Zusammenfassung
[197] Mit der Abfassung der Klageschrift legt der Kläger gewissermaßen das Thema (oder auch Streitprogramm) fest, um das im Folgenden gestritten wird. Die Aufführung des „Programms“ selbst liegt nach deutschem Recht (anders etwa als im anglo-amerikanischen Zivilprozess, in dem der Parteibetrieb stilbildendes Merkmal ist) weitgehend beim Richter; er ist die Hauptfigur des gesamten weiteren Fortgangs. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Anwalt nunmehr eine sekundäre Rolle spielen würde; nach wie vor ist er derjenige, der durch Anträge und sonstigen Vortrag das Verfahren beeinflussen und gegebenenfalls in die von ihm gewünschte Richtung dirigieren kann und das – nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen Gründen – im Einzelfall auch tun muss – etwa durch Hinweis auf eine entscheidungserhebliche Norm (BGH NJW 1996, 2648 = EWiR 1996, 691 (Henssler)). Doch geht auch dieser Einfluss immer nur über den Richter, weil es nunmehr dieser ist, der – grob gesagt – bestimmt, „wo’s langgeht“. Infolgedessen wechselt in der nachfolgenden Darstellung die Perspektive, indem der weitere Ablauf des Verfahrens hauptsächlich aus der Sicht des Richters beschrieben wird.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Vgl. Nörr 1981, S. 349.
- 2.
Vgl. dazu vorzüglich Koch 2000, S. 320.
- 3.
Dazu informativ Stürner 2010, S. 147, 154, der an eine Diskurs-geleitete Atmosphäre einer „Arbeitsgemeinschaft“ appelliert.
- 4.
Nicht nur in der NS-Zeit, sondern auch in jüngerer Vergangenheit gibt es hier Negativbeispiele auf höchster Richterebene; vgl. Ponnath 1993, S. 3; ders. 1996. Das betreffende Urteil des BGH ist (endlich) abgedruckt in NStZ 1996 (!), 485 mit Anm. Gribbohm; zum Ethos der Richter aufschlussreich: The Bangalore Principles of Judicial Conduct 2002, http://ijtr.nic.in/Bangalore_principles.pdf..
- 5.
Das mag sich angesichts der zwischenzeitlich in die Juristenausbildung eingebundenen Schlüsselqualifikationen ändern; vgl. nur Römermann und Paulus 2003.
- 6.
Zum Gebot der Willkürfreiheit s. BVerfG NJW 2005, 3345.
- 7.
Von zeitlosem Interesse ist – gerade im Hinblick auf das Bemühen um die richterliche Unabhängigkeit – die Beschreibung des antiken athenischen Prozessablaufs durch Aristoteles 1990 in: Der Staat der Athener, Kap. 63–69.
- 8.
- 9.
Idealiter sollte sich ein Richter deshalb darüber im Klaren sein, dass und – vor allem – welches Vorverständnis und insbesondere welche Vorurteile er hat. Ausblenden kann er sie wohl nie; infolgedessen ist es umso wichtiger, von ihrer Existenz zu wissen; s. auch Schmid et al. 1997. Wohlgemerkt: Vorurteil in dem hier verwendeten Sinn ist nicht per se etwas Negatives (vgl. Larenz/Canaris lt. Lit.-Angaben, 30); vielmehr handelt es sich dabei um ein unabdingbares Mittel zur Reduktion der alltäglichen Komplexität des Seins; niemand kann ständig das Rad neu erfinden. Zu den Gefahren eines Vorverständnisses überaus lesenswert der Roman von Werner Bergengruen, Der Großtyrann und das Gericht.
- 10.
Kennen Sie die im materiellen Zivilrecht statuierte Grenze dieser richterlichen Freiheit?
- 11.
Ein erheblicher Nachteil dieser Generalklausel ergibt sich jedoch – unbeschadet des Definitionsversuchs in § 42 II – daraus, dass in der Praxis eine große Anzahl rein querulatorischer Ablehnungsanträge gestellt wird.
- 12.
Einem vergleichbaren Mechanismus ist der aufmerksame Leser bereits bei § 39 begegnet, oben Rz. 61.
- 13.
