Auszug
Vor nunmehr fast zehn Jahren rekonstruierte Johannes Bastian die Autonomieentwicklung der 1980er und 1990er Jahre als eine „bottom-up-Bewegung“, die wenig später von der Bildungspolitik emphatisch aufgegriffen worden sei (Bastian 1998, 18). Ein Grund für die rasche Adaption des Autonomiegedankens durch die Bildungspolitik lag in der Erkenntnis, dass Überregulierung dazu führte, dass vor Ort vielfach nur noch nach dem Wortlaut der Vorschriften, nicht aber mehr in deren „Sinne“ gehandelt wurde. Das bewirkte in der Konsequenz eine Aushöhlung der ministeriellen Vorgaben, sodass die Gefahr bestand, dass der Staat durch „Übersteuerung“ seine Steuerungsfähigkeit im Schulwesen verlieren würde (Avenarius 1995; Lange 1995; Maritzen 1996; 1997; 1998). Die neuen Modelle seien entsprechend alles andere als ein Steuerungsverzicht, argumentierte der damalige Hamburger Staatsrat Lange: „Man muß sie vielmehr als den Versuch einer Rückgewinnung und Effektivierung von Steuerung verstehen.“ (Lange 1999, 426) Gegenüber der behäbigen Systemplanung auf der Makroebene wurde eine verstärkte „MikroSteuerung“ des Bildungssystems intendiert, ansetzend an den Aufgaben der einzelnen Bildungseinrichtungen. Schon Anfang der 1990er Jahre empfahl die OECD, die Überlegungen zur Schulreform auf die Einzelschule zu fokussieren (OECD 1991). Die im neuen Steuerungsmodell geforderte Dezentralisierung (Böttcher 2002, 97–126) würde jedoch nur zu einem erweiterten Handlungsspielraum der einzelnen Schule führen, wenn die Regelungsdichte so verringert würde, dass nicht nur auf der institutionellen Ebene eine Entbürokratisierung stattfinde, sondern auch auf der formalen, rechtlichen Ebene eine tatsächliche Deregulierung (Altrichter 1992, 562–564).
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Rürup, M., Heinrich, M. (2007). Schulen unter Zugzwang — Die Schulautonomiegesetzgebung der deutschen Länder als Rahmen der Schulentwicklung. In: Altrichter, H., Brüsemeister, T., Wissinger, J. (eds) Educational Governance. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90498-6_6
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