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Part of the book series: WV studium ((WVST,volume 54/55))

Zusammenfassung

Die herrschende methodologische Position in der zeitgenössischen Soziologie geht davon aus, dass Handlungsmuster (im Sinne von „Gestalten“) nach dem deduktiven Erklärungsmodell der Naturwissenschaften zu analysieren sind (1). HERBERT BLUMER ist dieser Position wiederholt entgegengetreten (1954, 1956, 1966a) und hat ihr gegenüber eine theoretische Konzeption vertreten, nach der soziale Interaktion als ein interpretativer Prozess aufzufassen ist. In der an seine Veröffentlichungen anschliessenden Diskussion sind gewichtige Fragen, die er aufgeworfen hat, leider eher verdunkelt als geklärt worden (2). Ausgehend davon, dass die von BLUMER aufgeworfenen Fragen von grundlegender Bedeutung für die Soziologie sind, soll in diesem Aufsatz zunächst die theoretische Konzeption der sozialen Interaktion als eines interpretativen Prozesses noch einmal dargestellt werden, und es sollen sodann die methodologischen Probleme erörtert werden, die sich mit dieser Konzeption im Hinblick auf die Beschreibung von Verhalten und die Erklärung von Handlungsmustern verbinden. Dies geschieht in der Hoffnung, damit einen weiteren Beitrag zur Klärung des Wesens soziologischer Analyse leisten und darüber hinaus Soziologie und Ethnomethodologie in eine fruchtbare Perspektive rücken zu können. Es geht hier also weniger um eine Würdigung der bereits sichtbaren Leistungsfähigkeit der theoretischen Konzeption, soziale Interaktion als einen interpretativen Prozess anzusehen, sondern mehr um die methodologischen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn man diese Position bezieht.

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Anmerkungen

  1. Vom Autor überarbeitete Fassung von WILSON (1970); Übersetzung mit Genehmigung der American Sociological Association. Der Verfasser dankt THOMAS J.SCHEFF, TAMOTSU SHIBUTANI, CHARLES B.SPAULDING, BRUCE C. STRAITS, PAUL WUEBBEN und besonders AARON V. CICOUREL, D.LAWRENCE WIEDER und DON H.ZIMMERMAN für wertvolle Kommentare und Vorschläge und RUDI-GER KRAUSE für die in sprachlicher wie sachlicher Hinsicht sachverständige Mithilfe bei der Überprüfung der Übersetzung. Wer die Arbeiten von HAROLD GARFINKEL kennt (1952, 1959, 1967), wird wissen, was der Verfasser ihm verdankt.

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  2. Zum Konzept der deduktiven Erklärung vergleiche KAUFMAN (1144, S.68–69), HEMPEL und OPPENHEIM (1948) und NAGEL (1961). Dem Modell der deduktiven Erklärung sind verpflichtet die soziologischen Ansätze von HOMANS (1964, 1967), ZETTERBERG (1965), RUDNER (1966) und BLALOCK (1969, S.1–3). Sehr viel häufiger wird dieses Erklärungsmodell implizit und versteckt vertreten, so etwa von DUBIN (1969, insbes. 5.166, 17o-171), GREER (1969, S.123), PARSONS (1937, S.6, 24; 196o, S.468), MERTON (1968, S.41, 15o), SMELSER (1968, S.14–15), STINCHCOMBE (1968), GIBBS (1968) und WALLACE (1969, S.3). An nahezu jedem einführenden Textbuch der Soziologie und an nahezu jeder Einführung in die Methoden der empirischen Sozialforschung in den USA lässt sich die Verpflichtung auf das naturwissenschaftliche Modell ablesen.

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  3. Vergleiche BALES (1966), BLUMER (1966b), WOELFEL (1967), STONE und FARBERMAN (1967) und BLUMER (1967). Die Diskussion konzentriert sich vor allem auf die Frage, ob das Werk von G.H.MEAD richtig verstanden wurde, und sie bekommt die von BLUMER aufgeworfenen methodologischen Probleme eigentlich nicht in den Griff.

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  4. Selbst ausgesprochen behavioristisch orientierte Autoren wie HOMANS (1961) benutzen, wenn sie sich mit sozialen Phänomenen beschäftigen, umgangssprachliche Kategorien sinnvollen Handelns, um das “Verhalten” (im Sinne von blossen Bewegungen ohne Bezug auf Bedeutung und Sinn) zu identifizieren, das sie erklären wollen. Sie schlagen keine andere Definition ihrer Phänomene vor, und erst recht entwickeln sie keine expliziten Kriterien und versäumen zu zeigen, dass diesen in ihrer Arbeit entsprochen wird.

