Zusammenfassung
Um den Zweck dieser Zeilen deutlich zu machen, ist es nothwendig, einiges vorauszuschicken. Sie haben vielleicht gesehen, dass Darboux’s bulletin einen ausführlichen Auszug von einer Anzahl meiner Arbeiten über die Theorie der homogenen Functionen von beliebig vielen Differentialen gebracht hat. Herr Darboux forderte mich 1872 auf, einen soichen Auszug zu verfassen, indem er mir die Sprache überliess. Von meinem deutschen Manuscript hat der zweite Herausgeber des bulletin, Herr Hoüel, mit vieler Sorgfalt die erschienene französische Übersetzung angefertigt, der auch für Liouvilles Journal die Übersetzungen der ursprünglich deutschen Dirichletschen Arbeiten gemacht hat, und da Herr Hoüel sich stets sehr teilnehmend und liebenswürdig gezeigt, so bin ich mit ihm seitdem in einem gewissen Verkehr geblieben. Als ich kürzlich eine Veranlassung hatte, ihm zu schreiben, sprach ich ihm einen Gedanken aus, den ich schon lange hege.
Fußnoten und Anmerkungen folgen auf S. 102
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen und Fußnoten
Richard Dedekind (1831–1916) steht wegen seiner grundlegenden Arbeiten zur algebraischen Zahlentheorie, Algebra, Begründung der Analysis und Mengenlehre seit einiger Zeit im Mittelpunkt des Interesses der Mathematikhistoriker (vgl. z.B. Dugac [1976], Neumann-Purkert [1981], Scharlau [1981], [1982] und weitere dort angegebene Literatur). Er war Schüler und enger Freund sowohl von Dirichlet als auch von Riemann, an deren Arbeiten sich viele seiner eigenen Forschungen anschlossen. Weitere wesentliche Anregungen verdankte er Kummer und Galois (1811–1832). überhaupt war es für seine Arbeitsweise charakteristisch, daß er das Werk anderer Mathematiker auf das genaueste durcharbeitete, um es dann mit eigenen wegweisenden Beiträgen von unübertroffener Klarheit weiterzuführen. Nach Promotion und kurzer Privatdozentenzeit in Göttingen wirkte er vier Jahre in Zürich und ab 1862 in seiner Heimatstadt Braunschweig, wo er sich wohl bewußt etwas abseits von den Zentren mathematischer Forschung hielt.
Wie er selbst und sein Werk sind auch die vielen von ihm erhalten gebliebenen Briefe: Ohne den kleinsten Fehler in gestochen klarer Schrift geschrieben, verbindlich im Ton, deutlich und informativ in der Sache, von kompromißloser Präzision, wenn es um seine eigenen Überzeugungen und Prinzipien geht.
Der Briefwechsel mit Lipschitz dürfte nahezu vollständig erhalten sein. Von Dedekinds Briefen, die zu den berühmtesten der Mathematik des 19. Jahrhunderts gehören, gibt es nicht nur die Originale, sondern auch seine eigenen Konzepte und Abschriften, die sich ebenso wie Lipschitz’ Briefe in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (UBG) befinden (Cod. Ms. Dedekind), der wir für die Genehmigung zur Veröffentlichung danken. Ein größerer Teil des Briefwechsels ist bereits publiziert, wenn auch etwas verstreut und jeweils ohne die Gegenbriefe. Es erschien deshalb zweckmäßig, den wichtigsten Teil dieser mathematik-historisch bedeutsamen Korrespondenz hier zusammenhängend abzudrucken.
Fußnoten
Dieser Brief (UBG, Cod Ms Dedekind XIV, 1, 136) eröffnet den wichtigsten Teil der Korrespondenz.
Die erste Version von Dedekinds epochemachender Begründung der algebraischen Zahlentheorie war 1971 im Supplement X der 2. Auflage von Dirichlets Vorlesungen über Zahlentheorie erschienen. Neben den Grundlagen der algebraischen Zahlentheorie werden in dieser Arbeit die grundlegenden Begriffe der Algebra (Körper, Ring, Ideal und Modul) eingeführt. Lipschitz hat sicher recht, wenn er meint, daß diese Arbeit weitgehend unbeachtet geblieben Sci. Daß er sich bemühte, für eine weitere Verbreitung zu sorgen, war sehr verdienstvoll.
Die folgenden Briefe von Dedekind an Lipschitz mit den Nummern 3, 5, 1, 9, 14 sind in ihren wesentlichen Teilen schon in Dedekinds Gesammelten Mathematischen Werken Bd 3 abgedruckt.
Diese Arbeit wurde offenbar nicht mehr fertiggestellt, sondern durch die im Bulletin ersetzt.
An kaum einer Stelle kommen Dedekinds Überzeugungen so deutlich zum Ausdruck wie in diesem Abschnitt.
Vgl. z.B. Dedekinds Arbeiten Nr. XII, XV, XIX, XXIV, XXIX in seinen Mathematischen Werken, die überwiegend schon Anfang der 70er Jahre fertiggestellt waren aber z.T. erst viel später veröffentlicht wurden.
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 137.
Lipschitz’ mangelndes Verständnis der Untersuchungen Dedekinds kommt hier ziemlich kraß zum Ausdruck. Der Vergleich mit Weierstrass/Kossak ist ziemlich abwegig, da es dort um den Aufbau des Zahlensystems (aus den natürlichen Zahlen) geht.
