig, die Begegnung selbst als wesentliches Moment in der Beziehung Lernende – Lehrende zu gestalten. In Supervisionen wie in Lehr- und Kontrollsupervisionen geht es aus meiner Sicht, einer Psychodramatikerin, dabei um ein grundlegendes Anliegen Morenos, das Hutter (2000, S. 100) so beschreibt: „Moreno denkt Begegnung als mehrdimensionales Geschehen, das zumindest die physische, psychische, emotionale, soziale und kosmische Dimension des Lebens begreift:“ Das impliziert die Herausforderung, als Person erkennbar zu sein und so weit wie möglich auf Augenhöhe einen gemeinsamen Entwicklungsprozess zu gestalten. So wirkt die Lehrsupervisor*in auch als ermutigendes Modell. Nicht die vor allem distanzierte Übertragungen fördernde Haltung ist in diesem Sinne professionell, sondern die erkennbare professionelle Person mit ihren Möglichkeiten und Grenzen.

4 Dimension 3: Die Kontrollsupervision

Ausgebildete, erfahrene Kolleg*innen begeben sich regelmäßig, als selbstverständliche Qualitätssicherung, oder aus akutem Anlass in Kontrollsupervision. Die Auswahl des/der Supervisor*in erfolgt meist sehr bewusst – entweder nach einer konzeptionellen Nähe zu den eigenen Verfahrensweisen oder, um bewusst Unterschiede zu ihnen zu suchen, z. B. nach einer eigenen gruppendynamisch oder psychoanalytisch geprägten Aus- und Fortbildung eine psychodramatisch orientierte Kontrollsupervisor*in oder umgekehrt. Der Wunsch, die eigene Praxis besser zu verstehen und sich von Spannungen durch unverstanden Konflikthaftes zu entlasten, spielt dabei eine Rolle, oft auch die Neugier auf konzeptionelle und methodische Anreicherung der eigenen Praxis. Fragen der persönlichen und professionellen Grenzen können ebenfalls Thema sein. Das soziodramatische Supervisionsmodell bildet hier die Basis, um Dynamiken auf verschiedenen Ebenen zu erkennen, zu verstehen und von Ver-Wicklungen zu Ent-wicklungen zu gelangen sowie adäquate Handlungsmöglichkeiten zu entdecken.

4.1 Kontakt und Kontrakt

Auf Augenhöhe eine Begegnung unter Kolleg*innen so zu gestalten, dass bei unterschiedlichen Rollen und Aufgaben eine produktive Arbeitsatmosphäre entsteht, ist die Grundbedingung und dient gleichzeitig der „Aufwärmung“ für die Bearbeitung spezifischer Anliegen. Was im Einzelsetting nur zwischen zwei Personen zu klären ist, gestaltet sich für die Kontrollsupervision in der Gruppe komplexer: Hier werden alle im Psychodrama bekannten Methoden verwandt, die dazu dienen, eine Sicherheit und Vertrauen stiftende Gruppenatmosphäre zu entwickeln – um die Scham, die auch mit der Bearbeitung beruflich schwieriger Themen meist einhergeht, zu reduzieren. Eine kreative Form der Verhandlung über Wünsche und Ziele der Einzelnen, über Arbeitsformen, das Setting und die Terminabstimmung ist ebenfalls ein wichtiger Schritt dazu.

4.2 Vom Ankommen über die Handlungsdiagnostik bis zum Abschluss

Jeder Termin beginnt mit einer gestalteten Begegnung und dem Übergang vom Alltag in die Gruppe. Die Sammlung und Auswahl von Anliegen kann, als nächster Schritt, gut – wie in dem klassischen Psychodramasetting – soziometrisch erfolgen. Das garantiert ein größtmögliches Interesse und Mitschwingen der Gruppe und gewährt so für den/die Protagonist*in/Falleinbringer*in deren Unterstützung für die Bearbeitung auch schwieriger Themen. Um herauszufinden, wo die Verwicklungen in der geschilderten Situation liegen, kann als Grunddiagnostik wiederum das o. g. Modell dienen. Psychodramatische/soziodramatische Diagnostik impliziert auch, dass nicht erst (so ein häufiges Missverständnis) das aktive Spiel Psychodrama ist, sondern das gesamte Vorgehen. Sowohl die Betrachtung der professionellen und organisationalen Ausgangsbedingung der Protagonist*in als auch das anschließende Verstehen der komplexen Situation der Kund*innen der Kontrollsupervisand*innen können zum Verstehen der Dynamik beitragen. Einzelne Aspekte – die mithilfe von Symbolen oder Antagonist*innen aufgebaut und in die Interaktion gebracht werden – verhelfen in dem unübersichtlichen Geschehen zum Überblick über die Dynamik. Diese bildet die Grundlage für Verstehen und neue Handlungsmöglich-keiten. Probehandeln ermöglicht dann, die Wirkung von Interventionen auf komplexe Systeme hin zu untersuchen und ggf. Alternativen zu entwickeln. Die Schilderung einer schwierigen Situation, die zunächst konzentriertes Zuhören und anschließendes „Schlaufragen“ nach ergänzenden Informationen seitens der Gruppenteilnehmenden erfordert – wie in manchen Konzepten von kollegialer Beratung und Balintgruppen beschrieben –, wird durch die probeweise Übernahme der Sicht der verschiedenen Rollen und Bilder ergänzt (diese kann auch spielerisch erfolgen). Sowohl im Gruppen- als auch im Einzelsetting bildet der Abschluss durch ein Sharing den Garant für die Reduzierung von Scham und die Förderung einer Begegnung auf Augenhöhe wie für das Zusammenwachsen der Gruppe. Unstimmigkeiten und Konflikte in der Kontrollsupervisionsgruppe spiegeln häufig die Dynamik der eingebrachten Fallarbeit. Umgekehrt kann aber die Auswahl der Themen der Protagonist*innen auch die Konflikte der Gruppe und der Dynamik der gesellschaftlichen Umgebung spiegeln. Diese Verwicklung in das Verstehen und die Bearbeitung miteinzubeziehen – und nicht als nur persönliche Probleme zu bearbeiten – ist eine lohnende Kunst, die allerdings nicht immer gelingt. Was es dafür als Kontrollsupervisor*in braucht, ist zunächst Erfahrung und Wissen um die eigene persönliche, professionelle und organisationale Prägung, sodann ein Konzept, die Anerkennung eigener Kompetenzen und Grenzen, die Akzeptanz der Kolleg*innen sowie Ruhe, Standfestigkeit und den reflektierten Umgang mit Konkurrenz.

