Zusammenfassung
Die Zeit nach dem großen Weltkrieg führte zu einer totalen Umwertung aller Werte, zur Verarmung der einen und Bereicherung anderer Volkskreise, zu einer die ganze Welt erschütternden inner- und außerpolitischen Gärung und Unruhe, verbunden mit einem heftigen Widerstreit zwischen Realismus und Idealismus, welch letzterer in seinen extremen Formen gerade, wo er sich auf medizinischem Gebiet äußert, sehr stark an die Romantik vor 100 Jahren erinnert. Die Politik wirkt stärker als je einmal zuvor auf die medizinischen und ärztlichen Probleme ein. Die Übersättigung mit einer oft oberflächlich gewordenen naturwissenschaftlichen Betrachtung der Heilkunde verführt manche zu einer ebenso einseitigen Überschätzung der Geisteswissenschaften für die Lösung ihrer Probleme, eine Reaktion gegen die experimentellexakte Medizin zu einer oft allzu optimistischen, aber im Kern gesunden Rückkehr zu empirischen, volkstümlichen und alten, von der fortschreitenden Wissenschaft vernachlässigten Heilmethoden. Allmählich geht aus den sich bekämpfenden Extremen der Versuch einer Synthese hervor, die in einer neuen wissenschaftlichen Heilkunde beiden gerecht zu werden bestrebt ist, das Ärztliche noch mehr betont als die Vergangenheit und den Spezialismus bei aller Anerkennung seiner Notwendigkeit und seiner Leistung ohne Einseitigkeit der Ganzheits-betrachtung des Menschen unterordnet. Naturnotwendig ergibt sich aus dieser Grundstimmung eine stärkere Berücksichtigung des Wissens und Könnens der alten Ärzte und eine zunehmende Bedeutung der Geschichte der Medizin (Neo-hippokratismus, Paracelsusrenaissance, Versuche einer Philosophie der Medizin) und des Studiums der Volksmedizin. Aber, was die Heilkunde in letzter Linie doch immer am weitesten bringt, bleibt die selbstlose, unauffällige Kleinarbeit am Krankenbett und im Laboratorium. Das zeigt sich nicht zum wenigsten in der Gründung und im schnellen Aufblühen eigener wissenschaftlicher Laboratorien, die zum Teil mit europäisch-nordamerikanischer Hilfe (Rockefeller-Institute) in Japan, China, Holländisch-Indien, Südamerika, Afrika, Australien entstehen. Trotz aller internationaler politischer und kriegerischer Verwicklungen bildet die gemeinsame Arbeit an gemeinsamen medizinischen Problemen ein vereinigendes Band (Gründung von internationalen medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften), wobei den außereuropäischen Völkern insbesondere in Ostasien und Südamerika in den der Erforschung und Bekämpfung der bei ihnen heimischen besonderen Infektions- und Tropenkrankheiten eine Sonderaufgabe erwächst. Große Förderung erfahren in Deutschland unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Weltanschauung die Rassenhygiene und Eugenik.
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Aschoff, L., Diepgen, P. (1936). Grundzüge der jüngsten Entwicklung der Heilkunde. In: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. J.F. Bergmann-Verlag, Munich. https://doi.org/10.1007/978-3-662-29965-4_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-29965-4_5
Publisher Name: J.F. Bergmann-Verlag, Munich
Print ISBN: 978-3-662-29821-3
Online ISBN: 978-3-662-29965-4
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