Zusammenfassung
Bei der Herzneurose handelt es sich zunächst um keine Herzerkrankung im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine Angstneurose, die mit Ängsten vor einem Infarktgeschehen oder einem Herzstillstand, häufig mit phobischen Symptomen und einer starken Selbstbeobachtung einhergeht. Richter und Beckmann (1969) halten die „Herzneurose für eine Störung, ... deren Träger wegen auf das Herz bezogener Beschwerden zum Arzt gehen, ohne daß eine körperliche Grundkrankheit diese Beschwerden bewirkt“. Patienten mit einer Herzneurose klagen, im Gegensatz zu Patienten mit einer organischen Angina pectoris, über eine verwirrende Fülle von körperlichen Beschwerden. Bei einer depressiven Grundstimmung glauben sie subjektiv, schwer herzkrank zu sein und leben unter ständiger Angst vor einem neuerlichen Anfall und davor, in einem solchen dann sterben zu müssen. Schon Freud (1895) bezeichnete diesen Symptomenkomplex, der auch für die Klinik seinen didaktischen Wert beibehält, als „Angstneurose“. Eine Neurose, bei der eine massive Angst vorherrscht, ohne eindeutig bevorzugtes Objekt und bei der die Rolle funktioneller Faktoren manifest ist. Bereits für Freud stellten Psychodynamik und Persönlichkeitsstruktur wichtige Determinanten der Erkrankung dar, die herzbezogenen Körperbeschwerden betrachtete er als Epiphänomen. Freud rechnete die Angstneurosen zu der Gruppe der Aktualneurosen und vermutete in deren Ätiologie somatische Vorgänge, wie z. B. eine „toxische Libidostauung“. Die Aspekte des „somatischen Entgegenkommens“ wurden von den Nachfolgern Freuds entweder vernachlässigt oder psychoanalytisch interpretiert. Gerade bei der Herzneurose ist jedoch die neurotische Symptombildung eng mit einem somatischen Vorgang, nämlich dem sympathicovasalen Anfall, gekoppelt.
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Reindell, A., Wittich, G.H. (1982). Herzneurosen. In: Herzkrankheiten. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-96617-0_38
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