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Grundlagen

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Männerblicke
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Zusammenfassung

Im Jahre 1882 veröffentlichte der britische Romanschriftsteller Sir Walter Besant unter einem Pseudonym den utopischen Roman The Revolt of Man, in der eine futuristische Gesellschaft im 20. Jahrhundert beschrieben wird, die unter das Joch des Matriarchats gefallen ist. Die Männer leben in diesem gynokratischen Staat in kompletter Unterdrückung. Ihren Lebenssinn finden sie vorwiegend in der Kultivierung des Körpers, die dem Ziel dient, von einer siegreichen Matrone als Gatte und Erzeuger auserwählt zu werden. In seinem höchst populären Roman versuchte Besant nach eigenem Bekunden, eine Welt „turned upside down” (1902, 211) zu zeigen. Die von ihm imaginierten ’neuen Männer’ erahnen erst nach der Rede einer liberalen Politikerin vor dem nationalen Parlament, „[that] there is more in life for a man than to work, to dig, to carry out orders, to be a good athlete, an obedient husband, and a conscientious father” (Besant [1882], in: Showalter 1990a, 41f). Mag uns dieses Szenarium auch heute als seltsam und abwegig erscheinen, um die Jahrhundertwende muß es für viele, folgt man der zeitgenössischen europäischen und amerikanischen Rezeption, überaus plausibel und authentisch gewirkt haben. Das verbreitete Bedürfnis, entgegen der Botschaft des Feminismus gerade in den Männern eine gesellschaftlich unterdrückte Gruppe zu erkennen, hatte hierin unübersehbar Gestalt angenommen. Die verhaßte Frauenrechtsbewegung schien in Texten wie diesem ihres humanistischen Anspruchs enttarnt und in ihren wahren Zielen bloßgestellt. Die Vision der Gleichberechtigung war somit durch die Fiktion der Inversion und Travestie ersetzt (vgl. Gay 1984, 194f).

[M]anhood has a history.

Anthony Rotundo, American Manhood, 1993, 1

Patriarchy, reformed or unreformed, is patriarchy still: its worst abuses purged or forsworn, it might be actually more stable and secure than before.

Kate Millett, Sexual Politics, 1990, 85

It is time to try to speak about masculinity, about what it is and how it works.

Anthony Easthope, What a Man’s Gotta Do, 1986, 1

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Notizen

  1. Über die ersten drei der genannten Autoren (Crane, Norris und London) schreibt John Fraser, daß sie die ersten Vertreter eines Genres der serious modern chivalry gewesen seien. Sie seien in diesem Punkt „the precursors of Hemingway, Fitzgerald, and others” (Fraser 1988, 184).

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  2. Auf wirtschaftlichem Gebiet begann die Dekade mit einer agrikulturellen Depression, gefolgt von erheblichen Unruhen auf dem Finanzmarkt im Jahre 1893. Eine Arbeitslosenquote von bis zu 12% im strengen Winter 1893/94 und landesweite Streiks in größeren Firmen und Fabriken waren zusätzliche Folgen dieser Entwicklung. Erst mit Ablauf des Jahres 1898, nach der fast vollständigen Entspannung auf den internationalen Wirtschaftsmärkten, der Entdeckung der Goldfunde in Alaska und dem deutlichen Kriegstriumph über Spanien, sollte auch die verbreitete Krisenstimmung allmählich wieder nachlassen. Die Sozial- und Wirtschaftsdaten sind den folgenden Quellen entnommen: Rhodri Jeffreys-Jones’ Aufsatz über die sozialen Auswirkungen der Industrialisierung im Amerika der 1890er Jahre (1986, 235–282) und der von Donald Pizer herausgegebenen Anthologie American Thought and Writing (1972).

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  3. Auf dieses Konzept bezieht sich insbesondere die feministische Theorie sehr häufig (vgl. Hartsock 1990, 160–164). Eine Diskussion anderer relevanter Texte des colonial discourse, etwa von Gayatri Spivak, Homi Bhabha und Abdul JanMohamed, findet sich in Benita Parrys Aufsatz „Problems in Current Theories of Colonial Discourse” (1987, 27–58).

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  4. Bezugnehmend auf Edward Saids Aufsatz „Foucault and the Imagination of Power” (1986) kommt Nancy Hartsock zu dem Schluß: „Foucault’s imagination of power is ’with’ rather than ’against’ power” (1990, 167). Eine entgegengesetzte Position wird von Vincent B. Leitch vertreten, der Foucaults späten Theorien als Versuch einer Bergung und Aufwertung marginaler Identität versteht (1983, 158).

