Skip to main content

Part of the book series: Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie ((WWP,volume 37))

  • 58 Accesses

Zusammenfassung

Was wurde mit der Exposition der Allgemeinen Systemtheorie geleistet? Steht diese in irgendeinem erkennbaren Bezug zu wissenschaftlicher Praxis oder handelt es sich dabei nur um die folgenlose Kopfgeburt eines Theoretikers? Letzteres wäre in der Tat dann der Fall, wenn es in der Allgemeinen Systemtheorie darum ginge, letztgültige unbezweifelbare Wahrheiten über unsere Welt zu verkünden. Ich will indes keine letzten ontologischen Wahrheiten aufzeigen, sondern lediglich einen Versuch wagen, den Konsequenzen der unifikationistischen Leitidee von Einheit und Einfachheit der Welt, den Implikationen eines vorausgesetzten universalen Wirkungszusammenhangs radikal nachzuspüren. Ein derartiger Versuch kann nicht unternommen werden, ohne auf Erkenntnisse Bezug zu nehmen, die wir über die Welt haben und die wir als mehr oder weniger gesichert ansehen. Kein solcher Versuch ist daher vor Irrtümern, Fehlern und Unzulänglichkeiten gefeit, jeder systemtheoretische Versuch steht zur Diskussion. Ob wir in unserem intersubjektiven verstehenden Umgang mit der Welt tatsächlich die unifikationistische Voraussetzung machen und ob die Systemdefinitionen der Systemtheorie auf die uns in der Welt begegnenden Systeme zutreffen, ob Systemtheorie also nicht nur konsistent, sondern auch adäquat ist, ist eine Frage, die nicht aus individueller philosophischer Reflexion heraus beantwortet werden kann, sondern im intersubjektiven Diskurs geklärt werden muß. Ich hoffe aber, überzeugend gezeigt zu haben, daß systemtheoretische Überlegungen in der Tat auf Systeme unserer Welt anwendbar sind, daß sie auf die verschiedenartigsten Systeme anwendbar sind, und daß sie uns daher helfen könnten, interdisziplinäre Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Wissenschaften aufzudecken und den Dialog zwischen ihnen anzuregen. Schließlich habe ich auch demonstriert, daß verschiedene “reduktio-nistische” Positionen mit der unifikationistischen Leitidee des universalen Wirkungszusammenhanges nicht verträglich sind, obwohl sie selbst anderes behaupten. Hierzu zählen etwa partitionistische Theorien in den Naturwissenschaften und repräsentationistische Theorien in den kognitiven Wissenschaften.

Just like the painter, who steps periodically back from his canvas to gain perspective, so the … scientist emerges above ground occasionally from the deep shaft of his specialized preoccupation to survey the cohesive, meaningful fabric developing from innumerable component tributary threads, spun underground much like his own. Only by shuttling back and forth between the worm’s eye view of detail and the bird’s eye view of the total scenery of science can the scientist gain and retain a sense of perspective and proportions.

— Paul Weiss (1969)

Die Wissenschaft trifft immer nur auf das, was ihre Art des Vor-stellens im Vorhinein als den für sie möglichen Gegenstand zugelassen hat.

— Martin Heidegger (1951)

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 34.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 44.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Referenzen

  1. Vgl. Hempel (1966), S. 82 und das Quine Zitat zu Beginn von Kap. 1.2 (Quine (1960), S. 22).

    Google Scholar 

  2. Betrachten wir Wissenschaft selbst mit systemtheoretischen Augen, so sind die Bedeutungszusam-menhänge als wirksame Relationen innerhalb der wissenschaftlichen Kommunikationsgemeinschaft präsent. Vgl. hierzu Kap. 6, Fußnote 32.

