Zusammenfassung
In parteienstaatlich geprägten Wettbewerbsdemokratien wie der Bundesrepublik Deutschland kommt den Parteien als Zentralakteuren des intermediären Systems im politischen Prozess eine „besondere kommunikative Scharnierfunktion“ (Sarcinelli 1998a: 277) zu. Zum einen aggregieren sie Meinungen, Forderungen und Bedürfnisse der Bürger und tragen diese an die Staatsorgane zur Herbeiführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen heran. Zum anderen üben sie permanenten Einfluss auf die Entstehung und Gestaltung der so genannten „öffentlichen Meinung“ aus, die wiederum in den politischen Prozess rückwirkt. In diesem Sinne übernehmen Parteien eine herausgehobene Doppelrolle im fortwährenden Zyklus politischer Kommunikation: Sie agieren als Hauptdarsteller der „Öffentlichkeitsarena“ (vgl. Gerhards 1994) und fungieren dabei zugleich als Sender und als Empfänger öffentlich diskutierter Themen und Meinungen.
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Literatur
Somit steht die Frage des Agenda-Building im Mittelpunkt der übergeordneten Frage der „Kräftekonstellationen“ von Politik und Medien. Es ist kein Zufall, dass sowohl auf der Mikroebene des Agenda-Building als auch auf der Makroebene der politischen Kommunikationsverhältnisse in den vergangenen Jahren zunehmend einseitige Determinationsmodelle, Dependenzvorstellungen und Instrumentalisierungsparadigmen durch so genannte „Symbiose“-, „Biotop“- und „Intereffikationsmodelle“ ersetzt wurden (vgl. Jarren 1988; von Alemann 1997; Bentele et al. 1997; Schantel 2000).
Es geht also an dieser Stelle um das „Wie viel“ des Agenda-Building. Einen Blick auf die Arten und Maßnahmen des Themen- und Ereignismanagements, also auf das „Wie“ des Agenda-Building liefert dagegen der Beitrag von Geisler/Tenscher in diesem Band.
Insbesondere Partei- und Wahlprogramme stellen einen problematischen Indikator für die politische Wahlkampfagenda dar, da Parteien dazu tendieren, vor Wahlen vor allem öffentlich Akzeptables in ihre Programme zu schreiben, welches bei etwaiger Regierungsübernahme erst im Anschluss an die Wahl relevant werden könnte (vgl. Klingemann et al. 1994). Der Stellenwert für den Wahlkampf und die Wahlkampfberichterstattung ist demgegenüber eher als niedrig einzustufen (vgl. von Alemann 1997: 492).
Es handelt sich hierbei also nicht um die induktiv gewonnenen Themenkategorien, die den Agenda-Setting-Analysen des vorliegenden Bandes zugrunde liegen. Entsprechend kann an dieser Stelle z.B. nicht das induktiv gewonnene Thema „Green-Card“ zur Analyse herangezogen werden, da es quer zu den a priori gegebenen Sachgebieten „Arbeitsmarktpolitik“, „Wirtschaftspolitik“ und „Rechts-/Justiz-politik“ liegt.
Wie gesagt, handelt es sich hierbei um eine Analyse aller deduktiv gegebenen Sachgebiete der wahlbezogenen Berichterstattung. Demgegenüber deutet der Vergleich der acht wichtigsten induktiv gewonnenen Wahlkampfthemen auf eine höhere Ãœbereinstimmung zwischen Fernseh- und Printagenda (vgl. den Beitrag von Hüning/Otto in diesem Band). Diese Diskrepanz unterstreicht nicht zuletzt, welche Rolle Themenkategorisierungen in der Agenda-Forschung spielen.
