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Das Ungenügen der Gelassenheit und das Problem eines »anderen Anfangs«

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Politische Philosophie im Denken Heideggers
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Zusammenfassung

Die eigenen Erfahrungen Heideggers nach 1933 sollten gezeigt haben, daß gerade die ausdrücklich totalitären Bewegungen, denen die gelassene Rechtfertigung des besinnlichen Denkens einen bedingten geschichtlichen Vorrang in der Gegenwart einzuräumen geneigt ist, den einschränkenden Vorbehalt, demzufolge die Gelassenheit für sich den Totalitarismus auf sich beruhen und sich von ihm nicht betreffen lassen möchte, radikal und mit der ihnen eigenen Entschiedenheit aus dem Wege, aus der Bahn ihres Ausschließlichkeitsanspruchs, räumen. Und bedienen sich nicht diese Bewegungen ganz unverhohlen eben solcher Rechtfertigungen, solcher Bestätigungen ihres geschichtlichen Rechtes, um sich in ihrer Macht erst ganz zu etablieren, während sie zugleich die mitgegebene Einschränkung übergehen oder höchstens auf kurze Zeit tolerieren, um alle vorläufigen Grenzen hernach um so skrupelloser zu überschreiten? Kraft ihrer Eigengesetzlichkeit leben sie ja aus der Tendenz, in immer ungezügelterem Fortriß alle Schranken nach und nach und mit unerbittlicher Konsequenz zu sprengen. Im Verfolg dieser Tendenz drängen sie dahin, sich möglichst bald alle zunächst begrüßten und honorierten, dann noch eben geduldeten Rechtfertigungen total zu assimilieren und gleichzuschalten, mit solcher Vernutzung dann aber überflüssig zu machen und — weil totalitären Tendenzen alles »Überflüssige« als störend und unerwünscht erscheinen muß — schließlich womöglich zu vernichten. Das erklärte Endziel solcher Bewegungen ist der Einsatz und die Einschmelzung aller Kräfte und auch der letzten, unaufhörlich aufgesuchten und ausspionierten Restbestände in ihren Herrschaftsbereich, und zwar auf dem Wege einer unbarmherzigen und absolut rücksichtslosen Unterdrückung aller freien (wie auch immer ihre Freiheit verstehenden) Regungen und Vorbehalte, nützlichenfalls bis zur planmäßigen Ausrottung »untauglicher« und »untüchtiger« Menschengruppen.

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Literature

  1. Vgl. dazu das gesamte »Feldweggespräch über das Denken« unter dem Titel »Zur Erörterung der Gelassenheit« in Ge (29-73); hier bes. 49-56.

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  2. Bezeichnend ist auch, wie Heidegger durch einen späteren, eingeklammerten Zusatz zur 1935 gehaltenen Vorlesung »Einführung in die Metaphysik«, wo die »Ent-schlossenheit« zur Sprache kommt, das Moment des Willens und des Entschlusses, das ihr dort und in »Sein und Zeit« (298 ff.) zweifelsohne zukommt, zurückzunehmen trachtet (vgl. EM 16).