    Google Scholar 

  3. Eine kausale Erklärung, die den Übergang einer Zustandskombination in eine andere erklärt, indem sie sich ausschließlich auf die Allgemeingültigkeit dieses spezifischen Zustandsübergangs beruft (“Auf Zustand A folgt stets Zustand B”) ohne ihn als einen von vielen zugelassenen Fällen eines allgemeineren Gesetzes (“Auf rx(t) folgt stets rx(t + dt), wobei rx(t + dt) = f(rx(t))”, so daß z.B. für rx(t) = A gilt: rx(t+dt) = B) auffassen zu können, könnte man vielleicht als eine kausal-korrelative Erklärung von einer kausal-nomologischen Erklärung (bei der sich ein allgemeineres Gesetz angeben läßt) abgrenzen, wobei letztere nur auf semantischen Ebenen möglich ist, auf denen sich ein relativ abgeschlossener eingeschränkter Wirkungszusammenhang etablieren läßt. Die Interaktionsgesetze müssen genaugenommen — da ein in einem Wirkungszusammenhang stehendes Prozeßsystem von Relationen zu mehreren benachbarten Konstituenten bestimmt wird — ein Tupel von Relationen (rx1(t), rx2(t), …) auf ein Tupel von Relationen (rxi(t + dt), rx2 (t + dt), …) abbilden. Auch in einem relativ abgeschlossenen eingeschränkten Wirkungszusammenhang lassen sich aber nie alle Zustandsübergänge, alle Interaktionen zwischen Konstituenten durch ein einziges allgemeines Gesetz (Interaktionsgesetz) adäquat beschreiben, das ist erst im universalen Wirkungszusammenhang möglich (vgl. hierzu Kap. 4.2).

    Google Scholar 

  4. So hat Hempel zwar recht, wenn er sagt, Erklärung sei nicht “reduction to the familiar” (z.B. Hempel (1966), S. 83), wir explizieren ja u.U. etwas Vertrautes (einen Organismus etwa) in einen Wirkungszu-sammenhang zwischen “theoretischen Entitäten”, z.B. wechselwirkenden Atomen. Es darf aber nicht vergessen werden, daß der Wirkungszusammenhang zwischen Atomen, den wir zur Erklärung des Verhaltens eines bestimmten Organismus heranziehen, in einen Bedeutungszusammenhang mit dem analysierten “vertrauten” Prozeßsystem gestellt werden muß, sonst wüßten wir nicht, daß wir diesen Organismus erklären.

    Google Scholar 

  5. Die Kennzeichnung einer solchen reduktionistischen Position als “Nothing-but”-Reduktionismus, “Nothing-buttery”, “Nothing-butism” usw. spukt seit Jahrzehnten durch die antireduktionistische Literatur. Bislang ist es mir nicht gelungen herauszufinden, wer diesen Begriff zuerst geprägt hat.

    Google Scholar 

  6. Um Eddington Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß allerdings ergänzt werden, daß er in seinem Buch (1929) alles andere als eine reduktionistische Weltsicht entwirft und vermutlich keine wesentlichen Einwände gegen eine Systemtheorie, wie sie in diesem Buch entwickelt wurde, gehabt hätte. Die zitierte Stelle ist in der Einleitung seines Buches zu finden und eher als pointiert formulierter “Aufhänger” für Eddingtons Substanzkritik, denn als reduktionistisches Manifest zu lesen.

    Google Scholar 

  7. Vgl. auch Thorpe (1974), S. 109 und Needham (1941), S. 248: “Biological organisation is not immune from scientific inquiry, it is not inscrutable, and it cannot be ‘reduced’ to physicochemical organisation, because nothing can ever be reduced to anything.”.

    Google Scholar 

  8. Was die Wissenschaftler in ihrer Praxis offenbar wenig beeindruckt. Mich erinnert dies an das Bonmot, Wissenschaftstheorie sei für Wissenschaftler ungefähr so bedeutsam wie Ornithologie für Vögel (vgl. Weinberg (1987), S. 433).

    Google Scholar 

  9. Vgl. hierzu Kap. 2.1 und die Diskussion in Hempel (1959), Stegmüller (1969), S. 555 ff und Nagel (1979 b), S. 295 ff.

    Google Scholar 

  10. Beckner (1967 a), S. 316 bezeichnet eine Aussage solcher Form als “context-dependent implication”. Hempel selbst nimmt ja in (b) an, ein bestimmter Kontext von Bedingungen müsse realisiert sein, damit s sich in “proper working order” befindet, übersieht aber die Kontextabhängigkeit der konstitutiven Rolle voni.

