Zusammenfassung
Die Politikwissenschaft hat das Thema direkte Demokratie bislang nicht adäquat behandelt — diese Auffassung ist in der Einleitung bereits angeklungen und soll im folgenden detailliert belegt werden. Dabei werden zunächst diejenigen Arbeiten betrachtet, die sich explizit mit direkter Demokratie auseinandersetzen. Anschließend wird untersucht, welchen Rang direktdemokratische Institutionen in der vergleichenden Demokratieforschung, insbesondere in der Demokratietypologie, einnehmen. Was auf diese Weise geleistet werden soll, ist jedoch mehr als ein Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Es gilt auch zu zeigen, welche systematischen Gründe es dafür gibt, daß bislang entweder nicht versucht wurde, den Zusammenhang zwischen Demokratietypen und direktdemokratischen Verfahren zu klären und darauf aufbauend zu generalisierenden Aussagen über das Phänomen direkte Demokratie zu gelangen, oder daß diese Versuche allesamt gescheitert sind.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Referenzen
Einen Überblick über den gesamten Forschungszweig liefern Jung (1990, 1995a, 1995b) sowie Morel (1992).
Selbstverständlich hat sich auch die Rechtswissenschaft intensiv mit dem Themenkomplex direkte Demokratie auseinandergesetzt. Monographien jüngeren Datums stammen von Giehl (1996), Tschannen (1995), Heußner (1994), Stelzenmüller (1994) und Suksi (1993). Gerade die nach der Wiedervereinigung Deutschlands geführte Verfassungsdebatte um die Einführung direktdemokratischer Instrumente hat unzählige rechtswissenschaftliche Beiträge hervorgebracht. Insofern sie politikwissenschaftliche Argumentationen beinhalten, werden sie an entsprechender Stelle Berücksichtigung finden.
Die einschlägigen Werke für die USA bzw. Kalifornien sind unter anderem Magleby (1984), Billerbeck (1989), Cronin (1989), Stelzenmüller (1994), Glaser (1997), Bowler u.a. (1998) und zuletzt Zimmerman (1999); für die Schweiz nach wie vor Neidhart (1970) und Kobach (1993), zuletzt auch Linder (1999). Eine gute Aufsatzsammlung über verschiedene Aspekte der direkten Demokratie in der Schweiz ist das SVPW-Jahrbuch 31 (1991).
Die zentrale Bedeutung von Werbung für den Ausgang von Volksabstimmungen belegen unter anderem die Arbeiten von Hertig (1982); Zisk (1987); Magleby (1984). Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen dagegen Owens/Wade (1986).
Zwar fehlt v. a. in Arbeiten über die Schweiz selten der Hinweis, daß es sich um einen Sonderfall handele, weshalb man nur sehr bedingt Lehren aus den Schweizer Erfahrungen mit direkter Demokratie ziehen könne. Welches diese Bedingungen und Bedingtheiten sind, wird jedoch nur selten expliziert, beispielhaft bei Germann (1993) und zuletzt bei Gebhart (2001), wenig überzeugend dagegen bei Aubert (1996).
Positiv vermerkt sei jedoch, daß in vielen Fällen zumindest Typologien direktdemokratischer Verfahren entwickelt bzw. verwendet werden (Butler/Ranney 1978c: 23–24; Caciagli/Uleri 1994: 6–10; Uleri 1996a: 8–14). Ansonsten wäre eine präzise vergleichende Darstellung der direktdemokratischen Praxis der einzelnen Länder gar nicht möglich.
So z.B. bei Gilhuis (1981: 322); Möckli (1991: 40), Bogdanor (1994: 87), Butler/Ranney (1978b: 18, 1994b: 258) und Gallagher (1996a: 235 u. 250).
Ein vernichtendes Urteil über diese Habilitationsschrift fällt auch Otmar Jung (1995b: 457–458).