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 138.
Hier wird deutlich, wie schwierig es gewesen sein muß, überhaupt die richtige Definition der ganzen algebraischen Zahlen zu finden. Dedekind geht in seiner Antwort ausführlich auf diesen Fehlschluß ein.
Dieser Abschnitt bezieht sich auf eine Fußnote Dedekinds zu der Bulletin-Arbeit (vgl. Werke III, S. 269) . Es wird deutlich, daß Lipschitz den Kernpunkt von Dedekinds “Stetigkeit und irrationale Zahlen” nicht richtig verstanden hatte. Dedekind geht im nächsten Brief in größter-Ausführlichkeit auf diesen Punkt ein.
Auch dies ist eine berühmte Bemerkung Dedekinds, der hier die Notwendigkeit invarianter Definitionen — ein Kernpunkt der “modernen Mathematik” — hervorhebt. Es wäre interessant genau zu wissen, an welche “Riemannschen Prinzipien” er dabei gedacht hat.
UBG, Cod Ms Dedekind XIV, 1, 139.
Vom heutigen Standpunkt erscheinen Lipschitz’ Ausführungen zur Begründung der reellen Zahlen einigermaßen verworren, insbesondere der Verweis auf die “Grundeigenschaft einer Linie”. Sie zeigen aber, wie fest diese Vorstellungen im Bewußtsein der Mathematiker verankert waren und welche Widerstände Dedekind (und auch Weierstrass und andere) überwinden mußten.
UBG, Cod- Ms Dedekind XIV, 1, 140.
Mit diesem Brief endet die Korrespondenz über die Idealtheorie und Begründung der Arithmetik. Bei Dedekind dürfte eine gewisse Enttäuschung, daß er zwar nicht auf Interesselosigkeit aber doch auf mangelndes Verständnis gestoßen ist, zurückgeblieben sein.
UBG, Cod Ms Dedekind XIV, 1, 141 bzw. 142.
Dieser Brief bezieht sich zunächst auf Riemanns Arbeit “Commentatio mathematica...”, 1876 zum ersten Mal publiziert in dessen Gesammelten Werken, S. 370–399. Dedekind hatte z.T. die weggelassenen Rechnungen ergänzt. Die geplante Arbeit Lipschitz’ wurde unter dem Titel “Bemerkungen zu dem Princip des kleinsten Zwanges” in Grelles Journal 82 veröffentlicht; sie ist datiert vom 13.11.1876. Der weitere Inhalt dieses Briefes ist wohl im wesentlichen in diese Arbeit eingegangen. Deshalb wird auf einen weiteren Abdruck dieses nur mit Mühe zu entziffernden Briefes verzichtet.
Diese Manuskripte scheinen im Nachlaß Dedekinds nicht mehr vorhanden zu sein; es wurde allerdings nicht gezielt nach ihnen gesucht.
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 144.
Es handelt sich um die Arbeit “Über die Anzahl der Idealklassen ...”, Werke Bd 1, Nr. XII.
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 146.
Aus der Begegnung mit Hennite ergab sich eine lebenslange enge Bekanntschaft. (Vgl. Briefwechsel mit Hermite.)
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 147.
Um das Prinzip des kleinsten Zwanges ging es auch in Brief Nr. 13 und 14. Vgl. Fußnote 19.
Lipschitz1 “Lehrbuch der Analysis”, 2 Bände, 1877/80, war eines der ersten “modernen” einführenden Lehrbücher über dieses Gebiet. (“Modern” heißt vor allem unter Berücksichtigung des Neuaufbaus durch Cauchy und Weierstrass, d.h. unter systematischer Benutzung des Grenzwertbegriffs.)
Dedekind lehnt es ab, die in Fußnote 19 erwähnte Arbeit von Lipschitz zu referieren, da in dieser Schering mehrere Irrtümer nachgewiesen werden.
UBG, Cod Ms Dedekind, XIV, 1, 148.
Es handelt sich um “Schreiben an Herrn Borchardt ...”, Dedekind Werke, Bd. 1, Nr. XIV.
Im Nachlaß Lipschitz nicht vorhanden; hier abgedruckt nach Dedekinds Abschrift (UBG, Cod Ms Dedekind, XIII, 57); auch veröffentlicht bei Dugac [1976].
Es wäre interessant zu wissen, woran Dedekind an dieser Stelle denkt, . denn bis in die neueste Zeit ist die Ansicht vertreten worden, daß die reine Gleichung nur mittels trigonometrischer Funktionen gelöst werden könne. (Vgl. aber J.E. Littlewood, J. London Math. Soc. 16, 95–98 (1941).)
UBG, Cod Ms Dedekind XIV, 1, 149 bzw. 150.
R. Fricke (1861–1930) wurde später Dedekinds Nachfolger in Braunschweig.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1986 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Lipschitz, R. (1986). Briefwechsel mit Richard Dedekind. In: Scharlau, W. (eds) Briefwechsel mit Cantor, Dedekind, Helmholtz, Kronecker, Weierstrass und anderen. Dokumente zur Geschichte der Mathematik, vol 2. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14205-8_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-14205-8_8
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-528-08969-6
Online ISBN: 978-3-663-14205-8
eBook Packages: Springer Book Archive