    Google Scholar 

  11. Nagel (1979 b) behandelt dieses Problem unter der Überschrift “plurality of causes” (S. 307). Es taucht immer dann auf, wenn die Ursachen von Ereignissen in mehr Klassen eingeteilt werden als die Wirkungen; wir sagen dann, “ein” Ereignis könne durch “mehrere” Ursachen hervorgerufen werden, obwohl jedes konkrete Ereignis natürlich immer nur eine konkrete Ursache haben kann.

    Google Scholar 

  12. Ein Zustand ist dann funktional, wenn er Bestandteil einer selbst-re-produzierenden Zustandsabfolge ist (vgl. Kap. 6.3).

    Google Scholar 

  13. Auch M. Ruse (zit. in Nagel (1979 b), S. 311) stellt die “überlebensfördernde Wirkung” als Bedingung für Funktionalität in den Vordergrund. Nagel (1979 b) hingegen sieht dieses Kriterium, das der systemtheoretischen Forderung nach einer zyklischen Zustandssequenz gleichkommt, als überflüssig an und möchte Funktion über den Beitrag eines Teilsystems zu einem zielgerichteten Verhalten definieren (“goal-supporting view” von Funktion, S. 314). Nagel übersieht, daß zielgerichtete Prozesse nur in heterogenetischen (funktionalen) Systemen vorkommen und das Kriterium einer zyklischen Zustandssequenz daher — implizit oder explizit — unverzichtbar für eine funktionale Erklärung ist. Vgl. hierzu meine Kritik an Nagel in Kap. 6.1 (Fußnote 8).

    Google Scholar 

  14. Eine exakte Darstellung der logischen Schemata der Funktionalanalyse findet sich im Anhang zu Schlosser (1990).

    Google Scholar 

  15. So sehen das Hempel (1959), S. 329 und Stegmüller (1969), S. 583.

    Google Scholar 

  16. Hempel (1959), S. 311 ff. illustriert seine Kritik funktionaler Erklärungen vorwiegend mit Beispielen aus der funktionalistischen Richtung der Soziologie (Malinowski, Radcliffe-Brown und Merton), verallgemeinert seine Kritik, die für soziologische Fragestellungen eine gewisse Berechtigung hat, aber auf funktionale Erklärungen schlechthin. Vgl. zu diesem Thema auch Emmet (1967).

    Google Scholar 

  17. Damit soll nicht geleugnet werden, daß der Erfolg auch einmal ausbleiben kann (indem z.B. der Nagel abbricht) (vgl. Stegmüller (1969), S. 533). Gäbe es aber keine Situation, in der der Gedanke je zum Erfolg führte, so könnte man nicht von einer intentionalen Erklärung sprechen. Was “Erfolg” ist, was so-mit als intentionale Erklärung gelten kann, kann von verschiedenen Personen verschieden beurteilt werden. Während der Verrückte, der sich für Napoleon hält, von sich behauptet “Ich gehe auf den Balkon, um die Huldigungen meines Volkes entgegenzunehmen”, würde ein Außenstehender vermutlich sagen “Er geht auf den Balkon, um die imaginären Huldigungen seines imaginären Volkes entgegenzunehmen und so seinen Minderwertigkeitskomplex im Wahn zu kompensieren”.

    Google Scholar 

  18. Pattee (1970) führt diese historische Betrachtungsweise gegen eine reduktionistische Sichtweise ins Feld, die glaubt alles “aus Gesetzen heraus” erklären zu können: “a hierarchical interface tends to raise two types of questions. Viewed from the upper level of the hierarchy the existing constraints are generally taken for granted and the significant question seems to be, how does it work … To this extent there is reduction. On the other hand viewed from the lower level of the hierarchy it is the laws of motion which are generally taken for granted and now the significant question seems to be, how could the constraints arise … the constraints are not derivable from the laws of the lower level. To this extent reduction appears impossible.” (S. 124).

    Google Scholar 

  19. Shapere (1974) unterscheidet zwischen “compositional theories” und “evolutionary theories”, was in etwa meiner Unterscheidung semantisch-funktionaler und historischer Erklärungen gleichgesetzt werden kann. Shapere spricht allerdings nur ersteren erklärenden Charakter zu (S. 193), eine Auffassung, die ich nicht teile (vgl. Kap. 2).