So bezeichnet er in Kapitel 5.1 — „De““ — das Plebiszit als ein Instrument, das Territorialentscheide legitimiere (Luthardt 1994: 33). Im Kapitel über Frankreich fungiert der Begriff Plebiszit dann plötzlich als Überbegriff, der die sog. „Napoleonischen Pl““ ebenso umfaßt wie die Referenden der V. Republik (Luthardt 1994: 59–66). Zur theoretischen Unterscheidung zwischen Referendum und Plebiszit, vgl. die umfassende Arbeit von Denquin (1976)
Vgl. z.B. Smith (1976: 7), Butler/Ranney (1978c: 23–24), Ranney (1981: 89), Möckli (1991: 321), Uleri (l 996a: 9) und Jung, S. (1996: 63
Näheres dazu in Kapitel 2.2.2
Für ein radikal partizipatorisches Demokratieverständnis, vgl. Pateman (1970), Barber (1984), Osbun (1985), Bachrach/Botwiniek (1992), Archibugi/Held (1995). Als einflußreiche Vertreter der Gegenposition seien neben Böckenförde exemplarisch nur Schumpeter (1946), Fraenkel (1979) und Neumann (1986) genannt.
Vgl. Budge (1996) als einen der prononciertesten Vertreter der &“euen“ direkten Demokratie, sowie Sartori (1997), der die „Referendu“atie“ trotz ihrer technologischen Machbarkeit kategorisch ablehnt. Chancen und Risiken für die Demokratie im Zeitalter der elektronischen Revolutionen diskutieren Arterton (1987), dessen empirische Befunde den Ansichten Budges widersprechen, McLean (1989) und zuletzt Kamps (1999). Für eine Übersicht über die Debatte, siehe Kleinsteuber/Hagen (1998)
Einen ausführlichen Überblick über die bundesrepublikanische Debatte der letzten zwanzig Jahre samt einer systematischen Überprüfung der Stichhaltigkeit der Argumente beider Seiten liefert Knaup (1994). Ihre Zusammenstellung der Wirkungen der einzelnen direktdemokratischen Verfahren ist lesenswert, die Abhängigkeit dieser Wirkungen vom systemischen Kontext wird jedoch nicht herausgearbeitet (Knaup 1994: 85–92). Eine Analyse der Verfassungsdebatte nach der Wiedervereinigung Deutschlands findet sich bei Paterna (1995). Für einige jüngere Beiträge zur deutschen Debatte, vgl. Rüther (1996), Hufschlag (1999) und zuletzt von Arnim (2000). Für die verfassungspolitische Diskussion außerhalb Deutschlands, vgl. Anmerku 2.
In der Bundesrepublik geht diese Diskussion einher mit einer umfangreichen juristischen Debatte zur Frage der Zulässigkeit von Volksabstimmungen auf Bundesebene, d.h. ihrer rein rechtlichen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Auf diese soll hier nicht weiter eingegangen werden, vgl. dazu jedoch die umfangreiche Dissertation von Bugiel (1991) sowie Schefold (1993) und Giehl (1996: 24–35).
Eine Ausnahme stellen die Merkmale Wahl- und Parteiensystem dar, die in jüngster Zeit verstärkt zur Ausdifferenzierung vor allem präsidentieller Systeme herangezogen werden (vgl. Mainwaring 1993; Thibaut/Skach 1996)
Inzwischen liegt unter dem Titel „Pattern“ocracy“ eine überarbeitete Neuauflage dieser Studie vor (Lijphart 1999). Sie enthält eine Reihe von konzeptuellen und methodischen Verbesserungen, auf die ich, soweit sie für die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung sind, jeweils eingehen werde. Die wesentliche Anderung besteht jedoch in der Ausweitung des Untersuchungsspektrums von 21 auf 36 demokratische Systeme (Lijphart 1999: x–xiii).
Zu den durchaus vorhandenen Schwächen der Studie, siehe Sartori (1997: 239–242, 1994a: 70–72), Schmidt (1995: 249–251) und Kaiser (1997: 432–434).
Für eine grundsätzliche Kritik an der Theorie der Konkordanzdemokratie, siehe van Schendelen (1984), Barry (1975), Lustick (1997) und zuletzt Bogaards (2000).
So sind in den Niederlanden sowie — in geringem Maße — in Österreich seit den 60er Jahren Prozesse der sogenannten  “#x00E4;ulung“ und damit der Auflösung konkordanzdemokratischer Strukturen zu beobachten (vgl. Lehmbruch 1992: 210; Lijphart 1989b; Luther/Mü 1992).
