Resilienz als Synonym für erfolgreichen Widerstand gegenüber Stressoren und Traumata findet sich in vielen Lebensbereichen. Den Hintergründen für diese Widerstandsfähigkeit ist die Forschung seit einem guten halben Jahrhundert auf der Spur. Was verbirgt sich hinter dem Begriff und was sind wichtige Inhalte der aktuellen Forschung?

Resilienz ist die FähigkeitStressoren erfolgreich abzuwehren.
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Resilienz, das ist die geheimnisvolle Kraft, die erlaubt, den täglichen Anwürfen, Zumutungen oder gar einer deprimierenden oder traumatisierenden Situation optimal zu begegnen - ihnen zu widerstehen und sein Leben nach der Krise zumindest im Normalmodus oder sogar gestärkt fortsetzen zu können. Jeder verfügt über Resilienz - nur eben mehr oder weniger Stressor-spezifisch und zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich ausgeprägt. Wäre es nicht gerade in den Zeiten der Corona-Pandemie insbesondere für die Ärzteschaft und die Pflegenden mit ihren besonderen Herausforderungen wünschenswert, möglichst viel Resilienz zu haben? Gibt es Wege, diese "perfekte" Resilienz, so man sie nicht schon besitzt, nach individuellem Bedarf zu erlangen? Oder muss man sich mit dem abfinden, was einem in die Wiege gelegt wurde oder einen vorrangig und somit weitgehend fremdbeeinflusst in jungen Jahren geprägt hat ("nature vs./plus Nurture")? Besteht Evidenz, dass ich persönlich von mehr eigener Resilienz profitieren kann [1]?

Resilienz in Philosophie und Forschung

Beobachtung, Erfahrung und Empirie beschreiben, wenn auch mit anderen Begrifflichkeiten, seit jeher das, was Resilienz im Kern repräsentiert - etwa in der griechischen (Stoa) und fernöstlichen Philosophie (Shaolin), aber auch in Märchen, im Schamanentum oder dem japanischen "nana korobi, ya oki", das nichts anderes bedeutet als "siebenmal hinfallen, achtmal wieder aufstehen".

Ist der aktuelle Hype um die Resilienz, verbunden mit der Gefahr der Verflachung in der Breite der Betrachtung - der Psychologe W. Greve spricht von "Konnotationsinflation" und Resilienz als "unbestimmter Metapher" [2] - demzufolge nur "alter Wein in neuen Schläuchen"? Die Frage, was die einen so stark macht und die anderen mit ihren Stressoren allein und im schlimmsten Fall scheitern lässt, ist eines der großen Rätsel, dem mit durchaus sehr konträren Ansätzen Philosophen, Theologen, Psychologen, Pädagogen und zunehmend Neurowissenschaftler auf der Spur sind.

Seit einigen Jahren können vor allem Neurowissenschaftler und Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologen im Rahmen der vierten Welle der Resilienzforschung hierzu auch wissenschaftlich fundierte Antworten geben [1]. Manche Funktionalitäten der Resilienz sind mittlerweile identifiziert und in schlüssige Modelle geformt. Allerdings fehlen der Wissenschaft nach wie vor wesentliche Puzzleteile zum vollen Verständnis und als Voraussetzung für breit anwendbare therapeutische Optionen. An dieser Stelle winken immerhin Innovation und zunehmende Praktikabilität [3].

Es sei angemerkt, dass mit der Verheißung der Selbstoptimierung ein wachsender Markt an Resilienzseminaren zu verzeichnen ist. Genaues Hinschauen ist anzuraten: In Fällen unseriös simplifizierender Angebote einer individuellen Resilienzanalyse als Basis für die dann überwiegend selbstverantwortliche Optimierung dürften eher keine relevanten Impulse für die erhoffte Verbesserung zu erwarten sein. Zumal fremdbestimmte, persönlich nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen gerne übersehen oder ausgeblendet werden [4].

