Entwicklung oder Industrialisierung — Die Chinesischen Erfahrungen mit dem Sowjetischen Modell

Zusammenfassung

Der Sieg der sozialistischen Revolution in einem unterentwickelten Land, das nicht entsprechend dem klassischen marxistischen Revolutionsverständnis bereits die Phase des Kapitalismus durchlaufen hat, stellt die Partei vor das Problem, wie die Überwindung der Unterentwicklung mit den sozialistischen Zielvorstellungen zu vereinbaren ist. Gemäß der Theorie müßte die Entfaltung der Produktivkräfte, sprich Industrialisierung, den Anstoß zur Veränderung der Produktionsverhältnisse, d.h. zur Einführung sozialistischer Produktionsverhältnisse, gegeben haben. Da das aber kaum der Fall war, stellt sich die Frage, ob sich die Formel vom “Aufbau des Sozialismus” rein auf ihre materielle Seite, d.h. die Entfaltung des gesellschaftlichen Reichtums qua Industrialisierung reduzieren läßt,oder ob dieser Prozeß von der Entfaltung sozialistischer Produktions- und Lebensverhältnisse begleitet sein muß.Im ersten Fall könnte man argumentieren,daß der Begriff “Sozialismus” nur noch im Sinne zentral geplanter und staatlich organisierter Industrialisierung zu einer für unterentwickelte Länder effizienteren Entwicklungstechnologie verkommt. Ist aber andererseits die damit verbundene Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen nicht bereits ein Stück Sozialismus, auch wenn dieser sich zunächst “nur” in der ausreichenden und permanenten Versorgung mit Lebensmitteln, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Schulbildung äußert, eine Frage, der die herrschende Klasse des vorrevolutionären China weitgehend gleichgültig gegenüberstand?