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  5. NAGEL (1961) hat dies die “ontologische These” des methodologischen Individualismus genannt, was keine Verpflichtung auf den Reduktionismus einschliesst.

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  6. Zur Bedeutung von normativen Regeln vgl. HOMANS (1961, S.13), COLEMANN (1968b) und vor allem LINTON (1936), PARSONS (1937, 1951a, 1961), PARSONS UND SHILS (1951) und MERTON (1968) sowie alle, die an diese Autoren anknüpfen.

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  7. Das Konzept der dokumentarischen Interpretation hat GARFINKEL in überarbeiteter Form von MANNHEIM entlehnt (MANNHEIM 1952, S.53–63; vgl. die neuere deutsche Fassung: MANNHEIM 1964). Der Ausdruck “indexikalisch” wird von BAR-HILLF L (1954) übernommen, der unter einem indexikalischen Ausdruck einen solchen versteht, der in seiner Bedeutung von dem Kontext abhängt, in dem er hervorgebracht wird. Nimmt man es genau, müsste hier von “essentieller Indexikalität” die Rede sein, um anzuzeigen, dass es im Prinzip unmöglich ist, die Abhängigkeit vom Kontext zu eliminieren, wenn eine unauflösbare Interdependenz von Teilen und Ganzem besteht. Vgl. GARFINKEL und SACKS (1972).

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  8. Dies gilt sogar, wenn man feste Beobachtungskategorien verwendet wie etwa BALES (1951). Um eine Handlung als Beispielsfall einer bestimmten analytischen Kategorie klassifizieren zu können, muss der Beobachter dem Handelnden Motive oder Einstellungen zuschreiben und den anderen Handelnden identifizieren, auf den die Handlung gerichtet ist. Mit anderen Worten: der Beobachter muss die Bedeutung des Handelns in dessen Kontext entscheiden.

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  9. Der einzige Weg, dies zu umgehen, könnte darin bestehen, dass man auf das Interesse am Handlungsmuster verzichtet und solche deskriptiven Kategorien einsetzt, die auf Merkmalen beruhen, die in allen möglichen Reinterpretationen der Handlungen invariant bleiben. Die Merkmale, auf denen die Beschreibung beruht, müssten dann unabhängig sein von der ganzen Breite der Bedeutungen, die den konkreten Verhaltensformen (im Sinne von blossen Bewegungen) zugeschrieben werden können. Dann aber würde der Handlungsbegriff selbst irrelevant werden, und er wäre in der Tat im Rahmen eines solchen Kategoriensystems nicht mehr definierbar.

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  10. Diesen Gedanken hat BLUMER (1954, 1956) hervorgehoben. Das Konzept der essentiellen Indexikalität erlaubt es jedoch, das Argument sehr viel schärfer herauszuarbeiten, weil es die Diskussion in einen klaren logischen Kontext versetzt (BAR-HILLEL 1954; QUINE 1960, 1961). Es sollte angemerkt werden, dass auch BUCKLEY (1967) Theoriekritik innerhalb des normativen Paradigmas getrieben hat. Doch es wird wenig erreicht, wenn man die Metaphorik des “allgemeinen Systems” einführt, solange die fundamentalen deskriptiven Probleme nicht gelöst sind. Ferner sollte erwähnt werden, dass, wenn auch das interpretative Paradigma zu erheblichen Teilen innerhalb des symbolischen Interaktionismus formuliert wurde, nicht alle Varianten des symbolischen Interaktionismus auf diesem Paradigma aufruhen. So wird z.B. der Begriff des “signifikanten Symbols” häufig gebraucht in Anwendung auf eine Geste, die bei dem, der sie gebraucht, die “gleiche Antwort” hervorruft wie bei ihrem Empfänger. Insofern solche Vorstellungen in einem ähnlichen Sinne zum Zuge kommen wie dies für den Begriff der “Kultur” gilt, stützt man sich eher auf das normative als auf das interpretative Paradigma, auch wenn sich die Terminologie etwas von der unterscheidet, die im Rahmen des normativen Paradigmas gebräuchlich ist. Es wäre daher angebracht, wenn man jene symbolisch-interaktionistischen Ansätze, die in strengem Einklang stehen mit der interpretativen Deutung von Interaktion (wie bei BLUMER und TURNER) als “radikalen symbolischen Interaktionismús” bezeichnen würde.