Nach wie vor müssen und können relevante Impulse für die Resilienzforschung durch die aufwachsende experimentell-wissenschaftliche Herangehensweise geliefert werden. Jenseits der lange geübten Beschreibung, Interpretation und durchaus kontrovers geführten Wertediskussion zu dem Thema zeigt die aktuelle Forschung eine überaus komplexe funktionelle Einheit - eigentlich "Vielheit" an Einflussfaktoren: Genetik und Epigenetik, davon beeinflusste zerebrale Belohnungssysteme mit ihren neuronalen Funktionalitäten und Neurotransmittern, hormonelle Wirkungen, Verschaltungen zwischen kognitiven und emotionalen zerebralen Zentren und vor allem adaptive Prozesse ("Wandel durch Anpassung") sind Substrat der Resilienz. Interaktionen mit dem Immunsystem und dem intestinalen Mikrobiom werden unter anderem im Rahmen der Psychoneuroimmunologie diskutiert, ohne bislang voll verstanden zu sein. Resilienz und mit ihr verbundene Coping-Prozesse verändern sich im Laufe des Lebens häufig; selbst dies ist mit molekularbiologischen Substraten korrelierbar [3, 5, 6, 7].

Woher kommt der Begriff Resilienz?

Resilienz (lat.: resilire - zurückspringen, abprallen) beschreibt die physikalische Kraft beziehungsweise Fähigkeit, nach einer Verbiegung, Stauchung oder Dehnung zur ursprünglichen Form oder Position zurückkehren zu können. Gerne wird das Bild des Stehaufmännchens verwendet. Der Begriff ist aber nicht ausschließlich für menschliches Verhalten und Krisenbewältigung reserviert. Man begegnet der Resilienzthematik in nahezu allen Lebensbereichen, von der Technik über die Ökonomie, die Ökologie, den Klimawandel bis hin zur Städteplanung. Diese fächerübergreifende Bedeutung der Resilienz beinhaltet, dass der Terminus unterschiedlich betrachtet werden muss.

In der Medizin und in der Psychologie wird er einerseits zur Beschreibung vorbestehender körperlicher Eigenschaften und biologisch gesteuerter Regulationen, andererseits als psychische Anpassung an die jeweiligen Umstände verwendet. Resilienz als "relationales Konstrukt" aufzufassen bedeutet wie schon erwähnt, dass sie sich aus mehreren Wirkfaktoren zusammensetzt und dass eine Dynamik zwischen den Komponenten besteht, also Kräfte beziehungsweise adaptive Prozesse unterstellt werden [2].

Zahlreiche Theorien zu den Faktoren, die Resilienz bedingen, haben zu unterschiedlichen Definitionen geführt, die nicht zufriedenstellend überein zu bringen waren: Resilienz als (statische) Fähigkeit gegenüber der Resilienz als Prozess. Hilfreich ist die atheoretische Definition von Raffael Kalisch, Professor für Neuroradiologie: "Resilienz beim Menschen ist die Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach Widrigkeiten" [3]. Dabei bleibt offen, ob jeweils Fähigkeiten, Eigenschaften oder die dynamische Anpassung für die Resilienz ursächlich sind - oder gar Kombinationen aus den genannten.

Resilienzforschung - wie alles begann

Emmy Werner, eine 1929 in Eltville am Rhein geborene und später nach Amerika emigrierte Entwicklungspsychologin, hatte selbst die Schrecken des zweiten Weltkrieges miterlebt. Vor dem ihr drohenden Hungertod wurde sie zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen durch UNICEF gerettet. Ihr ist zu verdanken, dass bei den Ureinwohnern der hawaiianischen Insel Kauai alle 698 Kinder des Jahrgangs 1955 über nachfolgend mehr als drei Jahrzehnte regelmäßig befragt und untersucht wurden. Diese Kinder lebten zwar in paradiesischer Landschaft, 201 von ihnen aber unter schwierigsten sozialen Bedingungen mit großer Armut, Gewalt, Sucht und Vernachlässigung. Zwei Drittel dieser Kinder (n = 129) zeigten die zu erwartenden negativen Entwicklungen. Bereits im Alter von zehn Jahren wurden Lern- und Verhaltensprobleme deutlich, noch vor dem 18. Lebensjahr waren sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder psychisch krank geworden.