Die Parteien können und sollen sich zu der Möglichkeit einer Entscheidung durch den Einzelrichter äußern, §§ 253 III und 277 I 2, und gemäß den §§ 348 III Nr. 3, 348a II Nr. 2 können sie versuchen, auf die „Besetzung“ der Kammer Einfluss zu nehmen. Zur „Einzelrichterzuständigkeit an Kollegialgerichten im Zivilprozess“ vgl. Stackmann 2008, S. 129.
- 14.
Zur Frage was geschieht, wenn die Klage beim unzuständigen Gericht eingereicht worden ist, s. § 281 sowie unten Rz. 235.
- 15.
Ihr Fehlen führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, wohl aber zur Verzögerung des Prozessbeginns – sei es, weil das Gericht selbst die Kopien anfertigt oder weil es dem Kläger deren Nachreichung aufträgt.
- 16.
Insbesondere diese Rechtsfolge veranlasste frühere Autoren, auf Seiten des Beklagten von einem Einlassungszwang zu sprechen; aufschlussreich dazu Braun 2003, S. 2225.
- 17.
Wird das Schriftstück z. B. aus dem Briefkasten gestohlen, bleibt dem Adressaten, der deshalb eine Frist versäumt, nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 233 (vgl. dazu Rz. 355 ff.).
- 18.
Vgl. dazu und zu den §§ 1067 ff. unten Rz. 1020 ff. Zur fortbestehenden Bedeutung des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen s. Heß lt. Lit.-Angaben, 2423 f. Zu diesem Übereinkommen s. noch BVerfG JZ 1995, 716 einerseits und BVerfG ZIP 2003, 1625 andererseits, zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Zustellung, mit der eine Klage auf US-amerikanischen Strafschadensersatz eingeleitet werden sollte. Als neuester Entwicklungsschritt nunmehr BVerfG RIW 2007, 211 (mit BVerfG NJW 2004, 3552). S. schließlich noch die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO), abrufbar unter: http://www.datenbanken.justiz.nrw.de/pls/jmi/ir_start.
- 19.
Vgl. § 270 dazu, welche Schriftsätze im laufenden Verfahren zuzustellen sind und wie andere Schriftsätze und Erklärungen der anderen Partei zur Kenntnis zu geben sind.
- 20.
Zur Kontrolle: Woher kennen Sie diesen Begriff ‚unverzüglich‘, und was bedeutet er?
- 21.
Dazu wer ‚der Richter’ ist, s. oben Rz. 211 f.
- 22.
Problematisch kann dieser Pragmatismus allenfalls im Hinblick auf den „gesetzlichen Richter“ i. S. d. Art. 101 I 2 GG werden, vgl. Jauernig 2007, I § 33 V 6.
- 23.
Da die Vollmacht des Anwalts allerdings nur auf Rüge hin geprüft wird, § 88 II, ist ein Verstoß gegen das im Text erwähnte Gebot regelmäßig unschädlich.
- 24.
Da sich das Gericht mit dieser Klage aber bereits beschäftigt hat, wird es in diesem Fall gleichwohl ‚die Klage‘ als unzulässig abweisen.
- 25.
Ist nicht § 89 in diesem Fall direkt anwendbar? Im Übrigen gilt für den Fall des nach Prozessbeginn eintretenden Verlustes der Postulationsfähigkeit § 244.
- 26.
A.A. etwa Jauernig I § 12 I.
- 27.
Beachte! Nicht gem. § 139 III! Denn § 39 setzt gerade eine Rüge voraus, ist also nicht von Amts wegen zu berücksichtigen.
- 28.
Freilich ist str., ob § 282 III auch für die Rüge nach § 39 gilt, s. BGH NJW 1997, 397, 398. Vgl. noch Rz. 245.
- 29.
S. auch Deubner 1996, S. 821.
- 30.
Beachte, dass sich damit hinter diesem Verbot die ganz pragmatische Einsicht des Gesetzgebers verbirgt, dass es nicht die eine, richtige Lösung eines Falls gibt, sondern dass zwei Richter zu durchaus unterschiedlichen Beurteilungen kommen können.
- 31.
Warum ist die Anwendung dieser Norm hier nur in Analogie möglich?
- 32.
Zur Kontrolle: Wer ist dieser „er“, wenn das Gericht ein Kollegialgericht ist?
- 33.
- 34.
Zur zweiwöchigen Mindestfrist s. § 274 III; die Berechnung der in der ZPO angeordneten Fristen erfolgt nach den §§ 221–226, wobei § 222 I auf die §§ 187–189 BGB verweist.