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  11. Tatsächlich werden die Erfordernisse deduktiver Erklärung nie völlig und rigoros erfüllt. Der springende Punkt ist vielmehr, dass solche Erklärungen immer, wenn man das wünscht, in logische r Hinsicht rigoroser gemacht werden können: implizite Voraussetzungen können explizit gemacht werden, informelle Definitionen können präzisiert werden und ausgelassene logische Schritte können nachgeholt werden.

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  12. Zum Problem der impliziten, nicht offengelegten, selbstverständlichen Verfahren in der naturwissenschaftlichen Forschung vgl. BRIDGEMAN (1927, 1951), CAMPBELL (1920, 1921), KAUFMAN (1944) und KUHN (1961, 1962). (Anmerkung der Herausgeber): Der Verfasser meint hier, “that the scientist himself relies an his own taken-for-granted naive perceptions of things in the world as a basis for all his scientific work ” (briefliche Erläuterung). Insofern auch der Wissenschaftler über seine spezifischen Selbstverständlichkeiten verfügt, und insofern sich diese untereinander zu einem Wissenssystem eigener Art verbinden, verfügt auch er über sein Alltagswissen. Verfehlt wäre es, “Alltagswissen” etwa allein dem “Mann auf der Strasse” zuzuschreiben und davon das “wissenschaftliche Wissen” zu unterscheiden.

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  13. Hierin könnte möglicherweise eine Alternative zu QUINES Zutrauen in den Begriff der Stimulus-Bedeutung bestehen, das sich aus seinem Festhalten an der Ansicht ergibt, dass die Angemessenheit der Umschreibung eines Satzes stets von dem Zweck abhängt, zu dem dieser Satz ursprünglich geäussert wurde (QUINE 1960, S.31ff). Das Hauptproblem des Konzepts der Stimulus-Bedeutung liegt darin, dass QUINE (1960, S.34) gezwungen ist, den Stimulus als ein logisches Universal zu sehen, was dann sofort die Frage aufwirft, wie denn zwei konkrete Vorkommnisse als Fälle des “gleichen” oder “unterschiedlicher” Stimuli erkannt werden. Es muss jedoch betont werden, dass damit QUINES Kritik an der Synonymie und an der Möglichkeit einer objektiv richtigen Übersetzung nicht hinfällig ist, da sein Argument auch dann durchschlägt, wenn es keine stimulus-synonymen Sätze gibt. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass u.a. KATZ (196:) und LEWIS (1969) sich um eine Widerlegung der Kritik QUINES an der Synonymie und dem damit verbundenen Begriff der Analytizität bemüht haben. KATZ’ Versuch schlägt darum fehl, weil er die Existenz eines “Lexikons ” voraussetzt, in dem jedes Wort eine fest umschriebene Stellung einnimmt, die seine Bedeutungen erschöpfend und abschliessend festlegt; die Bedeutungen von Sätzen werden demgemäss aus den Bedeutungen der Wörter vermittels grammatikalischer Regeln konstruiert. Diese Auffassung ist jedoch darum unhaltbar, weil sie keine Möglichkeit zur Behandlung des Problems hinweisender Sätze bietet und ferner das Problem bleibt, in welcher Sprache denn das “Lexikon” selbst geschrieben werden muss, um Zirkularität, infiniten Regress oder völlige Kontradiktion im Sinne des Grellingschen Paradoxon zu vermeiden. (QUINE 1970, S.44–46; 53; LORENZ 1970, S.37–63, ins-bes. S.42–47). LEWIS gerät mit seiner Analyse darum in Schwierigkeiten, weil sie auf dem Begriff einer “möglichen Welt” basiert: ein Satz ist dann und nur dann analytisch, wenn er in jeder möglichen Welt wahr ist. Nun beruht aber, wie LEWIS selber bemerkt (1969, S.207), jede hinreichende Explikation des Konzepts der möglichen Welt auf einer vorgängigen Festsetzung von Analytizität, so dass der Begriff “mögliche Welt” im Status des (undefinierten) ursprünglichen Begriffs belassen werden muss. Das mag zwar für LEWIS’ philosophische Zwecke kein Problem sein, erinnert jedoch nichtsdestoweniger an QUINES Argument, dass es eine absolute universelle Unterscheidung zwischen analytischen und nichtanalytischen Sätzen in den natürlichen Sprachen nicht gibt und folglich auch keine absolut gültige Feststellung der Synonymität zweier Sätze. Vielmehr muss die Synonymität zweier Sätze in Abhängigkeit von den Zwecken und Intentionen derjenigen, die diese Sätze benutzen, von Fall zu Fall von uns bestimmt werden.