5 Konkret – ein Beispiel

In einem mit Raumlüfter und aktuellen Coronaregeln ausgestatteten Beratungsraum erzählt eine Supervisandin in der Kontrollsupervision von ihrer gefühlten Ohnmacht und Ratlosigkeit in der Beratung einer bisher kompetenten Kitaleiterin, die aktuell kopflos und erschöpft wirkt (Ebene Mitarbeitende). Soziometrisch wurde die Kollegin zuvor von der Gruppe erwählt, ihr Thema einzubringen. Nach einer kurzen Runde des „Schlaufragens“ lässt sich die Beratungssituation und die Lage der Kitaleitung mit Symbolen in ihrer Komplexität darstellen: Kinder und überforderte Eltern (Klient*innen), verängstigte und desorientierte Kolleg*innen (Kund*innen), ihre durch dauernd wechselnde äußere Anforderungen über strapazierte Leitungsrolle (Rolle), eine verunsicherte Trägerorganisation (Organisation) bis hin zu Konflikten zwischen Stadtverwaltung und Landesregierung (Arbeitsfeld und gesellschaftliche Regeln). Die jeweiligen Belastungen und die daraus entstehenden Dynamiken liegen plötzlich auf dem Tisch. Es stellt sich heraus, dass sich bei der Kitaleitung – gleichsam wie im Brennglas – die aktuellen Spannungen rundherum kristallisieren. Sie ist vom Organisieren, Verstehen, Halten, Containen völlig erschöpft. Die Ressourcen passen nicht zur Aufgabe – das ist in der Kitaarbeit auch unter „normalen“ Verhältnissen schon so – aber unter der Coronasituation ändern sich die gesellschaftlichen Regeln beinahe täglich. Ihre Ziele und Werte – Stabilität und Sicherheit für Kinder, Eltern und Mitarbeitende zu ermöglichen, ihre pädagogische Haltung und ihr Konzept sind in Frage gestellt. Die Bemühung, trotz widrigster Umstände doch noch zur Aufgabe und Situation passende Lösungen zu finden, frisst ihre Zeit sich in ihrem persönlichen Umfeld zu erholen. Die Hilflosigkeit der Supervisandin spiegelt sich in der Supervisorin, die sich zudem in ihrem Supervisionsalltag mit Corona ebenso angestrengt um Normalität bemüht. In der anschließenden Reflexion stellte sich heraus, dass das Thema „Erschöpfung“ in der Gruppe selbst virulent ist und bis dahin vor allem als jeweils persönliche Not empfunden wurde. Durch die Bearbeitung des Falles wird aber das persönliche Erleben wie das Überindividuelle deutlich. Als empfindsame, einfühlsame Personen sitzen die Teilnehmenden der Kontrollsupervision häufig praktisch im selben Boot mit den Supervisand*innen, sie spüren die gesellschaftliche Anspannung z. B. durch die fortdauernde Coronakrise, die Ängste, die permanent notwendige kurzfristige Ein- und Umstellung auf neue Situationen, den Umgang mit Unsicherheit und die Furcht vor ernsthaften Erkrankungen. In dieser Dynamik findet sich auch die Kontrollsupervisorin wieder. Solcherart Verwicklungen auch anhand einer komplexen Analyse zu verstehen, ermöglicht im besten Fall, gemeinsam neue Handlungsoptionen zu entwickeln. In diesem Fall hat das Verstehen der Verwicklungen auf den verschiedenen Ebenen auch anhand des o. g. Modells ermöglicht, die eigenen Werte und Ressourcen besonders in Krisenzeiten neu in den Blick zu nehmen. Mit Klarheit zu sehen, dass an mancher Situation nichts zu ändern ist, hilft neben Hilflosigkeit und Wut auch mit erleichterndem Lachen der Realität ins Auge zu sehen und sich mit den je begrenzten Möglichkeiten der jeweiligen Kernaufgabe zuzuwenden.

6 Entwicklungen von Praxis, Person und Profession als kontinuierlicher Prozess

Nicht nur für die Menschen, die Lehrsupervision oder Kontrollsupervision nehmen, sondern auch für Lehr- und Kontrollsupervisor*innen selbst stellt die Auseinandersetzung mit den Kolleg*innen eine kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Praxis, Person und Profession dar. So sind alle Beteiligten miteinander auf einem Weg, der – wenn er gut gelingt – Ressourcen und eine adäquate Handlungsfähigkeit aller Beteiligten, auch der Kund*innen, (weiter‑)entwickelt: eine herausfordernde und lohnende Aufgabe, die viel Freude macht!