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  3. weshalb Heidegger mit Hölderlin das Verhältnis der Vier, der »vier Gegenden« jetzt auch ein un-endliches Verhältnis nennen kann (das der früher herausgestellten unbedingten Endlichkeit des Seins nicht widerspricht, dessen Wahrheit nun als die »Welt«, als die vermittelnde Mitte der Vier begriffen wird, eine Mitte, die sich zugunsten des Verhältnisses der Vier entzieht und doch verborgen die unmittelbare Mitte des Verhältnisses bleibt und nur als diese Mitte denkbar, aber dennoch nicht antreffbar ist): »Un-endlich besagt, daß die Enden und Seiten, die Gegenden des Verhältnisses nicht abgeschnitten, einseitig für sich stehen, sondern der Einseitigkeit und Endlichkeit enthoben, ««-endlich zueinander gehören im Verhältnis, das sie ‚durchgängig ‘aus seiner Mitte zusammenhält. Die Mitte, die so heißt, weil sie mittelt, ist weder die Erde, noch der Himmel, weder der Gott, noch der Mensch« (HE 25; vgl. dazu 31 ff.). Die Mitte ist dann vielmehr das entbergend-verbergende Einigen und Auseinanderspannen der Vier als Geviert der Welt im jeweiligen Ding. Sie, die Mitte, das Sein, die Welt, ist nichts anderes als die Verweisung der Vier in die strenge Verwiesenheit aneinander, sich ereignend im Ding. Diese Verwiesenheit besagt, daß die Vier nicht isoliert für sich bestehen, sondern aus der Bezogenheit füreinander im Ding offen sind, aber zugleich als die sich einander in ihrer Besonderheit Verweigernden voreinander im Ding (und dem Ding selbst) verschließen. So bleibt auch hier das Sein, das die Mitte dieser Spannungs-Einheit der Vier ist, das einige Walten der Entbergung und der Verbergung, der Zuwendung und des Entzugs. Darum geht auch der neue Weg Heideggers — als »sterblicher« Weg in der alten Wahrheit, Un-Wahrheit und Irre des Seins — notwendigerweise abermals einen »Irr-weg« (vgl. dazu Sp 211 ff.; HE 17ff.).

