Rente und Staatszerfall: Die algerische Tragödie

Zusammenfassung

Der Militärputsch¹ vom 11. Januar 1992 verhinderte die legale Machtübernahme der Islamischen Heilsfront (FIS)², wie er sich bereits in den Ergebnissen des ersten Wahlgangs vom 26. Dezember 1991 abzeichnete und wie er sich mit Sicherheit im zweiten Wahlgang am 16. Januar 1992 gezeigt hätte: Die FIS hätte bequem eine 2/3-, wenn nicht gar eine 3/4-Mehrheit erreicht — eine Mehrheit, die jede Verfassungsänderung in Richtung auf die Einführung der Shari’a möglich gemacht, hätte.³ Im folgenden soll gezeigtgt , wie der Rentencharakter des algerischen Staates eine wesentliche Ursache darstellt für den spätestens seit diesem Militärputsch beobachtbaren Zusammenbruch staatlicher Gewalt. Dabei ist festzuhalten, daß Algerien seit der Unabhängigkeit im Jahre 1962 als Rentenstaat betrachtet werden kann, wobei eine erste Rentenform von einer zweiten abgelöst wurde: Basierten die Staats- und Deviseneinnahmen in der ersten Periode (bis etwa 1973) primär auf den Transfers von Arbeitsmigranten, so wurde diese Rente ab 1973 durch die Staatseinnahmen aus dem Kohlenwasserstoffexport (vgl. unten) ersetzt. Die Tragödie des in der Dritten Welt oft gefeierten Hoffnungsträgers Algerien kann jedoch nicht ökonomistisch ausschließlich auf den Rentencharakter des Staates reduziert werden. Die Spezifik der Problematik Algeriens fußt auch in der kolonialen Transformation des Landes, die konstitutiv für die Hervorbringung des ersten Rententyps war.