In der Neuauflage von“;Democracies“ nicht mehr enthalten (Lijphart 1999: xi).
Erst seit 1991 Teil des Merkmalkatalogs (Lijphart/Crepaz 1991).
In der Neuauflage von“;Democracies“ wird dieses Merkmal in zwei Aspekte unterteilt: eine mit einfacher Mehrheit zu ändernde Verfassung und die Nicht-Existenz einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit (Lijphart 1999: xi).
Erst 1997 zum Merkmalskatalog hinzugefügt (Lijphart 200).
In der Neuauflage von“;Democracies“ nicht mehr enthalten (Lijphart 1999: xi).
Erst seit 1991 Teil des Merkmalkatalogs (Lijphart/Crepaz 1991).
In der Neuauflage von“;Democracies“ wird dieses Merkmal in zwei Aspekte unterteilt: eine nur schwer zu ändernde Verfassung und eine starke, unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit (Lijphart 1999: xi).
Erst 1997 zum Merkmalskatalog hinzugefügt (Lijphart 1997:200).
Die Orientierung an konkreten politischen Systemen — Großbritannien und Neuseeland einerseits, Belgien und die Schweiz andererseits — ist eine der generellen Schwächen der Typologie. Sie hat auch zur Folge, daß Lijphart eine Typologie konstruiert, die in erster Linie für die Beschreibung und Unterscheidung verschiedener Typen parlamentarischer Systeme gedacht und geeignet ist (vgl. Kaiser 1997: 431). Zwar bezieht sich jeweils das zweite Kriterium des Mehrheits- und des Konsensustypus auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen Regierung und Parlament, doch die Unterschiede zwischen parlamentarischer und präsidentieller Regierungsweise sind damit weder vollständig noch adäquat erfaßt. Lijphart hat dies im übrigen später selbst erkannt (Lijphart 1994c) und den — wenig überzeugenden — Versuch unternommen, einen direkten Zusammenhang zwischen Präsidentialismus und Mehrheitsdemokrati herzustellen.
Daß dies allesamt Merkmale sind, die der durch die Faktoranalyse ermittelten ersten ( “tive-parties“) Dimension des Mehrheits-Konsensus-Kontrasts angehören, ist natürlich kein Zufall. Es zeigt, daß wir mit der Frage nach den Entscheidungs- und Repräsentationsregeln bereits eine der zentralen Dimensionen, nach der sich demokratische Systeme unterscheiden lassen, ermittelt haben (vgl. Kapitel 3.1).
Vergleichbares gilt für das Lijphartsche Mehrheitsprinzip — „the principle of concentrating as much political power as possible in the h“the majority“ (Lijphart 1984: 207). Der ursprünglich hinter diesem Prinzip stehende Gedanke, daß bei Wahlen und Abstimmungen die einfache Mehrheitsregel zu gelten hat, verschmilzt im Zuge der Herleitung des Mehrheitsmodells mit einem ganz anderen Prinzip, nämlich daß die jeweilige Mehrheit — und dies kann durchaus eine qualifizierte sein — über und in allen Bereichen unumschränkt herrschensoll.
Eine solche Vermischung der Frage nach den Entscheidungs- und Repräsentationsregeln mit der Frage nach der Aufteilung und Begrenzung von Herrschaftsmacht finden wir bei näherer Betrachtung auch in den Arbeiten Dahls (1956) und Rikers (1982), in denen die Typen“201E;Liberal“ bzw. „“an Democracy“ und der „“ic Democracy“ einander gegenübergestellt werden. Denn wenn Dahl und Riker “01E;populism“ oder „“ic Democracy“ sprechen, so läßt sich zeigen, daß sie damit nicht nur das Ideal institutionell unbegrenzter Herrschaft der Volkes meinen, sondern auch das Mehrheitsprinzip als Repräsentations- und Entscheidungsregel — beides in der Argumentation jedoch nicht sauber auseinanderhalten (vgl. Riker 1982: 247; Dahl 1956: 34–37). Gleichzeitig zeigt ihr zweiter, der populistischen Demokratie entgegengesetzter Idealtypus, daß und warum eine solche Trennung dringend notwendig ist. Denn in der liberalen bzw. Madisonschen Demokratie wird das Mehrheitsprinzip als zentrale Entscheidungs- und Repräsentationsregel keineswegs aufgegeben und durch das Konkordanzprinzip ersetzt — seine Bedeutung für diesen Demokratietypus wird sogar ausdrücklich gewürdigt (Dahl 1956: 31). Doch was die Madisonsche von der populistischen Demokratie unterscheidet, ist die Ausprägung der zweiten Dimension: Das Mehrheitsprinzip wird hier mit dem Gedanken der Aufteilung und Beschränkung von Macht kombiniert.