Emmy Werner - dies war seinerzeit ein neuer Ansatz - interessierte sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Ruth Smith aber besonders für die 72 Kinder des letzten Drittels der Studiengruppe: Diese fielen dadurch auf, dass sie während des gesamten beobachteten langjährigen Verlaufes der 1958 gestarteten Studie trotz ihrer fortbestehend schwierigen Randbedingungen zu selbstbewussten, fürsorglichen und leistungsfähigen Erwachsenen heranwuchsen, die in stabile soziale Strukturen eingebunden waren. Werner beschrieb die Angehörigen dieser Gruppe als "verletzlich, aber unbesiegbar". Auf der Suche nach den Faktoren, die für diese "Resistenz" gegenüber den Widrigkeiten verantwortlich waren, identifizierte sie als wesentlich das Vorhandensein jeweils wenigstens einer engen Bezugsperson. Diese bot Bindung und Struktur [8].

Obwohl diese seinerzeit innovative Studie viele Diskussionen und auch herbe Kritik an den gewählten Evaluationskriterien und der Methodik auslöste, war sie doch Grundlage für die mittlerweile umfangreiche Forschung zu der Frage, warum ein Teil der Kinder und Heranwachsenden mit erlebten Widrigkeiten oder hochgradigen Risiken für ihre Entwicklung wesentlich besser zurechtkommt als der Rest. Die seinerzeitige Konzentration auf Kinder leitete sich aus der Erwartung ab, in diesem Kollektiv am ehesten neue Erkenntnisse über störungsverursachende Prozesse und die Möglichkeiten einer Prävention erlangen zu können. Stellvertretend für andere soll hierzu auf die umfänglichen Arbeiten der amerikanischen Psychologin Ann S. Masten verwiesen sein [1].

Längst ist das Thema Resilienz in allen anderen Lebensbereichen und Altersstrukturen angekommen, verbunden mit der Erkenntnis, dass es altersspezifische und kulturelle Unterschiede gibt.

Deskriptiv mit "guter" Resilienz werden kulturübergreifend folgende Resilienzfaktoren korreliert:

  • emotionale Intelligenz

  • soziale Herkunft und sozialer Status

  • positive Grundhaltung/Optimismus

  • Kommunikationsfähigkeit

  • Konfliktfähigkeit

  • Gestaltungsfreude

Ungeklärt sind die kausalen Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und wirksamer Resilienz und - für den Fall, dass es diese Kausalität gibt - die Frage nach "Henne oder Ei".

Ist Resilienz dauerhaft erlernbar?

Es dürfte eine Illusion sein, sich diese Eigenschaften mithilfe vermeintlich allgemeingültiger und einfach umsetzbarer Anweisungen als Zugang zu mehr Resilienz aneignen zu können Demjenigen, der etwa angesichts von Blockaden bei Konfliktlösungen für sich selbst ein Mehr an Resilienz anstrebt, steht eher ein vermutlich (psycho-)therapeutisch begleiteter veränderter Lebensentwurf in Aussicht.

Die zum Thema ausgewiesene Psychologin Rosmarie Barwinski legt in ihrem Buch "Resilienz in der Psychotherapie" dar, dass Resilienz als gelungene Konfliktlösung zu verstehen ist und erst diese konstruktive Konfliktlösung Entwicklung in Eigenaktivität ermöglicht. Sie schreibt: "Der Mensch verfügt grundsätzlich über Selbstheilungskräfte, die aber durch traumatische Ereignisse oder durch das Fehlen von Erfahrungen, die für Reifungsprozesse notwendig gewesen wären, oder auch durch ungelöste intrapsychische Konflikte behindert werden können. In der Psychotherapie geht es entsprechend darum, diese innerseelischen Kräfte zu mobilisieren oder den Patienten Erfahrungen zu ermöglichen, die ein Nachreifen erlauben. Resilienz stellt sich damit gewissermaßen zwangsläufig ein, weil unsere Patienten über Bewältigungsstrategien verfügen, deren Folge die Eigenschaften sind, die als Resilienzfaktoren gelten" [9].