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  14. Das Hervorheben konzeptueller und logischer Klarheit als anwendbare Prüfsteine der Kritik für die Entwicklung deduktiver Erklärungen steht in deutlichem Gegensatz zu dem Handeln in den praktischen Angelegenheiten des Alltags. In praktischen Betätigungen muss man nur so präzise und rigoros sein, wie es erforderlich ist, um die jeweiligen Zwecke zu erreichen; besteht man auf mehr, wird man als Obstruktionist oder sonst irgendwie anstössiger sozialer Typ angesehen (vgl. GARFINKEL 1960).

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  15. D.h. natürlich nicht, dass Verhalten keine abbildend beschreibbaren oder “objektiven” Folgen hat. Der springende Punkt ist vielmehr, dass das Verhalten und seine Folgen soziologische Relevanz erst gewinnen, wenn sich andere Handelnde in der Gesellschaft interpretierend darauf beziehen. NAGELS. Beitrag zur Diskussion dieses Problems (1961, S.475f) verfehlt also den wesentlichen Punkt.

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  16. Dies ist wichtig angesichts der Auffassung von QUINE (1960), dass die Adäquatheit einer Paraphrase eines gegebenen Satzes (d.h. eine Beschreibung dieses Satzes nach seiner Bedeutung) immer abhangt von den Zwecken, die von der Person verfolgt werden, die den Satz gebraucht. So sind Beschreibungen auch in den Naturwissenschaften indexikalische Ausdrücke, können jedoch, wenn erforderlich, durch entsprechende, annähernd zeitlos gültige Sätze paraphrasiert werden, indem man sich auf die als gesichert erfahrene und gemeinsam geteilte Kompetenz der wissenschaftlichen Kollegen verlässt, - obwohl dies, wie QUINE selbst (1960, S.227) feststellt, in der Praxis nur selten getan wird. Diese Strategie steht jedoch nicht zur Verfügung, wenn die zu beschreibenden Objekte selbst Handlungen sind, oft genug in der Form von Äusserungen. In diesem Falle hängt die Adäquatheit der Beschreibung oder Paraphrase ab von den Absichten und Zwecken, die der Beteiligte verfolgt, d.h. von der Bedeutung der Beschreibung für den Handelnden, - was man als erstes zu beschreiben versucht (vgl. auch die Literaturhinweise zu Anm. 12).

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  17. Wenn solche Muster abbildend beschrieben werden könnten, würden diese Beschreibungen umgekehrt abbildende Beschreibungen von Aspekten der Teilhandlungen liefern, - was, wie festgestellt wurde, einschliesst, dass diese letzteren Beschreibungen gegenüber allen möglichen Bedeutungszuschreibungen an das ursprüngliche konkrete Verhalten invariant sein müssten, womit sie für die Analyse der Handlung irrelevant würden. Ermittelt man daher Merkmale des sozialen Kontextes als Grundlage dafür, spezifische Situationen zu “strukturieren” (BLUMER 1962, S.187; 1966a, S.541), dann schafft man eine weitere Interpretation. Mit anderen Worten: wenn der Beobachter die Art und Weise untersucht, in der unterschiedliche Perspektiven oder Situationsdefinitionen auf Merkmale des sozialen Kontextes (Gruppenmitgliedschaft, Status, Klasseninteresse, soziale Hintergrundsdaten) bezogen sind, werden sowohl die abhängigen wie die unabhängigen Variablen durch eine interpretative und nicht durch eine abbildende Beschreibung gewonnen. Wenn dies auch völlig legitim, ja in der Tat notwendig ist, um Handlungsmuster verstehen zu können, so legt es doch keine Grundlage für abbildende Beschreibung.

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  18. Von diesem Standpunkt aus muss eine Polemik wie die von HOMANS (1964, 1967) als völlig verfehlt angesehen werden. In der Tat beruhen HOMANS Bemühungen um deduktive Erklärungen (1961) völlig auf Metaphern und ad-hocReinterpretationen von als fest angenommenen Begriffen und zugrunde liegenden Prinzipien. Dies heisst natürlich nicht, dass seine Erklärungen notwendig schlecht sind, sondern nur, dass sie nicht als deduktiv im strengen Sinne betrachtet werden können.