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  5. Folgt man den Axiomen der modernen Rollentheorie, so verlauft diese ’Mimikry’ jedoch keineswegs ausschließlich linear. Vielmehr muß der Prozeß der Rollenübernahme als ein höchst komplexer und spannungsvoller Vorgang begriffen werden. Mirra Komarovsky und Joseph Pleck haben in ihren Studien The Dilemmas of Masculinity (1976) und The Myth of Masculinity (1981) eindrucksvoll dargelegt, daß sich gelebte ’Männlichkeit’ erst im Konfliktfeld zwischen vorgegebenen ’maskulinen Werten’ und bestimmten dynamischen Mustern des tatsächlichen sozialen Verhaltens konstituieren kann. Die tatsächliche Struktur der Geschlechterrollen ist danach als höchst widersprüchlich und inkonsistent zu bewerten (vgl. Komarovsky 1976; Pleck 1981, 135–152).

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  6. Der Umfang an Literatur aus den Men’s Studies ist mittlerweile in schier unüberblickbare Dimensionen gewachsen. Zu den wichtigsten Werken lassen sich zähien: Joseph A. Boone (1987), Arthur Brittan (1989), Joe L. Dubbert (1979), Peter G. Filene (1974), Mark Gerzon (1992), David D. Gilmore (1990), Herb Goldberg (1979), Paul Hoch (1979), Michael S. Kimmel (1996), Leonard Kriegel (1979), David H. J. Morgan (1992), Joseph H. Pleck (1981), David G. Pugh (1983), E. Anthony Rotundo (1993), Peter Schwenger (1984), Victor Seidler (1989, 1994), Peter N. Stearns (1979) und Kevin White (1993); zudem die Anthologien von Joseph A. Boone & Michael Cadden (1992), Harry Brod (1987a), Michael S. Kimmel (1987c), Joseph H. Pleck & Elizabeth H. Pleck (1980) und Theodore & Betty Roszak (1969). Wohl lassen sich auch Dorothy Dinnerstein (1976), Barbara Ehrenreich (1983) und Eve Kosovsky Sedgwick (1985) zu diesem „Men’s Studies Canon” (Brod 1987b, 10) zählen. Obwohl die Men’s Studies noch vergleichbar jung sind, gibt es bereits zwei einführende college-level-textbooks von James A. Doyle (1983) und Clyde W. Franklin II (1984).

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  7. Vgl. insbesondere Jonathan Cullers Kapitel „Reading as a Woman” aus On Deconstruction (1988 [1982], 46–69). Die Idee eines ’weiblichen Lesens’ fmdet sich auch in Texten von Judith Fetterly (The Resisting Reader , 1978, xxii), Mary Jacobus (Reading Woman, 1986, 40, Kate Millett (Sexual Politics, 1990 [1969], 237–361) und Elaine Showalter („Toward a Feminist Poetics”, 1979, 25). In den 70er Jahren sind von französischen Poststrukturalistinnen wie Héléne Cixous und Julia Kristeva verschiedene Theorien entwickelt worden, die die Funktionsweisen ’weiblicher Sprachverwendung’ zum Gegenstand hatten. In Kristevas Ansatz verbindet sich ein dezidiert offener Textbegriff mit einem Subjektbegriff, in dem Körperlichkeit zu einem zentralen Impuls der Textgestaltung erklärt wird. Während Kristevas Konzept bei aller Fokussierung auf den ’präverbalen Mutterkörper’ (so sieht sie eine Verbindung zwischen der Art und dem Ort weiblichen Sprechens und dem Körper der Mutter) fast anarchistisch bleibt und ’weiblichen Sprachgebrauch’ genau so gut (wenn nicht besser) von Männern geleistet sieht, postuliert Cixous eine auch im biologischen Sinne ’weibliche’ Art des Schreibens, bei dem sich Frauen quasi ’durch ihre Körper’ („through their bodies”) artikulieren. Diese weibliche Schreibweise kann mit Cixous die vorherrschende phallogozentrische Ordnung dadurch unterminieren, daß sie binäre Oppositionen aufbricht und das Texterleben um ein fast libidinöses Gefühl der grenzenlosen Sinnerfahrung (jouissance) bereichert. Vgl. hierzu Evelyne Keitels Aufsatz „Weiblichkeit und Poststrukturalismus -- Perspektiven einer feministischen Literaturwissenschaft” (1988, 161–166).

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  8. Christine Ann Holmlund hat mit ihrem Vortrag „Masculinity as Masquerade” (1990) eine interessante Analyse des amerikanischen Gegenwartsfilms vorgelegt, in der der Aspekt der Performativität des Rezeptionsprozesses besondere Beachtung findet.

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  9. Vgl. hierzu auch Robert Scholes’ intelligente Kritik an Cullers Konzept, die er in seinem Aufsatz „Reading Like a Man” vorgenommen hat (1987, 208–214).

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  10. Stephen J. Greenblatt nennt unter Bezugnahme auf Louis Montrose „the historicity of texts and the textuality of history” (1990, 3) als wichtigste Quelle der Faszination, von der seiner Ansicht nach der Ansatz des New Historicism geleitet ist.

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Brandt, S.L. (1997). Grundlagen. In: Männerblicke. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04285-9_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04285-9_1

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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  • Online ISBN: 978-3-476-04285-9

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