An dieser Stelle sind nur die Gesamtwerte für die Presse- und die Fernsehagenda aufgeführt, da sich die geringfügigen Schwankungen im Zeitverlauf als nicht signifikant erwiesen. Einzige Ausnahme bildet die Ausprägung „geringe Steuerbarkeit“ in der Presseberichterstattung über alle innenpolitischen Themen, deren Werte im Untersuchungszeitraum von 12,7 Prozent auf 4,0 Prozent signifikant abfallen.
Die entsprechende Anstoßfrage lautete „Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Themen dieses Wahlkampfes?“ Somit wurde nach der individuellen Wahrnehmung der Gesamtagenda gefragt und nicht nach den thematischen Schwerpunkten der eigenen Partei. Die Aggregierung der Antworten aller Befragten führt demzufolge nicht zum Durchschnitt einzelner Parteienagenden, sondern zur subjektiv wahrgenommenen politischen Agenda aus Sicht aller Befragten.
Der Indexwert der Thematisierungsintensität (I) ist definiert als die Quadratwurzel der durchschnittlichen Anzahl der Nennungen je Befragtem (f abs ) multipliziert mit dem Anteil der Befragten, die das Thema genannt haben (f abs ).
Die Homogenität der Thematisierungsintensität innerhalb der einzelnen Gruppen wurde überdies anhand eines eigens ermittelten Indexes, dem so genannten Homogenitätskoeffizient (H) kontrolliert. Dieser misst die durchschnittliche mittlere Differenz der Thematisierungsintensität der einzelnen Akteursagenden von der aggregierten Agenda über alle Sachgebiete. Die größte Homogenität zeigt demnach die Gruppe der Journalisten mit einem Koeffizienten von H=0,2891; wobei H=0 einer Identität der individuellen Agenden  ntspräche. Die Koeffizienten der Politiker (H=0,3433) und Politikvermittlungsexperten (H=0,3870) fallen etwas höher aus, was für Unterschiede in den thematischen Schwerpunktsetzungen der Parteien, also verschiedene Parteienagenden, bei gleichzeitig recht hoher Konsonanz spricht.
Die Beziehungen zwischen der Medien- und der Bevölkerungsagenda werden in dem Beitrag von Hü-ning und Otto in diesem Band ausführlich behandelt. Da dort für die Inhaltsanalyse Themenvariablen als Indikator herangezogen wurden, sind zusätzlich Kontrollen anhand der hier verwendeten Sachgebietsvariablen durchgeführt worden. Dabei ergaben sich mit Ausnahme der Bild-Zeitung in keinem Fall signifikante Korrelationen zwischen der Medienagenda und der Bevölkerungsagenda.
Entsprechend spielten diese Sachgebiete auch in der durch die Leitfadengespräche rekonstruierten subjektiven Parteienagenda kaum bzw. keine Rolle (vgl. Abschnitt 4.2). Hinzu kommt, dass aufgrund der verschiedenen Erhebungsverfahren keine Äquivalenz der Kategorie „Politik allgemein“ zwischen den qualitativen Experteninterviews und der Medieninhaltsanalyse unterstellt werden kann.
Angemerkt sei, dass die Unterscheidungen nach Parteineigung, Politikinteresse und meistgenutztem Medium jeweils quer zueinander liegen. Jeder dieser drei Blöcke der Tabelle bildet somit einzeln die Gesamtagenda ab.
Für eine nach Bevölkerungsgruppen differenzierte Darstellung vgl. den Anhang dieses Beitrags.
Welche der untersuchten Variablen gemeinsam eine Hintergrund variable (Faktor) repräsentieren, wird anhand der so genannten Faktorladungen ermittelt, die in der Tabelle eingetragen sind. Zur Methode und zur Aussagekraft von Faktorenladungen vgl. Abschnitt 9.1 des Beitrages von Hüning/Otto in diesem Band.
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Hüning, W., Tenscher, J. (2002). Medienwirkungen von Parteistrategien. In: Sarcinelli, U., Schatz, H. (eds) Mediendemokratie im Medienland. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, vol 41. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93260-0_8
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