Erst in jüngster Zeit hat Lijphart sich die Frage gestellt, welche &#x“oretical logic“ sich hinter den beiden Dimensionen verbergen könne — freilich ohne dabei in die Tiefe zu gehen oder gar Schlüsse im Hinblick auf die Behandlung direkter Demokratie zu ziehen (Lijphart 1997: 200). Er verwirft zunächst die Hypothese, daß die erste Dimension d“1E;horizontale“ sei, insofern sie die Institutionen der zentralstaatlichen Ebene umfasse, die zweite dagegen“201E;vertikale“, „having to do with central-regional-loca“ment relations“ (Lijphart 1997: 200). Plausibler erscheint ihm statt dessen die auf Goodin (1996b) zurückgehende Unterscheidung zwischen „collective agency and shared responsibility on the one hand and divided agencies and respons“s on the other“ (Lijphart 1997: 201). Und er fährt selbstkritisch fort: „If this is the correct perspective, I should probably think of a better descriptive label for the second dimension th“eral-unitary !“ (Lijphart 1997: 201). Doch ganz so erst scheint es ihm mit dieser Frage nicht zu sein. Denn obwohl er durch die Neuauflage seines Buches die Chance gehabt hätte, diese vielversprechende Perspektive auszubauen “ „Label“ zu etablieren, behält er die alten bei: „they “er to remember“ (Lijphart 1999: 5)! Und mehr noch: Seit Mitte der 90er Jahre (Lijphart 1994b) verwendet Lijphart den Begriff „p“ring democracy“ als erklärtermaßen synonyme Bezeichnung für das Konzept der „co“onal democracy“, so daß die Verwirrung nun komplett ist (vgl. auchBogaards 2000).
Genau dies ist ein zentraler Kritikpunkt der sogenannten Vetopunkt-Ansätze (vgl. Kaiser 1997, 1998), auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde.
Exemplarisch sei hier nur auf die Debatten und teilweise bereits durchgeführten Reformen in Großbritannien (Kaiser 1999a), Neuseeland (Jackson/McRobie 1998) und Frankreich (Revue politique et parlementaire N° 997, 1998; Monde 2000) werwiesen.
Für den „“stitutionalism“ (Elkin/Soltan 1993) gilt allerdings, daß er sich in vielfacher Weise vom traditionellen Konstitutionalismus eines Carl Joachim Friedrich (1953), Charles Mcllwain (1947) oder M. J. C. Vile (1967) lösen möchte (vgl. Soltan 1993: 3–19). Wird jedoch die klassische Frage nach den verschiedenen institutionellen Möglichkeiten der Begrenzung von Herrschaftsmacht behandelt, so erfolgt dies auch im neuen Konstitutionalismus entlang alter Kategorien.
So bei Powell (1982: 54), Shugart/Carey (1992), Sartori (1994a), Lijphart (1993), Lijphart/Waisman (1996), Colomer (1996), Dahl (1993), Horowitz (1993), Stepan/Skach (1994). Als eine der wenigen Ausnahmen sei hier die Arbeit von Weaver/Rockman (1993) genannt, in der ein breites Spektrum institutioneller Faktoren berücksichtigt wird. Direkte Demokratie taucht jedoch auch hier nur an einer Stelle — in Zusammenhang mit möglichen Verfassungsreformen in den USA — auf, wird ansonsten jedoch nicht systematisch behandelt (Weaver/Rockman 1993: 469).
Rights and permissions
Copyright information
© 2001 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Jung, S. (2001). Direkte Demokratie — Stiefkind der vergleichenden Politikwissenschaft. In: Die Logik direkter Demokratie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99200-0_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99200-0_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-13723-0
Online ISBN: 978-3-322-99200-0
eBook Packages: Springer Book Archive