Die gute Botschaft daraus: Ein Mehr an Resilenz scheint durch Reifung erwerbbar, Resilienz also im erweiterten Sinne "erlernbar"; und das mit Aussicht auf Bestand, wobei die Resilienz ob ihrer Dynamik voraussichtlich nicht in allen Lebenslagen stets gleich sein wird [3].

Das Problem: Aus meiner eigenen Coaching-Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen habe ich gelernt, dass keiner sich als Betroffener, als Resilienzbedürftiger oder gar als Kandidat für eine Psychotherapie sehen möchte und schon gar nicht akzeptiert, dass in eigener Sache ein Reifungsprozess erforderlich sein könnte. Dies gilt trotz der für den Arztberuf bekannten hohen Raten an Burnout und Suiziden [10, 11].

Anstelle einer "Me-too"-Bewegung herrscht hier ein entschiedenes "Me-not" vor. Dieses "Me-not" gewinnt allerdings dann eine ganz andere Bedeutung, wenn es im Kontext der Resilienzforschung zum Einsatz kommt: Der Resilienzansatz kehrt - Emmy Werner folgend - die üblichen Fragestellungen um. Er fragt nicht, warum Menschen bei Stressexposition krank werden, sondern was andere Menschen in derselben Lage gesund hält. Wenn sich dies aufklären ließe, könnten diese Erkenntnisse dann auch den Stresslabilen zugutekommen.

Wohin geht die Reise?

Im Juli 2014 wurde das Deutsche Resilienz-Zentrum (DRZ, mittlerweile umbenannt in Leibniz-Institut für Resilienz [LIR]) an der Universität Mainz und dem zugehörigen Universitätsklinikum als erstes europäisches Zentrum gegründet. Im Rahmen des Mainzer Resilienzprojektes (MARP) stehen die Stresserkrankungen und deren Bewältigung und als Fernziel deren Prävention im Mittelpunkt.

DRZ-Gründungsmitglied Raffael Kalisch führt in seinem sehr lesenswerten Buch "Der resiliente Mensch - Wie wir Krisen erleben und bewältigen" aus, dass die Gegenwart - mit Verfügbarkeit etablierter Tiermodelle und den Möglichkeiten des Neuroimagings - besonders günstig sei, sich mit Resilienz zu beschäftigen [6, 7]: Das Feld befinde sich in einem aufregenden Umbruch. Alte Erkenntnisse der Sozialwissenschaften und der Persönlichkeitspsychologie würden hinterfragt und in veränderte Zusammenhänge gestellt. Methodische Durchbrüche in Neurowissenschaft, Kognitionspsychologie, Statistik und Informationstechnologie ermöglichten ganz neue Einsichten [3].

Neurowissenschaftliche Ansätze

Neben dem LIR und seiner neuerdings mit der Universität Frankfurt eingegangenen Kooperation (etwa im Rahmen der Covid-19-bezogenen Studie LORA und länderübergreifend mit dem Corona-Snapshot-Monitoring COSMO) arbeiten in Deutschland mittlerweile mehrere andere Forschungsinstitute an unterschiedlichen Fragestellungen der Resilienz [12].

Einen thematisch engen Bezug hinsichtlich Stresserkrankungen als Promoter von Depressionen und der Rolle der Resilienz gibt es auch zu den Forschungen am Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie in München unter Leitung der Neurowissenschaftlerin Elisabeth Binder [13]. Im Zusammenspiel von Genen und Umwelt steht das Stresshormonsystem im Mittelpunkt des Interesses, das in jeder Stresssituation und in Folge jedes Traumas aktiviert wird. Die Ausschüttung der Stresshormone wird von individuell differenten Genvarianten verschieden gesteuert. Diese sind vermutlich auch mitverantwortlich für die individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte Wahrnehmung von Bedrohungen.

