Zusammenfassung
Zu meinen nie ausgeführten Vorsätzen gehörte die Absicht zu notieren, wann mir erstmalig neue Begriffe aufgefallen sind. Wann hörte ich zuerst von einem „walk-man“ oder einem „cash flow“, wann begegnete ich bei wissenschaftlicher Arbeit erstmalig dem Begriff „labeling approach“? In welchen sozialen Kontexten und von welcher Seite wurde ich so bereichert? Manche Begriffe hörte ich sicher zum ersten Mal in meinen Seminaren von studentischer Seite und suchte mich erst nachträglich kundig zu machen. Ein jüngeres Beispiel für eine begriffliche Innovation war die Bezeichnung „Postmoderne“, wobei ich bald verwirrt an das berühmte Kant-Zitat denken mußte: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer“. Ich weiß auch noch immer nicht recht, wie ich zu einer Anschauung dessen gelangen soll, was mit dem Begriff der Postmoderne gemeint ist. Denn mein Blick ist nicht nur kurzsichtig, im wörtlichen und übertragenen Sinne, er erfaßt zunächst auch nur Gegenwärtiges. Wir können unsere Augen freilich auch schließen und nachdenken oder -träumen.1
„Le Présent n‘est jamais notre fin: le passé et le présent sont nos moyens; le seul avenir est notre fin.
(Blaise Pascal, Pensées)
Die Anregung zu diesem Thema verdanke ich Frau Kollegin Brunhilde Scheuringer.
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Anmerkungen
Refrain eines zeitgenössischen Schlagers: „Träumen, das heißt Leben“
Das vieldeutige Phänomen der Postmoderne läßt sich Mitte der 80er Jahre nicht oder noch nicht in einer Definition bändigen“. Huyssen, A. / Scherpe, K.R. (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986, Vorwort der Hg., S. 10. Der Klappentext: „Das Bewußtsein, daß Realität reproduzierbar und austauschbar, daß sogar der Untergang herstellbar geworden ist, kennzeichnet einen kulturellen Wandel, der im Reizwort „Posthistorie“ oder „Postmoderne“ seinen Ausdruck findet“, hilft hier auch nicht weiter und ist interpretierungsbedürftig.
Tocqueville, A.de.: LAncien Régime et la Révolution. Paris 1856
Dazu jüngst: Fürstenberg, E: Zeit als Strukturdimension der Gesellschaftsanalyse. Atti dell‘Academia Mediterranea delle Scienze, Catania 1988
Vgl. zu diesem Topos auch: Emge, R.M.: Saint-Simon. Einführung in ein Leben und Werk, eine Schule, Sekte und Wirkungsgeschichte. München/Wien 1987
Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues (1715–1747): „Die lächerlichsten und kühnsten Hoffnungen sind manchmal die Ursache außerordentlicher Erfolge gewesen“ (Réflexions et Maximes, 1764, zit. nach Schalk E (Hg.), Die französischen Moralisten, Bd. I, Wiesbaden o.J., S. 104
Dazu eindrucksvoll: Elias, N.: Die höfische Gesellschaft, Frankfurt 1983 ( Wiederaufl. )
Immer noch wird hier die Bedeutung positiver oder negativer fremder Bezugsgruppen unterschätzt. Vgl. hierzu Emge, R.M.: Fremde Gruppen als Bezugsgruppen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 2/1967
Es sei hier auf das verdienstvolle Engagement von Bertrand de Jouvenel verwiesen
Daniel Bell kann man (wenn überhaupt) nur in einem sehr weiten Sinn zur Postmoderne rechnen, da er viele ihrer Tendenzen für ausgesprochen gefährlich hält. Wir nennen aus seinem Werk hier nur: „Die nachindustrielle Gesellschaft“, Frankfurt/New York 1975 (der vorsichtigere amerikanische Titel: „The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting“, New York 1973) sowie: „The Cultural Contradictions of Capitalism“, New York 1976
Jean-Francois Lyotard ist gewissermaßen der Papst der „condition postmoderne“, wie auch der Titel eines einschlägigen Werkes (Paris 1979) lautet. Vorausgegangen war u.a.: „Economie Libidinale“, Paris 1974
Zitiert nach Eisennann, G.: Max Weber und Vilfredo Pareto, Tübingen 1989, S. 191
Soziologie als rationalistische Wissenschaft… steht und fällt mit der Voraussetzung, daß alle Menschen in den großen Hauptzügen gleich geartet und daher gleich motiviert sind, d.h. auf gleiche Reize und Veranlassungen hin in gleicher Weise reagieren. Wäre es anders, so wäre ein gesetzmäßiges Verhalten undenkbar und vom Gesetzlosen kann es keine Wissenschaft geben“ (Oppenheimer, E: System der Soziologie, Bd. I/1, Jena 1922, S. 213 )
Dabei übersieht der Soziologe oft die „aktuellen Affekte und Gefühlslagen“, deren Bedeutung Max Weber hervorhebt. Die „rationalistische“ Methode der Soziologie darf „also nicht etwa zu dem Glauben an die tatsächliche Vorherrschaft des Rationalen über das Leben umgedeutet werden“ (Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, zit. nach der noch vom Autor selbst fertiggestellten 1. Aufl., Tübingen 1921, S. 3)
Brinton, C.: Die Revolution und ihre Gesetze. Frankfurt 1959 (zuerst New York 1938 )
Vgl. zu diesem Problem u.a.: Hradil, S.: Soziale Schichtung in der Bundesrepublik, München 1977.
Goethe, Aus dem Nachlaß.
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© 1990 Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen
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Emge, R.M. (1990). Postmoderne, utopisches Denken und gesellschaftliche Wirklichkeit. In: Scheuringer, B. (eds) Wertorientierung und Zweckrationalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97225-5_18
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97225-5_18
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