Fragestellung: In dieser retrospektiven Analyse sollte geprüft werden, ob Patienten mit inflammatorischen Darmerkrankungen mit oder ohne Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-(Anti-TNF-)Therapie vermehrt an einem Parkinson-Syndrom erkranken.

Hintergrund: Moderne Studien der Genetik und Genomik haben Tausende Varianten von Genorten beschrieben, die mit verschiedensten Krankheitsbildern assoziiert sind. Es gibt neue Hinweise darauf, dass einzelne Gendefekte zu multiplen Phänotypen führen. Gerade für Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen, psychiatrische und neurodegenerative Erkrankungen gibt es gemeinsame genetische Veränderungen. Ein besonders interessantes Gen ist das für die Leucine-rich repeat Kinase 2 (LRRK2) kodierende Gen, dessen Defekt zu einem hohen Risiko führt, an Parkinson zu erkranken.

Erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass LRRK2-Veränderungen bei Patienten mit Crohn-Erkrankung, Colitis ulcerosa und anderen entzündlichen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts vorliegen. In einer vorangegangenen Arbeit dieser Arbeitsgruppe konnten bei der Analyse von 24.500 Individuen mit entzündlichen Erkrankungen des Darms LRRK2-Varianten nachgewiesen werden. LRRK2 scheint ein wichtiger Modulator im Immunsystem zu sein, der pathophysiologisch Parkinson und inflammatorische Darmerkrankungen zusammenführt.

Ziel dieser retrospektiven Studie war es, die Inzidenz eines Parkinson-Syndroms bei Patienten mit inflammatorischer Darmerkrankung, mit und ohne Anti-TNF-Therapie zu bestimmen.

Patienten und Methodik: Für die hier vorliegende retrospektive Studie wurden Patienten selektiert, die zumindest zwei Hinweise auf eine inflammatorische Darmerkrankung hatten, die mindestens sechs Monate im Follow-up waren und im Vorfeld keine Parkinson-Erkrankung oder eine inflammatorische Darmerkrankung aufgewiesen hatten. Insbesondere wurde geprüft, ob die Patienten eine Anti-TNF-Therapie erhalten hatten oder nicht. Die Inzidenzraten pro 1.000 Personen-Jahre wurden berechnet.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 144.018 Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung mit 720.090 Kontrollpersonen verglichen. 84.436 Patienten hatte eine Colitis ulcerosa, 56.507 Patienten einen Morbus Crohn und 3.075 eine nicht näher determinierte entzündliche Darmerkrankung. Von den somit insgesamt 864.108 beobachteten Individuen wiesen 1.796 (0,2 %) ein Parkinson-Syndrom auf. Verglichen mit den Normalpersonen und nach Adjustierung für Alter und Geschlecht wurde eine statistisch signifikante 28 %ige Zunahme der Inzidenz an Parkinson unter Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung gefunden. Diese erhöhte Parkinson-Rate war gleichmäßig unter den Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa verteilt. Männer mit entzündlicher Darmerkrankung hatten ein erhöhtes Risiko, eine Parkinson-Erkrankung zu entwickeln. 13.089 Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung erhielten eine Anti-TNF-Therapie. Diese wiesen im Vergleich zu Patienten ohne Anti-TNF-Therapie eine deutlich niedrigere Inzidenz auf, an einem Parkinson-Syndrom zu erkranken.

Schlussfolgerungen: Diese Studie zeigt eindrücklich, dass Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen ein erhöhtes Risiko haben, eine Parkinson-Erkrankung zu entwickeln. Spannend ist, dass die Anti-TNF-Therapie die Inzidenz senkt.

Kommentar von Heinz Reichmann, Dresden

Entzündung als Bindeglied zum Parkinson-Syndrom

Diese Studie zeigt ein interessantes Phänomen, das den meisten Neurologen so nicht bekannt sein dürfte. Während wir uns als Neurologen darauf konzentrieren, LRRK2 als wichtigsten genetischen Faktor zur Entstehung einer monogenetischen Parkinson-Erkrankung zu sehen, ist es den Gastroenterologen gelungen, bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ebenfalls häufig Varianten in diesem Gen zu finden. Als Bindeglied zwischen den entzündlichen Darmerkrankungen und der Parkinson-Erkrankung ist die Entzündung zu nennen. Basierend auf Pionierarbeiten des Ehepaares McGeer ist bekannt, dass in der Substantia nigra entzündliche Prozesse ablaufen. Somit ist es spannend, dass eine Anti-TNF-Therapie nicht nur zu einer Verbesserung der entzündlichen Darmerkrankungen führt, sondern offensichtlich auch die Inzidenz, ein Parkinson-Syndrom zu entwickeln, reduziert. Es darf somit erneut spekuliert werden, ob antiinflammatorische Therapien auch beim so genannten idiopathischen Parkinson-Syndrom nützlich sein könnten. Letztere Frage ist aus meiner Sicht derzeit komplett offen.

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Prof. Dr. med. Heinz Reichmann, Dresden