    Google Scholar 

  20. Eine methodische Unterscheidung von Natur-und Geisteswissenschaften wird vor allem von Windelband (1894), S. 145 und Rickert (1898), S. 55 getroffen: Die Naturwissenschaften seien die “generalisierenden” (Rickert), “nomothetischen” (Windelband) Wissenschaften. Die “geschichtlichen” oder “historischen Kulturwissenschaften” — der Begriff “Geisteswissenschaften” wird von beiden abgelehnt — hingegen seien “individualisierend” (Rickert) bzw. “idiographisch” (Windelband). Rickert (1898), S. 101 betont außerdem die größere Wertorientiertheit der Kulturwissenschaften. Dilthey (1910), S. 89 ff., ins-bes. S. 97 f. unterscheidet die Methode der “Verstehens” (durch unmittelbares Erleben) der Geisteswissenschaft von dem “erkennenden” Verhältnis der Naturwissenschaft zu ihren Gegenständen. Gadamer (1960), S. 267 f. knüpft an Dilthey an, wenn er die Geisteswissenschaft aufgrund ihrer Traditionsgebundenheit von den Naturwissenschaften abheben möchte. Habermas (1968), S. 241 ff., 259 ff. unterscheidet Natur-und Geisteswissenschaften vorwiegend hinsichtlich ihrer erkenntnisleitenden Interessen: Die Naturwissenschaft zeichne sich durch ein Interesse an “technischer Verfügbarkeit” aus, die Geisteswissenschaft durch ein Interesse “handlungsorientierender Verständigung” oder gar — in der Selbstreflexion — ein “emanzipatorisches Erkenntnisinteresse” (vgl. hierzu Kap. 2.1).

    Google Scholar 

  21. Geldsetzer (1989), S. 127 deutet die Möglichkeit eines hermeneutischen Einheitswissenschaftsideals kurz an, ohne näher darauf einzugehen: “Der Gegenstoß [zum Einheitwissenschaftsideal der analytischen Wissenschaftstheorie] eines hermeneutischen Einheitswissenschaftsideals, das gerade die spekulative, ja willkürliche, logisch-mathematisch nicht formalisierbare Grundlagenproblematik in allen Wissenschaften, auch den exakten und axiomatischen Formalisierungen zugänglichen, thematisiert, bahnt sich heute erst an.” Vgl. auch Knorr-Cetina (1984), S. 246: “Wenn die Welt der Natur wie die Welt der Gesellschaft sozialer Abstammung ist, wenn naturwissenschaftliche Objekte ähnlich gesellschaftlichen Objekten als sozial konstituiert angesehen werden müssen, dann verliert eine Dichotomie ihren Sinn, die die soziale Konstitution der Wirklichkeit ausschließlich den Wissenschaften vom Menschen zugesteht.” In der von mir vorgelegten Konzeption von “Einheitswissenschaft” verbindet sich das hermeneutische Einheitswissenschafts-ideal mit einer Vereinheitlichung der Wissenschaften durch Systemtheorie, wie sie Lenk (1975), S. 257, Lenk (1978), S. 255 und Schwegler (1992) vorschwebt. Vgl. auch Mesarovic and Takahara (1975), S. 4 f., wo die Bedeutung der Systemtheorie als präzise Grundlage für interdisziplinäre Kommunikation hervorgehoben wird.

    Google Scholar 

  22. Ansätze hierzu in Fleck (1935), Knorr-Cetina (1984), Krohn und Küppers (1989).

    Google Scholar 

  23. Hertel (1980) weist z.B. auf die Bedeutung hermeneutischer Zirkularität in den Naturwissenschaften hin (S. 495). Eine, wie ich finde, unzulängliche Charakterisierung hermeneutischer Zirkularität findet sich in Geldsetzer (1989), S. 137 f.: Hermeneutische Zirkularität wird hier in klassischer Manier als das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem, von Sinnganzem und Bedeutungselement konstruiert, ohne die Rolle des interpretatorischen Kontextes (Hintergrundwissen) und dessen Modifikation im Prozeß der Explikation zu berücksichtigen. Zum Thema “hermeneutischer Zirkel” vgl. auch die pragmatistischer orientierten Darstellungen von Heidegger (1926), S. 148 ff., Gadamer (1960), S. 250 ff. und Habermas (1968), S. 216 ff.

