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Typik III (Geschlechtstypik): Über geschlechtsspezifische Konstitutionselemente und Sinngehalte friedenspolitischen Handelns

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Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln

Part of the book series: Biographie & Gesellschaft ((BUG,volume 20))

  • 28 Accesses

Zusammenfassung

Die in diesem Kapitel vorgestellten psychologischen Interpretationen und Typisierungen, die sich auf die autobiographischen Texte der interviewten Naturwissenschaftlerinnen beziehen, thematisieren geschlechtsspezifische Aspekte der Konstitution, der Entwicklung und der Bedeutungsgehalte friedenspolitischen Bewußtseins und Engagements. Die im folgenden empirisch zu plausibilisierende Behauptung lautet, daß die Rede vom “Frieden” und das praktische Engagement für dieses vieldeutige politische Ziel nicht zuletzt auch spezifische, unterschiedliche Bedeutungsgehalte besitzen, je nachdem, ob von Männern oder aber von Frauen über “Frieden” oder friedenspolitisches Denken und Handeln gesprochen wird. Die sogenannte Geschlechterordnung bzw. die “Geschlechterverhältnisse” strukturieren und bestimmen auch die im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Bereiche der alltagsweltlichen Erfahrungs-, Wissens- und Identitätsbildung. Geschlechterverhältnisse regulieren, so wird im folgenden zu zeigen sein, auch die lebensgeschichtlich und gesellschaftlich-sozial vermittelten Prozesse der Entwicklung und aktiven Entfaltung friedenspolitischen Denkens und Handelns; sie bestimmen die partiell eben geschlechtsspezifische Genese und die teilweise geschlechtsspezifischen Sinngehalte und politisch-praktischen Funktionen dieses Denkens und Handelns.61

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Literatur

  1. Selbstverständlich ist diese aus “darstellungsstrategischen” Gründen bereits an den Anfang des Kapitels gestellte “Behauptung” im Zuge der interpretativen bzw. komparativen Analysen des empirischen Textmaterials entwickelt worden.

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  2. Wie in jedem Fall, in dem im Prozeß interpretativer Erfahrungs- und Erkenntnisbildung auch “theoretische Vorstellungen” ins Spiel gebracht werden, liegt der “Verdacht” nahe, solche Theoreme hätten von vorneherein die empirischen Untersuchungen und Analysen geleitet, sie hätten also von Anfang an die Ergebnisse der empirischen Studien maßgeblich beeinflußt und bestimmt (vgl. Bohnsack 1991, 54). Ich komme auf diesen möglichen Einwand gerade an dieser Stelle noch einmal zu sprechen, weil ein zur Veröffentlichung vorbereiteter Auszug aus eben diesem Kapitel in der skizzierten Weise kritisiert wurde. Die (anonyme) Kritikerin sah in den Analyseergebnissen eine bloße Bestätigung der theoretischen Vorannahmen und (ideologischen) Vorurteile der — wie sie schrieb — Autorin. Ich hoffe, daß die obigen Anmerkungen, aber auch die folgenden Analysen diesen Einwand entkräften.

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  3. Zur feministischen Kritik “androzentrischer Rationalitätskonzeptionen” vgl. z.B. Haiding (1989).