Aktuell ist ein Protein, das von einem Gen aus der die Stressmodulation "organisierenden" Epigenomfamilie moduliert wird, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt: FKBP5. Eine als "weniger reagibel" bezeichnete Variante des steuernden Gens schwächt die Affinität von Cortisol für den Glukokortikoidrezeptor ab, das bedeutetet vereinfacht dargestellt, dass das Stresshormon über eine reduzierte Bindung weniger wirksam ist - mit dem Ergebnis einer geringeren Stressreaktion. Die stärker reagible "Risikovariante" des Gens scheint diejenige zu sein, die auch stärker auf Umwelteinflüsse anspricht - je nach Situation im Guten wie im Schlechten. Im ungünstigen Fall bedeutet dies eine überhöht negative Reaktion auf Stress beziehungsweise Traumta. Das Geschehen kann kompliziert werden, wenn aus der erhöhten Reagibilität eine Dysbalance des Stresshormonhaushaltes resultiert und sich ein Dauerstresszustand etabliert. Elisabeth Binder geht davon aus, dass unter anderem auf dieser Basis eine Depression entstehen kann, wobei an dieser Interaktion zwischen Umwelt und Genetik voraussichtlich Hunderte von Schutz- und Risikovarianten einer großen Zahl an Genen beteiligt sind. Nachgewiesen sind auf zellulärer Basis epigenetische "Narben" bei Erwachsenen nach frühkindlichen schweren Traumata, die die Funktionalität des FKBP5-Gens modulieren. Hoffnung signalisieren Erfahrungen, dass epigenetisch gesteuerte Deformationen auch reversibel sein können und etwa durch günstige Umwelteinflüsse oder durch weitere Gene kompensiert werden.

Resilienz auf Rezept?

Noch offen ist derzeit, ob sich der lange vor den Mainzer Aktivitäten formulierte Traum des Schweizer Mediziners und Chemikers Florian Holsboer, Vorgänger von Elisabeth Binder am Münchner MPI, erfüllen kann, eine Pille zur Vorbeugung von Stresserkrankungen und ihren Folgen (Depression, Angstzustände) in die Hand zu bekommen.

Genau dieser Effekt ließ sich zumindest tierexperimentell von Eric Nestler und seinem Team am Mount-Sinai-Science-Center, New York, mithilfe von Methylierungshemmern erreichen, mit deren Hilfe die epigenetische Inskribierung von Traumawirkungen in Neuronen blockierbar war [14]. Noch ziemlich am Anfang stehen Forschungen von Felix Hausch in Darmstadt, mithilfe eines kleinen Moleküls die Wirkungen des FKBP5-Gens regulierend zu beeinflussen. Gerade weil diese Ergebnisse so interessant klingen, ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere beim Thema genetisch basierter Vorhersagemöglichkeiten der kindlichen Depression diese Ergebnisse von Teilen der Wissenschaft und des Wissenschaftsjournalismus kritisch begleitet werden [15].

Raffael Kalisch beschreibt in seinem oben genannten Buch die über Jahre erfolgte schrittweise tier- und klinisch experimentell getragene Entwicklung eines Resilienzmodells, das er mit dem Akronym PASTOR ("positive appraisal style theory of resilience") benennt.

"Positive appraisal style" beschreibt einen positiven Bewertungsstil, mit dem in einer kognitiv begleiteten Reaktion - anders als und ergänzend zu den weiterhin relevanten archaischen Reflexen Kampf versus Flucht versus Erstarrung ("fight, flight, freeze") auf einen Stressor reagiert werden kann. Die Stressbewertung findet dabei im Abgleich mit einem zerebralen Belohnungsbewertungssystem statt: Inwieweit lohnt sich eine erfolgreiche Stressbeseitigung?