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  19. Viel Konfusion ist unter englisch-sprechenden Wissenschaftlern über die wissenschaftstheoretische Position von MAX WEBER dadurch verursacht worden, dass das deutsche Wort “Wissenschaft” durchweg durch das englische Wort “science” übersetzt worden ist. Ursprünglich bedeutete das englische Wort “science” so viel wie rationale intellektuelle Disziplin oder Gelehrsamkeit, was der deutschen Bedeutung von “Wissenschaft” nahe kommt. Heute aber wird “science” in der englisch-sprechenden Welt in einem sehr viel engeren Sinne verstanden, entsprechend der Bedeutung, die im deutschen Sprachgebrauch mit “Naturwissenschaft” verknüpft ist. Wenn man in englischen Übersetzungen der Schriften von MAX WEBER statt “science” und “scientist” die Worte “scholarship” und verwenden würde, wür- de man seinen Gedanken nicht nur in anderer Weise folgen, als dies heute gemeinhin üblich ist, sondern sie würden auch eine neue Konsistenz gewinnen. Insbesondere die Auseinandersetzung, die PARSONS (1937) mit MAX WEBER und dessen Konzept des Idealtypus getrieben hat, scheint insofern völlig in die Irre zu gehen, als hier WEBER dargestellt wird als Vertreter eines Verständnisses von Soziologie als Wissenschaft in jenem engeren Sinne, wie er dem Verständnis von “Naturwissenschaft” eignet. Ähnlich übergeht MERTON (1968, S.28f) WEBERS Bemerkungen darüber, wie Ideen fortlaufend ersetzt und durch neue interpretiert werden, was WEBER für alle Formen der Wissenschaft gelten lassen will.

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  20. Es muss hervorgehoben werden, dass quantitative Methoden, wie sie etwa in der Umfrageforschung verwendet werden, auch innerhalb des interpretativen Paradigmas anwendbar bleiben. Es muss nur klar sein, dass Daten, die in der Umfrageforschung gewonnen werden, keine abbildenden Be- schreibungen sind. Man kann die Zusammenhänge, die zwi- schen Markierungen bestehen, die in Fragebogen eingetra- gen werden, untersuchen, und man kann das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein einer Markierung abbildend beschreiben. Doch wenn ein solches Unterfangen mehr sein soll als eine Übung in Statistik, muss den Markierungen eine soziologische Signifikanz zugeschrieben werden, und CICOUREL (1964) hat aufgezeigt, dass die Verbindung zwischen den in den Fragebogen eingetragenen Markierungen auf der einen Seite und den sozialen Phänomenen, auf die sie sich, wie angenommen wird, beziehen, auf der anderen Seite, auf interpretative Weise und nicht abbildend hergestellt wird.

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  21. Heute gängige Versionen im symbolischen Interaktionismus werden diesen Problemen nicht voll gerecht, insofern Begriffe wie “signifikantes Symbol” oder “gemeinsame Definition” häufig recht unkritisch gebraucht und zudem zu wenig Augenmerk auf die Merkmale der Wiederholbarkeit, Stabilität und Regelmässigkeit in grösseren Segmenten des gesellschaftlichen Lebens gerichtet wird (vgl. BLUMER 1962, S.187; 1966a, S.541; DENZIN 1969, S.923). Auch wo solche und ähnliche Gedanken in der Diskussion um makrosoziale Phänomene im symbolischen Interaktionismus eine wesentliche Rolle spielen, wird doch zu wenig berücksichtigt, dass die Identifizierung und die Beschreibung solcher Elemente in sozialen Phänomenen ihrerseits Interpretationen seitens des Beobachters sind.

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  22. Wo diese thematische Verlagerung nicht erkannt wird, stellen sich fundamentale Mißverständnisse ein wie etwa bei COLEMAN (1968a) und DENZIN (1969). Vgl. hierzu die scharfsinnige Analyse der Ausführungen von COLEMAN durch ISRAEL (1969). Bei aller sonstigen Kongenialität seines Beitrages verfehlt auch DENZIN diesen zentralen Punkt. So stellt er etwa fest (1969, S.922), dass die Methode der dokumentarischen Analyse in der Ethnomethodologie als bevorzugte Strategie herausgestellt werde. Der springende Punkt ist aber,dass es keinen anderen Weg gibt, Soziologie zu treiben, und dass der eigentliche Vorstoß des ethnomethodologischen Interesses darin besteht, die Eigenschaften des interpretativen Prozesses selbst zu untersuchen.

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  23. Das Problem der Reflexivität bedürfte eigentlich einer eingehenderen Abhandlung, um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich hier lediglich um ein Paradox. Zur weiteren Vertiefung vgl. GARFINKEL (1967), WIEDER (1969), ZIMMERMAN (1970) und DOUGLAS (1971).

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Wilson, T.P. (1980). Theorien der Interaktion und Modelle Soziologischer Erklärung. In: Alltagswissen, Interaktion und Gesellschaftliche Wirklichkeit. WV studium, vol 54/55. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14511-0_3

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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