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  4. Auch wenn die Informantin eine “rationalistische” Position bezieht, ist der Stellenwert von Gefühlen für das eigene Denken und Handeln freilich immer wieder deutlich. Darüberhinaus ist vielleicht erwähnenswert, daß die Interviewpartnerin ihre eigene, an das Ideal der vernunftorientierten Analyse und Argumentation gebundene Position, ihren entsprechenden Stil und ihre Herangehensweise an politische Sachverhalte nicht in der Weise verabsolutiert, daß sie den Emotionen und Affekten, oder, wie sie bezeichnenderweise sagt, dem “rein emotionalen Denken” keinerlei Berechtigung, keinen Raum mehr gewähren würde. Auch das von ihr so genannte “emotionale Denken”, auf das sie persönlich nicht anspricht, ist gleichwohl noch ein Denken. Diese Verbindung von Differenzierung, Kritik und einem in der Sprache noch bewahrten Respekt vor den Andersdenkenden und den auf andere Weise Denkenden mag nicht zuletzt als ein Aspekt betrachtet werden, dem auch im feministischen Diskurs große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, etwa im Rahmen jener theoretischen Kritik “männlicher” Rationalitätskonzeptionen, die die androzentrische oder logozentrische Vernunft auf den Prüfstand stellt. Vgl. hierzu z.B. den einschlägigen Teil des von List und Studer (1989) herausgegebenen Sammelbandes, insbesondere den bereits erwähnten Überblick von Harding. Zur Kritik eines rationalistisch verkürzten Vernunftbegriffs vgl. z.B. auch Pothasts (1988) “Philosophisches Buch”, in dem eine Vernunft, die vom Interesse, auf menschliche Weise lebendig zu sein geleitet ist, gerade durch ihre Verschwisterung mit Prozessen gekennzeichnet wird, die Pothast unter dem Titel des “Spürens” auf den Begriff bringt. Das Spüren erscheint hier als ein Erkenntnisorgan (!) eines Denkens, das auf eine an Überlegenheitswünsche gekoppelte, rationalistische Beweisführung nicht mehr reduziert werden kann. — Das Verhältnis von Emotionalität und Rationalität speziell in den Diskursen und Aktivitäten der Friedensbewegung wurde von psychologischer Seite mehrfach erörtert; vgl. z.B. Holzkamp (1983), Horn (1987).

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  5. Zusammenfassend läßt sich das für das (friedens-) politische Denken und Handeln relevante Selbst- und Weltverhältnis von Graf jenseits der Polarität einer “abstrakten”, gewissermaßen auch “expertokratischen” Rationalität (wie sie der Vater vertritt) auf der einen Seite, und einem mehr oder weniger reflexionslosen Gefühl unmittelbarer “Betroffenheit” auf der anderen Seite, ansiedeln. Jene “Korikretheit” des politischen Denkens und Handelns, die Graf für sich in Anspruch nimmt und in ihrer autobiographischen Selbst-thematisierung erläutert, wendet sich also sowohl gegen eine “abstrakte” Haltung zur Welt, die von der Informantin wegen der damit verbundenen (zynischen) “Verweigerung” politischer Partizipationschancen abgelehnt und partiell auch als eine Art “Realitätsflucht” kritisiert wird, als auch gegen ein bloßes Pathos “unmittelbarer Betroffenheit” und ein “rein emotionales Denken”.

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  6. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei angemerkt: Die aufgestellte Behauptung besagt freilich nicht, daß die lebensgeschichtliche Entwicklung des friedenspolitischen Denkens unmittelbar und in einem streng “kausalen” Sinn auf die angesprochenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen zurückzuführen wäre. Und die formulierte Interpretation besagt ebenfalls nicht, daß die angesprochenen Erfahrungen ausschließlich die Sinngehalte des friedenspolitischen Denkens und Handelns bestimmen. Vielmehr bilden solche Erfahrungen auch wichtige Hintergründe für die Entwicklung anderer Identitätsaspekte der Forschungspartnerinnen. In diesem Zusammenhang wäre etwa an deren ebenfalls vorhandenes Engagement in der Frauenbewegung zu denken. Mit der formulierten und im folgenden zu erläuternden These wird allerdings behauptet, daß eben auch die in den autobiographischen Erzählungen und den Reflexionen der Informantinnen thematisierte Konstitution und die Bedeutungsgehalte des spezifisch friedenspolitischen Bewußtseins und Engagements in einem psychologisch relevanten, sinnhaften Zusammenhang mit den angesprochenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen stehen.