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  4. Wie wenig Heidegger die im modernen Zeitalter entstandenen Dinge, Verhältnisse und Strukturen geeignet erscheinen können, das »Zusammenspiel« der »Einfalt« der »Vier« wiederzuspiegeln, hat er in seiner »Ansprache zum Heimatabend« während des 700-jährigen Stadtjubiläums seiner Geburtsstadt Meßkirch deutlich gemacht. Die Ansprache beklagt abermals den Verlust des Heimischen für den Menschen der Gegenwart, der täglich und stündlich fortgezogen werde »in fremde, anlockende, aufreizende, bisweilen auch unterhaltsame und belehrende Bezirke. Diese bieten freilich keinen bleibenden, verläßlichen Aufenthalt; sie wechseln unausgesetzt vom Neuen zum Neuesten. Durch all dies gebannt und fortgezogen, zieht der Mensch gleichsam aus. Er zieht um aus dem Heimischen ins Unheimische« (AH 9), und dies so sehr, daß er die Unheimlichkeit dieses Unheimischen, das auch in das Heimische immer hineinragt, ob des alles übertönenden, unaufhörlich wechselnden, rasenden, im Grunde aber lang-weiligen, gleichförmigen Betriebes gar nicht als solche erfährt. So gibt es für ihn, indem ihm das Heimische, die Heimat, wegschwindet, auch das Unheimische nicht mehr (10). In dieser Situation hält Heidegger wiederum zwei Wege des Denkens in ein vages Vielleicht. »Die Frage wird sich erheben, nicht nur für diese Stadt, nicht nur für unser Land, nicht nur für Europa, sondern für den Menschen dieser Erde, ob unter der Herrschaft der modernen Technik und bei der durch sie bewirkten Weltveränderung noch in irgendeinem Sinne Heimat sein kann. Vielleicht siedelt sich der Mensch in der Heimatlosigkeit an. Vielleicht verschwindet der Bezug zur Heimat, der Zug zur Heimat aus dem Dasein des modernen Menschen. Vielleicht bereitet sich aber auch inmitten des Andranges des Unheimischen ein neues Verhältnis zum Heimischen vor.« (11 f.) Und nun schreibt Heidegger den »ländlichen Bezirken und kleinen Landstädten«-»wo die Kräfte der umgebenden Natur, wo der Nachhall der geschichtlichen Überlieferung beisammen bleiben, wo das Herkommen und die von altersher gepflegte Sitte das menschliche Dasein bestimmen« —, Landstädten wie Meßkirch also, die Fähigkeit zu, » die Kraftquellen des Heimischen« immer wieder »zum Fließen« zu bringen, indem sie sich vom »großstädtischen Leben und den riesenhaften Bezirken der modernen Industriebetriebe« abgrenzen (9) und von den auf Kurzweil versessenen Machenschaften, die der Langeweile (der langen, sich ins Endlose und Unablässige auf spreizenden Weile) des industriellen, technischen, Atom-und Raketen-Zeitalters entstammen, zurückziehen auf eine Besinnung, die der Bewahrung ihres Herkommens, ihrer alten Herkunft, gelten soll (14). Damit scheint Heidegger endgültig einer utopischen und illusionären Romantik anzuhängen. Diesen Eindruck, den zumindest seine Äußerungen auf dem Meßkircher »Heimatabend« nahelegen müssen, kann auch seine Erklärung nicht verwischen, daß die Heimat den Menschen des gegenwärtigen Zeitalters nur noch und gerade als die gesuchte angeht, zu der er einen Bezug im »Heimweh« behalte, das in den modernen Umtrieben und Machenschaften verborgen zur Geltung komme (12f.). Auch hier wird man Heidegger so verstehen müssen, daß die Heimat eine stets gesuchte, also ein »gesparter Fund« ist, wenn ihre »spendenden Kräfte« »fließen«, im Flusse, ursprünglich-grundhaft-abgründig bleiben sollen. Damit wird sie noch in die Zu-kunft gerettet, der das Heute ausgesetzt sein soll, während es zugleich seine »Herkunft im Gewesenen« zu wahren hat (8). Diese Sicht mildert nicht, sondern verschärft den Zug romantisch-unendlicher U-topie (hier nun als solche deutlich werdend und benennbar) bei Heidegger im Verhältnis zu allen konkreten Aufgaben des mitmenschlichen, gesellschaftlichen, politischen Lebens in der Welt von heute und morgen. Unmißverständlich gibt Heidegger bei der 700-Jahres-Feier seiner Geburtsstadt zu erkennen, daß es ihm auf die denkende Zuwendung zu solchen Aufgaben nicht ankommen kann. Hinsichtlich des aktuellen Ganges des sozialen und politischen Geschehens ist die Zukunft für ihn ganz uninteressant. »Bedeutet uns ‚Zukunft’ soviel wie den auf das Heute folgenden Zeitraum der nächsten Jahre und Jahrzehnte, dann werden wir niemals angeben können, wie dieser Zeitraum ausgefüllt sein wird, auch dann nicht und gerade dann nicht, wenn wir uns ausrechnen, wie in der Folgezeit die wirtschaftliche Lage der Stadt aussehen könnte, wie die Landwirtschaft und das Bauerntum sich verändern werden, welche Wege das Schul-und Bildungswesen einschlagen, welche Stellung und Wirkungskraft der christliche Glaube und die Kirchen behalten werden. Wenn wir das Morgen auf diese Weise ausrechnen wollen, nehmen wir die Zukunft nur als Verlängerung des Gegenwärtigen, in der alles ungewiß bleibt (8).« Indem das »besinnliche« Denken dem Blick auf eine zukünftige — unter den Verdacht und das Verdikt, »berechnet« und »gemacht« und damit nicht mehr »zu-künftig« zu sein, gerückte — Entwicklung der menschlichen Geschicke abschwört, fördert es indirekt (und in der Meßkircher Rede auch direkt) die »Rückkehr zu den abgelebten Zeiten der Geschichte«, also, gesellschafts-und weltpolitisch gesehen, die Reaktion.

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  5. Hierüber des näheren die Abhandlungen des Verf.: Politik als »Werk der Wahrheit«. Einheit und Differenz von Ethik und Politik bei Aristoteles (Anm. 2) sowie Personalität und Politik. Mensch, Mitmenschlichkeit und politisches Amt im Verständnis des Christen (Anm. 6).

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Schwan, A. (1989). Das Ungenügen der Gelassenheit und das Problem eines »anderen Anfangs«. In: Politische Philosophie im Denken Heideggers. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94167-1_9

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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