    Google Scholar 

  24. Rorty (1979) hebt den diskursiven, nicht “methodischen” Charakter hermeneutischen Vorgehens hervor (S. 388 ff). Vgl. auch Gadamer (1960), S. XV, 277. Feyerabends (1975) Vorschlag, eine “anarchistische Epistemologie” (S. 28, 171) an die Stelle einer rigorosen wissenschaftstheoretisch fundierten Methodologie zu setzen, pflichte ich weitgehend bei, glaube aber, daß Feyerabend mit seinem “anything goes” über das Ziel hinausschießt. Wenn wir nicht einmal den intersubjektiven Konsens bezüglich “Tatsachenaussagen” als “Rationalitätskriterium” heranziehen wollen, dann zeichnen wir mit dem Begriff “Wissenschaft” keine bestimmte Klasse unserer Diskurse mehr aus und berauben uns einer Differenzierungsmöglichkeit. Wir können aber “wissenschaftliche” Diskurse von anderen unterscheiden, ohne gleich leugnen zu müssen, daß es fließende Grenzen zwischen wissenschaftlichen und anderen Diskursen gibt. Vgl. auch Kap. 1, Fußnote 31.

    Google Scholar 

  25. Jeder Diskurs wird dabei natürlich von Werten geleitet, die ebenfalls nicht letztbegründet werden können, sondern nur im Diskurs konsensuell etablierbar und modifizierbar sind. Weder gibt es einen letztbegründbaren Wert, der uns dazu “auffordert” zu kommunizieren, noch einen solchen, der uns dazu “zwänge”, diskursiv erzielten intersubjektiven Konsens zum Maßstab all unseren Tuns zu machen. Vgl. Kap.3, Fußnote 2.

    Google Scholar 

  26. Feyerabends (1962) “pragmatic theory of observation” (S. 36) scheint mir nicht radikal genug zu sein. Feyerabend möchte solche Sätze als “Beobachtungssätze” gelten lassen, die mit bestimmten Verhaltensmustern der sie äußernden Personen einhergehen. Auch Quine (1960) scheut vor den radikalen Konsequenzen seiner holistischen These zurück, wenn er behauptet, aller empirische Gehalt von Aussagen wäre letztlich auf “Sinneseindrücke” zurückzuführen, er spricht daher auch von “stimulus meaning” (S. 31 ff) und “occasion sentences” (S. 53): “The voluminous and intricately structured talk that comes out bears little evident correspondence to the past and present barrage of non-verbal stimulation, yet it is to such stimulation that we must look for whatever empirical content there may be.” Quine (1960), S. 26. Meinem Vorschlag (Kap. 3) zufolge ist es indes vollkommen gleichgültig, warum die Sätze, auf denen die Wissenschaft aufbaut, akzeptanzfähig sind, entscheidend ist nur, daß sie es sind. Wissenschaftliche Erforschung menschlicher Wahrnehmung drehte sich dann in einem logischen Kreis, würden wir “Wahrnehmungen” selbst zur Voraussetzung von Wissenschaft nehmen, wie Schlick (1934 b) sich das etwa vorstellt. Erheben wir allerdings intersubjektive Akzeptanz zum einzigen Kriterium für Wissenschaftlichkeit, so gibt es nichts Unerforschliches.

    Google Scholar 

  27. Quine hat immer wieder betont, daß all unser Wissen ein zusammenhängendes “web of belief” darstellt, das wir ständig ändern, wobei wir aber bestimmte zentrale (Sätze der Logik) und periphere (Aussagen über Wahrnehmungen) Aussagen zu bewahren versuchen und weniger schnell preisgeben als andere Überzeugungen. Doch auch “Wahrnehmungsaussagen” und selbst “mathematische und logische Gesetze sind nicht vor Veränderung geschützt, wenn sich herausstellt, daß sich daraus wesentliche Vereinfachungen unseres Begriffsnetzes ergeben.” Quine (1964), S. 21. Vgl. hierzu z.B. auch Quine (1951), S. 43 ff.

