Skip to main content
  • 1053 Accesses

Auszug

Auf halbem Wege den Sacro Monte hinauf, nahe der Stadt Varese, befand sich ein einfaches, kleines Restaurant. Es bestand aus einem einzigen, langgestreckten, hellen Raum mit weiß gedeckten Tischen und hohen Holzstühlen mit Korbgeflecht. Der Raum war an den Berg gebaut, das Licht drang über weit geöffnete Fenstertüren, die in gleichmäßiger Reihung die Längsfront des Baukörpers ausmachten, in den schlicht gestalteten Raum. Diese Fenstertüren verbanden den Raum mit der Terrasse, die mit verwittertem Stein belegt und von Steinmauern umsäumt war, mit zwei Feigenbäumen, Lavendelsträuchern und Rosmarinbüschen bewachsen und einem herrlichen Blick in die Po-Ebene. Bei schönem Wetter trug der Wirt die Tische auf die Terrasse. Sonntagmittags versammelten sich hier Familien mit Onkel und Tante, Oma und Opa um einen der langen Tische und tafelten bis weit in den Nachmittag hinein. Der Wirt war zugleich der Koch, oft kam er an den Tisch der Gäste, begierig zu erfahren, wie die Speisen munden — im Grunde aber, um mit ihnen die Freude an seiner Kunst zu teilen. Das Essen war immer wunderbar, wenngleich vergleichsweise einfach zubereitet mit den schmackhaftesten Produkten der jeweiligen Saison — würzigen Tomaten, tiefvioletten Auberginen, frischen, duftenden Kräutern, bestem Olivenöl, Butter und Sahne aus der nahen Molkerei. Der „Padrone“ kochte und servierte, als wären alle Gäste seine Familie. Manchmal schlossen sie sich zu einer einzigen großen Tischgemeinschaft zusammen. Dieses Gefühl des menschlichen Zusammenseins in einer Atmosphäre, die durch die warmherzige Persönlichkeit des Kochs, die sich in seinen schmackhaften Speisen manifestierte, sowie durch die bescheidene, aber klare, selbstverständliche räumliche Situation bestimmt wurde, tragen die Gäste noch heute mit sich. Manch einer hat sie immer wieder — wohin er auch kam — gesucht, allerdings in dieser natürlichen Stimmigkeit nur selten gefunden.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Andreas Hartmann auf dem Symposium des DAM “Architektur und Wahrnehmung”, 21.–22. November 2002 in Frankfurt am Main

    Google Scholar 

  2. Vgl. Heidegger, Martin: Bauen Wohnen Denken. In: Bartning, Otto (Hg): Mensch und Raum. Darmstädter Gespräch 1951, Darmstadt, 1951, S. 72–84

    Google Scholar 

  3. Ebenda: S. 73

    Google Scholar 

  4. Vilém Flusser zitiert nach: Botta, Mario: Architektur und Gedächtnis. Wege zur Architektur 2, Brakel, 2005

    Google Scholar 

  5. Trotz gegenteiliger Meinung wird auch heute noch die zubereitete Mahlzeit am häuslichen Esstisch vorwiegend gemeinsam eingenommen. Vgl. Leimgruber, Walter: Adieu Zmittag. In: NZZ Folio, 6/2006, S. 16–23

    Google Scholar 

  6. Vgl. zu Tischordnungen: Zischka, Ulrike; Ottomeyer, Hans; Bäumler, Susanne (Hg.): Die anständige Lust. Von Esskultur und Tafelsitten, München, 1994, S. 138. Selbstverständlich gab es nicht nur „Runde Tische“, sondern vor allem auch zentral geordnete Hierarchien an rechteckigen oder u-förmig zusammengestellten Tischen oder es gab eine unverbindliche Reihung — je nachdem, welches soziale Gefüge einer Gesellschaft in der Tischordnung ausgedrückt werden sollte und soll.

    Google Scholar 

  7. Vgl. Endermann, Heinz (Bearb.): So du zu Tische wollest gan. Tischzuchten aus acht Jahrhunderten, Berlin, 1991, S. 141

    Google Scholar 

  8. Vgl. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Band 2, Frankfurt am Main, 1980

    Google Scholar 

  9. Bis hin zur „Tyrannei der Intimität“. Vgl. Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main, 1983. Nur scheinbar im Gegensatz hierzu steht, was Terence Riley „The Un-Private House“ genannt hat (gleichnamige Ausstellung im Museum of Modern Art, New York) oder was im Katalog des DAM zur Revision der Postmoderne 2003 unter dem Oberbegriff „Leben ohne Nostalgie“ gezeigt wurde: vor allem das Einfamilienhaus „Aura“ von Foba Architekten in Tokio, das ohne Badezimmer und nur mit einer sehr kleinen Küche mit Waschbecken und einem Kühlschrank auskommt. Zum Essen müssen die städtischen Nomaden ins nahegelegene Restaurant, zum Baden in die öffentliche Badeanstalt.

    Google Scholar 

  10. Weiss, Richard: Häuser und Landschaften der Schweiz, Zürich, 1959, S. 101

    Google Scholar 

  11. Weiss, Richard: Volkskunde der Schweiz, Zürich, 1946, S.98/99

    Google Scholar 

  12. Vgl. Otl Aichers Buch: Die Küche zum Kochen. Das Ende einer Architekturdoktrin, München, 1982

    Google Scholar 

  13. Paczensky, Gert von; Dünnebier, Anna: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, München, 1999, S. 77 ff. Schon die alten Ägypter verzehrten Brot. Wenn es knapp wurde, fanden Getreideaufstände oder Plünderungen von Bäckereien statt. Im alten Rom zur Zeit der Republik gab es ein Getreidegesetz von 123 v. Chr., das jedem Bürger, ob arm oder reich und unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, ein Recht auf kostenloses Brot einräumte. Auch zur Zeit der Französischen Revolution gab es ein vergleichbares Dekret, welches darüber hinaus ein einheitliches, für alle gleiches Brot vorschrieb.

    Google Scholar 

  14. Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Weischedel, Wilhelm (Hg.): Immanuel Kant: Werke in zehn Bänden, Band 10: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, 2. Teil. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Sonderausgabe 1983, darin: S. 563–579

    Google Scholar 

  15. Ebenda S. 565

    Google Scholar 

  16. Vgl. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Weischedel, Wilhelm (Hg.): Immanuel Kant: Werke in zehn Bänden, Band 10: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, 2. Teil. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Sonderausgabe 1983 ebenda S. 570

    Google Scholar 

  17. Ebenda S. 570

    Google Scholar 

  18. Die Bewegung setzt sich für gesunde Ernährung aus hochwertigen und schmackhafen Lebensmitteln ein, die für das menschliche Wohlbefinden essenziell sind. Zugleich leistet sie Widerstand gegen die überall drohende Vereinheitlichung und fördert die Artenvielfalt, wie auch ökologisch und sozial verträgliche Produktionsweisen. Eines der wichtigsten Anliegen der Slow-Food-Bewegung ist die Schulung des Geschmackssinns. Vgl. Petrini, Carlo: Slow Food. Genießen mit Verstand, Zürich, 2003 und der Artikel in diesem Buch.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2007 Birkhäuser Verlag AG

About this chapter

Cite this chapter

Hodgson, P.H. (2007). Einleitung. In: Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack. Birkhäuser Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-7643-8160-8_1

Download citation

Publish with us

Policies and ethics