Nationalismus und Religion. Ein historisch-soziologischer Vergleich West- und Osteuropas

Zusammenfassung

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Sowjetimperiums lässt sich in den postkommunistischen Ländern Ostmittel- und Osteuropas eine parallele, wenn auch deutlich variierende Entwicklung von Nationalismus und Religion beobachten. Einerseits war der Nationalismus als Orientierung auf nationale Selbstbestimmung gegen die imperiale Sowjetordnung zusammen mit Demokratisierung und marktwirtschaftlicher Entwicklung eine der zentralen Motivationsgrundlagen der osteuropäischen Revolutionen (Beyme 1994). Dieser Nationalismus war dabei nicht nur demokratisch-pluralis-tisch, sondern oft auch ethnisch-organisch geprägt und führte deshalb in einer Reihe von Fällen zu einer explosiven Verschärfung ethnischer und nationaler Konflikte. Andererseits zeigte sich in vielen postkommunistischen Ländern mit dem Zerfall der säku-laristischen kommunistischen Ideologie eine nach wie vor hohe Vitalität von Kirchen und Religion oder gar eine deutliche Erneuerung des religiösen Lebens (Pollack/Borowik/Jagodzinski 1998). Nicht selten gingen zudem Nationalismus und Religion in Form eines religiösen Nationalismus eine enge Symbiose ein und trugen dadurch zur Verschärfung ethnischer und nationaler Konflikte bei (Spohn 1998). Diese parallele Entwicklung von Nationalismus und Religion lässt sich jedoch nicht nur in den postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas beobachten, sondern reiht sich ein in einen weltweiten und häufig konfliktreichen Aufschwung von ethnischem Nationalismus und religiösem Fundamentalismus (Beyer 1992; Bielefeldt/Heitmeyer 1998; Huntington 1996; H.-P. Müller 2001).