- 35.
S. auch § 129.
- 36.
Beim Kollegialgericht ist das grundsätzlich der Berichterstatter.
- 37.
Für eine Zustellung im Ausland beachte § 276 I 3.
- 38.
Aus § 331 III ergibt sich noch ein weiteres Erfordernis für den Erlass eines Versäumnisurteils. Um welches handelt es sich, und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Abfassung einer Klageschrift?
- 39.
Bereits die Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 merkt dazu an, dass eine vom Richter initiierte Versöhnung vor einem „nie gänzlich zu vermeidenden Zeit- und Kostenverlust bewahret“ und dass „aus fortgesetzten Rechtsstreitigkeiten leicht entstehende Animositäten und Verbitterungen abgewendet werden sollen“. Zur durch und durch neutralen Entscheiderrolle des anglo-amerikanischen Richters passt ein solches Einmischen übrigens nicht; da sind der Streit und seine Lösung Privatsache.
- 40.
Kritisch dazu allerdings Hager 2009, S. 171.
- 41.
Für die Zeit vor der mündlichen Verhandlung vgl. neben dem sogleich vorzustellenden § 282 II erneut die über § 296 I sanktionierten §§ 275 I 2, 277 I 1, III.
- 42.
- 43.
Reichold in: Thomas et al., § 146 Rn. 2.
- 44.
Im Lichte des Art. 103 GG wird aus dem „kann“ in § 283 ein „muss“.
- 45.
Für den Beklagten gibt es also ebenso wenig wie für den Kläger eine Verhandlungspflicht, sondern nur eine Verhandlungslast. Das heißt: Er ist nicht zum Tun verpflichtet, doch erwachsen ihm aus seinem Nichtstun u. U. nachteilige Konsequenzen.
- 46.
Halten Sie es für gerechtfertigt, dass das Gericht seine bisherigen Aktivitäten sofort und ungeprüft abbrechen muss, wenn der Beklagte ein derartiges Anerkenntnis abgibt, das überdies vielleicht gar nicht der materiellen Rechtslage entspricht?
- 47.
Unter ‚sofort‘ i. S. d. § 93 versteht man auch noch den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. – wenn ein schriftliches Vorverfahren gem. § 276 angeordnet ist – jedenfalls die Zeit bis zur Erklärung gem. § 276 I 1 (evtl. auch bis zur Klageerwiderung, BGH NJW 2006, 2490); außerdem rechnet der BGH dazu auch die Reaktion auf einen erstmalig schlüssigen Vortrag, BGH WM 2007, 695, 696.
- 48.
In besonders gelagerten Fällen kann eine derartige Strategie freilich auch einmal Schadensersatzansprüche gemäß §§ 823 II, 826 BGB auslösen, vgl. BGH NJW 2004, 446.
- 49.
Zur Erinnerung: Extensive, zumal einseitige richterliche Aufklärung kann zur Ablehnung durch die Gegenpartei als befangen führen! Vgl. Rz. 207.
- 50.
Dasselbe gilt selbstverständlich auch für den Kläger, wenn er auf eine Einwendung des Beklagten erwidert, d. h. repliziert. Infolgedessen wird im Text öfters der gegenüber dem ‚Beklagten‘ allgemeinere Begriff ‚Partei‘ verwendet.
- 51.
Jauernig (I § 25 V 3) weist zu Recht darauf hin, dass eine gewissenhafte Prüfung von Schlüssigkeit und Erheblichkeit des Parteivorbringens durch den Richter unnötige Beweisaufnahmen und damit Kosten wie Zeit sparen kann. Zu den Anforderungen an ein Fallenlassen des Bestreitens wichtig BGH ZIP 2008, 639.
- 52.
OLG Köln NJW-RR 1993, 573.
- 53.
S. etwa Medicus 2010, Rn. 133 ff.
- 54.
Natürlich genügt eine außerhalb des Prozesses vorgetragene Erklärung der Einrede. Für den Prozess ist jedoch entscheidend, dass der Richter von diesem Vorgang Kenntnis erlangt – wobei es egal ist, von wem.
- 55.
Was folgt aus dieser Formulierung: „Zu seiner Verteidigung“? Beachte im Übrigen, dass es auch vorkommen kann, dass der Kläger eine Gegenaufrechnung geltend macht; dazu Pawlowski (Lit.-Angaben).