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  7. Insofern die Interviewpartnerinnen ihre Lebensgeschichte und die Entwicklung ihres Selbst in der skizzierten Weise reflektieren, bewegen sie sich in einem Denkrahmen, den Young als “humanistischen Feminismus” bezeichnet hat: “Der humanistische Feminismus definiert die Unterdrückung der Frau als Einschränkung und Beeinträchtigung ihrer Möglichkeiten durch eine Gesellschaft, die nur die Selbstverwirklichung von Männern erlaubt” (Young 1989, 38).

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  8. Im obenstehenden Zitat signalisiert das Zeichen (…) eine von mir vorgenommene Auslassung von Worten oder Äußerungen, die im vorliegenden Kontext m.E. vernachlässigbar sind. In den längeren Transkriptauszügen steht das soeben erwähnte Symbol dagegen — wie in den Transkriptionsanweisungen in Anhang B angegeben — auch weiterhin für Worte, die beim Anhören des Tonbandmitschnitts bzw. bei der Anfertigung der Abschrift unverständlich waren.

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  9. In den letzten zwei Zitaten (Graf, Franke) deutet sich an, daß, um die bereits ins Spiel gebrachte Begrifflichkeit von Young noch einmal aufzugreifen, für die Explikation des friedenspolitischen Denkens und Handelns der interviewten Frauen nicht nur Argumente des “humanistischen Feminismus”, sondern (tendenziell) auch Überlegungen aus dem Umkreis des “gynozentrischen Feminismus” wichtig werden können. “Der gynozentrische Feminismus definiert die Benachteiligung der Frau als die Abwertung und Repression der Erfahrungen von Frauen durch eine männliche Kultur, die Gewalt und Individualismus favorisiert. Er argumentiert für die Vorrangigkeit der in der traditionell weiblichen Erfahrung vorhandenen Werte und lehnt die Wertvorstellungen, die sich in den traditionell von Männern dominierten Institutionen finden, ab” (Young 1989, 38). Im Zitat von Graf wird die Praxis von Männern, die die “Wissenschaft entwickeln” und die “Kriege fuhren”, allerdings nicht speziell im Hinblick auf die Erfahrung von Frauen, sondern wegen ihrer allgemeinen Gefahren thematisiert. Gleichwohl klingt hier die Frage an, inwieweit destruktive Potentiale, wie sie (teilweise auch) die Wissenschaft und insbesondere das Militär verkörpern, spezifisch männliche Potentiale sind und wie wohl eine Welt beschaffen wäre, in der Frauen aus den soeben genannten Bereichen nicht ausgeschlossen (worden) wären. Bei Franke sind gynozentrische Deutungsmuster unübersehbar: Die Differenz zwischen Männern und Frauen erscheint hier auch als eine normative Differenz, wobei eine egalitär strukturierte Welt “der” Frauen einer hierarchisch geordneten, autoritär verfaßten, aggressiven und gewalttätigen Welt “der” Männer gegenübergestellt wird. Ich verzichte auf eine genauere Interpretation dieser polarisierend-kontrastiven “Zwei-Welten-Konstruktion”, und ich verzichte ebenfalls auf eine Diskussion des Verhältnisses von Deutungsmustern und Argumenten meiner Interviewpartnerinnen, die den konkurrierenden Positionen des humanistischen Feminismus einerseits, des gynozentrischen Feminismus andererseits, zugeordnet werden können.

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  10. Analoges gilt im übrigen auch für das Gedankengut anderer Selbst- und Weltbilder, die in der gesellschaftlich-sozialen Praxis und speziell in der Friedensbewegung handlungsleitende und interaktionsstrukturierende Funktionen übernehmen können, also etwa für humanistisch-aufklärerische, religiöse, vor allem christliche, oder für sozialistisch-kommunistische Traditionen.

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© 1993 Leske + Budrich, Opladen

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Straub, J. (1993). Typik III (Geschlechtstypik): Über geschlechtsspezifische Konstitutionselemente und Sinngehalte friedenspolitischen Handelns. In: Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln. Biographie & Gesellschaft, vol 20. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96038-2_10

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96038-2_10

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-322-96039-9

  • Online ISBN: 978-3-322-96038-2

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