Zusammenfassung
Bildung und Hochaltrigkeit ist eine ungewohnte Zusammenstellung von Begriffen — ihr Zusammenhang ist bis vor kurzem weder in der öffentlichen noch innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion zur Sprache gekommen. Im letzten Jahrzehnt beschäftigte sich die gerontologische Forschung akzentuiert mit den Kompetenzen des Alters und den jungen Alten: das Alter wird beschrieben als eine Lebensphase, in der sich die Menschen — befreit von den Zwängen des Geldverdienens und dennoch bei relativ guter Gesundheit — verstärkt ihren eigenen Interessen widmen können. Das „dritte Alter“ nach der Entberuflichung wird als eigenständige Lebensphase der Selbsterfüllung gepriesen (Laslett 1995). Die zur Bezeichnung in der einschlägigen Fachliteratur üblichen Begriffsbildungen vom „erfolgreichen“, „produktiven“ und „kompetenten“ Altern zeigen jedoch an, daß die Bewertungskriterien, mit denen die Phase der Berufstätigkeit im mittleren Erwachsenenalter gewöhnlich beschrieben wird, im Hinblick auf das „dritte Alter“ fortgeschrieben werden. Entsprechend lassen sich auch Bildungsangebote zu produktivem und erfolgreichem Altern finden, dem „vierten Lebensalter“, der Hochaltrigkeit, wird derartige Aufmerksamkeit jedoch nicht entgegengebracht: Von dem britischen Soziologen Laslett (1995: 277ff.) als Phase des endgültigen Verfalls, der Abhängigkeit und der Altersschwäche beschrieben, kann die Lebenszeit zwischen 75 und 105 Jahren den Beurteilungskriterien früherer Lebensphasen nicht genügen. So bleibt sie — trotz zunehmenden Interesses für die Bildung der jungen Alten an Volkshochschulen, Seniorenakademien und Universitäten — von Bildungsanbietern weitgehend unbeachtet. Diese drohen zu einer Lobby der „aktiven, gesunden Alten“ zu werden und passive Alte zu vergessen (Lepenies 1996: 381). Jugendlichkeit, Aktivität und eine autonome Lebensführung sind vorherrschende in Bildungsangeboten implizierte Alternsziele, während einem Leben in Immobilität und Abhängigkeit — etwa bei Pflegebedürftigkeit — der Beigeschmack des mißlungenen Alters anhaftet. Während die jungen Alten derzeit auch im Hinblick auf ihren möglichen gesellschaftlichen Nutzen im Gespräch sind, wird den ganz alten Menschen in unserer Gesellschaft kein Nutzen für die Gesellschaft mehr zugeschrieben — sie werden im Gegenteil eher als „Altenlast“ bezeichnet. Dementsprechend wendet man sich ihnen wohl im Sinne von Behandlung, Betreuung, Unterstützung und Pflege zu, nicht jedoch mit Angeboten zu Bildung oder gesellschaftlicher Teilhabe. Sie werden eher als Objekte von Zuwendung denn als Subjekte im Austausch und Zusammenleben der Generationen verstanden.
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Bubolz-Lutz, E. (2000). Bildung und Hochaltrigkeit. In: Becker, S., Veelken, L., Wallraven, K.P. (eds) Handbuch Altenbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10248-9_35
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