- 56.
In eindeutigen Fällen wird der Kläger die unten, Rz. 519 ff., zu erörternde Erledigung des Rechtsstreits erklären.
- 57.
‚Grundsätzlich‘ bedeutet bei den Juristen bekanntlich: ,Nicht ausnahmslos‘. Kennen Sie bereits eine Ausnahme, in der ebenfalls dem Richter eine nur eventuelle Prüfung vorgeschrieben ist?
- 58.
Unten, Rz. 594 ff., wird zu zeigen sein, dass die erfolgreiche Geltendmachung eines Rechtsmittels immer von einer Beschwer durch die Entscheidung abhängig ist. Wer also kann im Falle eines Vorbehaltsurteils etwa die Berufung einlegen?
- 59.
Was könnte der Grund für diese Ausnahme sein?
- 60.
Zur Wiederholung: Wann muss nach h.M. auch bei der objektiven Klagenhäufung ein „Zusammenhang“ bestehen?
- 61.
Beachte: § 33 gilt gegenüber dem Dritten nicht, BGH NJW 1993, 2120.
Literatur
Aristoteles (1990) Der Staat der Athener. Oldenbourg Akademieverlag, Berlin
Braun J (2003) Einlassungszwang bei einer Klage auf Zahlung von 17 Mrd. Dollar? ZIP 27: 2225–2231
Deubner K (1996) Aktuelles Zivilprozessrecht. JuS 36: 821–825
Eckardt D (1997) Die Blankettbürgschaft. JURA 19: 189–196
Hager J (2009) Der Schutz der Persönlichkeit im Prozess. In: Buchheim V, Fuchs M, Roth H, Schiemann G, Wacke A (Hrsg) Perspektiven des Privatrechts am Anfang des 21. Jahrhunderts – Festschrift für Dieter Medicus zum 80. Geburtstag. Carl Heymanns, Köln, S. 171–180
Herzog R (1989) Reichskammergericht und Bundesverfassungsgericht. Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Wetzlar
Hirtz B (2006) Der Umgang mit der Wahrheit im Zivilprozess. AnwBl 56: 780–783
Jauernig O (2007) Zivilprozessrecht, 29. Auflage. Beck, München
Judicial group on strengthening judicial integrity (2002) The Bangalore Principles of judicial conduct. www.unodc.org/pdf/crime/corruption/judicial_group/Bangalore_principles.pdf
Koch H (2000) Prozessrechtslehre aus Anwaltssicht. JuS 40: 320–327
Medicus D (1995) Über die Rückwirkung von Rechtsprechung. NJW 48: 2577–2584
Medicus D (2010) Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl. C.F. Müller, Heidelberg
Nörr K (1981) Das Streitprogramm: eine historisch-vergleichende Skizze. In: Grunsky W (Hrsg) Festschrift für Fritz Baur. Mohr Siebeck, Tübingen, S 537–547
Nörr K (2012) Romanisch-Kanonisches Prozessrecht. Springer, Berlin
Ponnath H (1993) Der deutsche Widerstand und seine Richter. BRV-Nachrichten Sept 1993:3
Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO), http://www.datenbanken.justiz.nrw.de/pls/jmi/ir_start
Römermann V, Paulus C (2003) Schlüsselqualifikationen für Jurastudium, Examen und Beruf. Beck, München
Schmid J et al (1997) Der Rechtsfall – ein richterliches Konstrukt. Nomos, Baden-Baden
Sellert W (2009) Faires Verhalten im gerichtlichen Prozeß und Schikane. Zur Geschichte des Kalumnieneids. In: Avenarius M, Meyer-Pritzl R, Möller C (Hrsg) Ars Iuris – Festschrift für Okko Behrends. zum 70. Geburtstag. Wallstein Verlag, Göttingen, S 485–506
Stackmann N (2008) Einzelrichterzuständigkeit an Kollegialgerichten im Zivilprozess. JuS 48: 129–134
Stürner R (2010) Parteiherrschaft versus Richtermacht. ZZP 123:147–161
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
Copyright information
© 2013 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
Paulus, C. (2013). Prozessbeginn. In: Zivilprozessrecht. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-36352-8_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-36352-8_3
Published:
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-642-36351-1
Online ISBN: 978-3-642-36352-8
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)