Zusammenfassung
Öffentlichkeit bestätigt und bekräftigt ein Gemeinschaftsgefühl des Publikums durch Moralisierung von Themen. Moral drückt sich nämlich in den allgemeinsten Normen von Anständigkeit aus, und über diese lässt sich oberhalb der Vielzahl speziellerer Normen, zu denen in pluralistischen Gesellschaften abweichende Überzeugungen verbreitet sind, am ehesten eine Übereinstimmung der Mehrheiten erwarten. Es geht bei Moral um Fundamentalfragen „menschlicher Achtung und Nichtachtung“ (Luhmann 1989: 361, 1978: 46ff.). In der Kompetenz, solche Fragen zu beurteilen, können sich alle gleich fühlen1. Seitdem die Kirchen in modernen Gesellschaften ihre normative Autorität weitgehend eingebüßt haben, sind Definition und Zuschreibung von Anständigkeitstiteln laisiert. Nun kann jeder mitreden. Dass es in öffentlicher Kommunikation außerhalb bloßer Unterhaltung nun auch Motive gibt, darüber mitzureden, ergibt sich daraus, dass Öffentlichkeit ihre sozialen Grenzen vor allem als „Moralgemeinschaft“ definiert. Wem Moral abgesprochen wird, der darf nicht mehr mitreden, wenn es ernst wird. Anständigkeit ist eine Art Mitgliedschaftsbedingung für eine respektierte Teilnahme an Prozessen öffentlicher Meinungsbildung.
Überarbeitete Fassung meines Beitrags „Öffentlichkeit und Gemeinwohl. Gemeinwohlrhetorik in Pressekommentaren“ in Herfried Münkler/Karsten Fischer (Hrsg.): Gemeinwohl und Gemeinsinn. Rhetoriken und Perspektiven sozial-moralischer Orientierung. Reihe: Forschungsberichte der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Akademie-Verlag 2002, S.157–176.
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Neidhardt, F. (2004). Gemeinwohlrhetorik vor großem Publikum: Formen und Funktionen von Moralisierung und Heuchelei. In: Die Stimme der Medien. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80557-7_9
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