Lernen und Vorhersage, eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung und Optimismus bezüglich eines guten Ergebnisses haben sich als Erfolgsparameter erwiesen. Hang zur Dramatisierung, zum Katastrophisieren oder zur Hoffnungslosigkeit hingegen torpedieren eine gelingende Stressbewältigung. Die Dynamik des PASTOR wird beim Menschen begleitet von mehr statischen überkommenen Elementen wie Prägung, Erfahrung und Kultur und gegebenenfalls zusätzlich von identitätsstiftenden Zielen wie Ruhm, Macht, Glück, Ehre, Lebenssinn und vielen anderen. Als ein weiteres wichtiges Element der Resilienz hat sich gemäß Raffael Kalisch die Fähigkeit zur Extinktion erwiesen, also zur Löschung von vorab traumatisierenden Ereignissen, sofern diesen für die Zukunft objektiv keine Bedeutung mehr zukommt. Extinktion ist keine Selbstverständlichkeit und kein Leichtes angesichts der vielen in "Teufelskreisen" langfristig gefangenen Stress- und Traumaopfer.

Das Soma verstehen reicht nicht

Inwieweit der Einzelne in seinem Handeln wirklich frei ist, muss auch weiterhin der Philosophie, Theologie und den Juristen zur Beantwortung überlassen bleiben. Beim vorab angesprochenen positiven Bewertungsstil als relevantem Resilienzfaktor trägt die Biologie nach aktuellem Kenntnisstand mit Funktionseinheiten des Gehirns und seiner aus der Plastizität resultierende Adaptationsfähigkeit sowie der Steuerung durch Gene und Hormone nicht nur zerebral, sondern in der Gesamtheit des Körpers wesentlich zum Geschehen bei. Dennoch genügt das Verständnis des Somas nicht, um Resilienz vollumfänglich zu erfassen. Die Rollenverteilung zwischen der Biologie und den psychosozialen Wirkanteilen ist noch nicht hinreichend geklärt [16].

Es bedarf nach Raffael Kalisch beim positiven Bewertungsstil auch des Ansporns durch höhere Ziele, also einer Sinngebung: "Ohne Sinn ist alles sinnlos". Dies wird die weitere Resilienzforschung begleiten, vielleicht sogar bestimmen [3].

Fazit

Seit gut einem halben Jahrhundert beschäftigt sich die moderne Forschung mit dem Phänomen der Resilienz. Erfolgreiche Überwindung von Stress und Trauma in seinen Kausalitäten zu klären und modulierbar zu machen böte den Ansatz für mehr Salutogenese und Prävention von Krankheiten. Insbesondere die Kooperation von Entwicklungspsychologen, Genetikern und Neurowissenschaftlern hat im letzten Jahrzehnt neue relevante Einsichten ermöglicht. Die Schnittstelle zwischen Körper und Geist - der Bedarf einer Sinngebung - erfordert jenseits aller bisherigen Erkenntnisse Beachtung.

Die Pille gegen die Depression und analog vielleicht für gelingende Resilienz ist zumindest derzeit nicht verfügbar. Psychotherapeutische Ansätze für mehr Resilienz durch Reifung im Sinne eines neuen Lebenskonzeptes sind aufwendig und dem Antrieb durch hohen Leidensdruck vorbehalten. Mehr Resilienz zu erlangen, gelingt gegenwärtig am ehesten mit mehr persönlicher Achtsamkeit, etwa mit Einsatz der Mind-Body-Medicine und den Konzepten der Achtsamkeits-basierten Stressreduktion (MBSR) [17, 18]. Angesichts der bereits verfügbaren und perspektivisch zu erwartenden Instrumente zur Verbesserung der individuellen Resilienz lohnt sich die Beschäftigung mit diesem Thema. Voraussetzung für den persönlichen Nutzen ist die Wahrnehmung eines eigenen Bedarfs anstelle einer gemäß dem Londoner Psychologen Andreas Kappes weit verbreiteten "optimistischen Verzerrung der Selbstwahrnehmung". Das aber ist bei den Pflegeberufen eine ganz spezielle Geschichte [19, 20].