    Google Scholar 

  28. Vgl. hierzu Rortys (1979) Kritik an Quines “Redeverbot” über intentionales Vokabular (S. 229 ff).

    Google Scholar 

  29. Wir können dieser Selbstbezüglichkeit (vgl. hierzu Kap. 7.2) in einem “regulativen Transzendentalismus”, der immer noch ein weltkonstituierendes Subjekt jenseits von Welt postuliert, oder aber in einem “radikalen Immanentismus”, der Subjekt und Welt identifiziert, Ausdruck verleihen. Im letzten Fall gäbe es kein “jenseits” von Welt, keinen “letzten Beobachter”, kein “transzendentales Subjekt”. Dann darf aber das “Subjekt”, mit dem die Welt identifiziert wird, nicht mit irgendetwas, was in der Welt vorkommt, verglichen werden (wie es der regulative Transzendentalismus tut, der das transzendentale Subjekt mit einem empirischen Subjekt — menschliche Person bzw. Kommunikationsgemeinschaft — identifiziert), auch nicht mit uns selbst und unserem Wissen über die Welt. Denn immerhin ist ja unser “Wissen über die Welt” nicht mit unserer ganzen Welt gleichzusetzen. Wenn wir vom Wissen über einen Baum reden, reden wir von anderem, als wenn wir über den Baum selbst reden. Zwar könnte eine radikal immanent gedachte Welt vollkommen deterministisch sein, das weltimmanente Wissen und die weltimmanenten Gegenstände des Wissens wären aber in dieser Welt auf irgendeine Weise wirksam miteinander verknüpft und nicht jedes für sich stellte einen isoliert-deterministischen Wirkungszusammenhang dar. Wissen kann dann niemals Wissen von der gesamten deterministischen Welt sein. Wird “Wissen” aber mit “Welt” gleichgesetzt, so gibt es kein Wissen von einer deterministischen Welt, sondern die deterministische Welt weiß sich dann sozusagen selbst. Auch ein Hegelscher Geist wird sich also in der Dialektik der Selbstreflexion nie völlig transparent: Er gelangt nie zum “absoluten Wissen”.

    Google Scholar 

  30. Dieser Schlußfolgerung kann man nur entkommen, wenn man behauptet, Wissenserweiterung impliziere keine in der Welt wirksame Veränderung. Wissen, so verstanden, änderte gar nichts in unserer Welt, es könnte daher nicht einmal in unseren Gesprächen mit anderen etwas bewirken. Solches Wissen machte keinerlei Unterschiede für unser Handeln, sprachliches Handeln inbegriffen. Es ist schwer einzusehen, nach welchen Maßstäben wir — wäre “Wissen” von dieser ineffektiven Art — Wissensfortschritt beurteilen wollten.

    Google Scholar 

  31. Ein begriffliches System kann, wie angedeutet (Kap. 6.3), als eine Menge von Situationen kommunikativer Interaktionen aufgefaßt werden. Reformulierungen eines Begriffs oder einer Aussage stellen letztlich eine Explikation in den Auslegehorizont des eingeschränkten Wirkungszusammenhangs sprachlicher Interaktionen dar. Eine Reformulierung ist dann intersubjektiv akzeptiert, wenn Konsens darüber besteht, daß der Begriff und seine Reformulierung die gleiche Menge von Situationen im erfahrbaren Kommunikationszusammenhang umschreiben.

    Google Scholar 

  32. Vgl. hierzu meine Bemerkungen über die kontextuelle und “referentielle” Komponente von Bedeutung in Kap. 6.3.

    Google Scholar 

  33. Ich habe mich hier auf die Darstellung des Problems der Selbstbezüglichkeit von Sprache beschränkt. Selbstbezüglichkeit tritt aber natürlich auch in anderen menschlichen Handlungskontexten auf, ein Problem, das vor allem den Wirtschaftswissenschaften zu schaffen macht: Genaue Prognosen des Marktverhaltens, der Börsenkurse, des Ergebnisses einer Wahl etc. sind prinzipiell unmöglich, da das veröffentlichte Ergebnis der Prognose das Verhalten der Beteiligten beeinflußt (vgl. Springer (1989) und Arthur (1990)).

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1993 Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Schlosser, G. (1993). Die Deutung der Welt. In: Einheit der Welt und Einheitswissenschaft. Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie, vol 37. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90910-7_9

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-90910-7_9

  • Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag

  • Print ISBN: 978-3-322-90911-4

  • Online ISBN: 978-3-322-90910-7

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics