Zusammenfassung
Unter „kulturellem Gedächtnis“ verstehen wir mit Jan Assman „den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten […], in deren ,Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt“.1 Wir wollen davon ausgehend im folgenden an einigen Beispielen untersuchen, welches kulturelle Gedächtnis2 in die Gärten der Goethezeit3 eingeschrieben wurde, welche Erinnerung einzelne Gartenbauten und Gartenstaffagen wachhalten sollten und welche konkreten Sinnbilder sie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung dokumentierten.4 Dabei soll der unterschiedliche Einfluß einiger der wichtigsten frühen Landschaftsgärten und ihrer Besitzer auf den Weimarer Park umrissen werden.
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Notizen
Jan Assmann, Kulturelles Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Gedächtnis, hrsg. von J. Assmann und Tonio Hölscher, Frankfurt a. M. 1988, S. 15.
C. C. L. Hirschfeld, Anmerkungen über die Landhäuser und die Gartenkunst, Leipzig 1773, S. 67: „Die Revolution, welche der Chineser in der neuern Gartenkunst hervorgebracht, ist überhaupt zu merkwürdig, als daß sie hier vorübereilen könnte, ohne einen aufmerksamen Blick zu erhalten.“
Folkwin Wendland, Der Große Tiergarten in Berlin. Seine Geschichte und Entwicklung in fünf Jahrhunderten, Berlin 1993, S. 40f.
Géza Hajos, Romantische Gärten der Aufklärung. Englische Landschaftskultur in und um Wien, Wien-Köln 1989, S. 30.
August Rode, Wegweiser durch die Sehenswürdigkeiten in und um Dessau, Dessau 1795, Bd. 1, S. 44.
Karl Bechstein, Schlösser und Gärten in Altweimar, Weimar 1936, S. 66.
Joseph Rückert, Bemerkungen über Weimar 1799, hrsg. u. mit einem Nachw. von Eberhard Haufe, Weimar 1969, S. 25, 20, 19. Vgl. Michael Gamper, „Die Natur ist republikanisch“. Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg 1998, hier S. 292.
Friedrich Reil, Leopold Friedrich Franz, Herzog und Fürst von Anhalt-Deßau, ältestregierender Fürst in Anhalt, nach seinem Wirken und Wesen. Mit Hinblick auf merkwürdige Erscheinungen seiner Zeit, Dessau 1845, S. 90.
Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Frankfurt a. M. 81997, S. 323.
Vgl. Michael Niedermeier, Wörlitz als höfische Veranstaltung? Eros zwischen höfucher Selbstreflexion, pädagogischer Kontrolle und naturalisierter Utopie, in: Von der Geometrie zur Naturalisierung. Utopisches Denken im 18. Jahrhundert zwischen literarischer Fiktion und frühneuzeitlicher Gartenkunst, hrsg. von Richard Saage und Eva-Maria Seng (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, Bd. 10), Tübineen 1999, S. 180–208, hier S. 197.
Bernard Korzus, Neugotik im Alten Reich (Vortrag gehalten in Wörlitz, Berlin und Kiel; Vortragsmanuskript). Korzus hat als erster den Zusammenhang von Fürstenbundverhandlungen und neugotischen Gartenstaffagen erkannt und das Manuskript vertrauenswürdigen Kollegen zur Einsichtnahme überlassen. Wissenschaftlich völlig unlauter erscheint es daher, daß man den konkreten Thesen und Beispielen bei Ingo Pfeifer, der sich offensichtlich auch des Manuskriptes bedient hat, ohne Hinweis auf die Herkunft wiederbegegnet. Pfeifer gibt nun Korzus’ Ansatz als den eigenen aus, allerdings hat er dessen sehr differenzierte Darstellung naiv verkürzt und mit einigen groben Unrichtigkeiten angereichert. (Ingo Pfeifer, Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach und Franz von Anhalt-Dessau. Splitter zu einerpolitischen Freundschaft, in: Dessau und Weimar zum 250. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe. Ausstellungskatalog der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, hrsg. von Thomas Weiss, Wörlitz 1999, S. 43–49.)
Lord Hervey John, Memoirs of the Reign of George the Second, from his Accession to the Death of Queen Caroline, edited from the Original Manuscript at Ickworth, by the Right Hon. John Wilson Croker, LL. D., F. R. S. 2 Vol., London 1848, Bd. 2, S. 113.
Vgl. Georg Kloß, Geschichte der Freimaurerei in England, Irland und Schottland aus ächten Urkunden dargestellt (1685 bis 1784), nebst einer Abhandlung über die Ancient Masons, Leipzig (1847), S. 136.
Vgl. Kurt Kluxen, Geschichte Englands, Stuttgart 41991, S. 386ff., 433ff.
Vgl. Stephen Taylor, William Warburton and the alliance of Church and state, in: Journal for Ecclesiastical History 43 (1992), S. 271–286. Vgl. auch den Artikel zu Warburton von Christoph Schmitt, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, begr. u. hrsg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortges. von Traugott Bautz, Hamm (Westf.) 1970ff., Bd. 13 (1998), Sp. 350–353.
Vgl. William Warburton, The devine Legation of Moses demonstrated, London 21738, Bd. 2, S. 131–241. In Gotha besaß man die deutsche Fassung: Willhelm Warburtons, Sr. Königl. Hoheit des Prinzen von Wales Hofpredigers, Göttliche Sendung Mosis. Aus den Grundsätzen der Deisten bewiesen. […] In die Sprache der Deutschen übersetzt […] von Johann Christian Schmidt, Frankfurt und Leipzig 1751, Bd. 1, (2. Buch), S. 190–367, hier S. 351ff. — Vgl. hierzu: C. Lenning, Encyclopädie der Freimaurerei, nebst Nachrichten über die damit in wirklicher oder vorgeblicher Beziehung stehenden geheimen Verbindungen […], Leipzig 1824, Bd. 1, S. 138ff.; zu Warburtons Einfluß auf die Tradierung ägyptischer Vorstellungen: Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München-Wien 1998, S. 138–146.
Gustav-Adolf Raben (Die Parkanlage von Schloß Richmond, Braunschweig, in: Die Gartenkunst 1 (1989), S. 67–78) hat nachgewiesen, daß der sehr frühe englische Garten von Richmond bei Braunschweig ebenfalls unter Einfluß von Augusta von Wales ab 1769 bzw. 1771 entstanden ist. Bauherrin war ihre Tochter Auguste, die 1764 den Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig und Lüneburg heiratete. Den Gartenplan entwarf Lancelot Brown. Von der Lage der Gärten am jeweiligen Fluß (Themse, Oker, Leina) sowie der ganzen Anlage her gibt es große Ähnlichkeiten zwischen den Gärten von Kew/Richmond, Richmond und Gotha. Die frühe Erweiterung von Anlagen im landschaftlichen Geschmack (Kassel-Wilhelmshöhe, ab 1766) oder die frühen Landschaftsanlagen in der Tradition der „ornamented farm“, Lucklum, Marienwerder, Schwöbber oder Harbke (Anfang bis Mitte der 1760er Jahre), waren nicht eigentlich „englische“ Gärten. Wörlitz entsprach dem Charakter eines „ornamental garden“ oder, wie Fürst Franz oder Erdmannsdorff betonten, einer „Anlage“.
Vgl. Johann Wolfgang Goethe, Tagebücher. Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrage der Stiftung Weimarer Klassik hrsg. von Jochen Golz unter Mitarbeit von Wolfgang Albrecht, Andreas Döhler und Edith Zehm. Bde. 1,1 und 1,2 (1775–1787), Stuttgart-Weimar 1999, S. 21, 395 u. ö.
Vgl. z. B. Johann Christoph Beckmann, Historia des Fürstenthums Anhalt in sieben Theilen, Zerbst 1710, Th. 1, S. 1ff., 25ff.
In: E. J. de Westphalen, Monumenta inedita rerum Germanicarum, Leipzig 1739. Zitiert nach: Stemmermann (Anm. 77), S. 21.
Vgl. K. Rorschach, Frederick, Prince of Wales (1707–1751) as Collector and Patron, in: Walpole Society, vol. LV (1989–90), S. 1–76, hier S. 30f.
Vgl. Roberto Zapperi, Das Inkognito. Goethes ganz andere Existenz in Rom, München 1999, S. 93ff.
Vgl. Richard Hüttel, Ritter im Landschaftsgarten, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar 42 (1996), 2/3, S. 145–153. Dank an Frau Angelika Schneider und Frau Dorothee Ahrendt vom Dezernat Gartendenkmalpflege der Stiftung Weimarer Klassik für Literaturhinweis und -beschaffung.
Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung 1776–1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Bern-Frankfurt a. M. 1976, S. 43.
Hermann Schüttler, Die Mitglieder des Illuminatenordens 1776–1787/93, München 1991, S. 84.
Adrian von Buttlar, Das Grab im Garten. Zur naturreligiösen Deutung eines arkadischen Gartenmotivs, in: „Landschaft“ und Landschaften im 18. Jahrhundert, hrsg. von Heinke Wunderlich, Heidelberg 1995, S. 79–121.
Clemens Alexander Wirnmer, Die Geheimnisse des Neuen Gartens, in: Potsdamer Schlösser und Gärten (Ausstellungskatalog), hrsg. von der Gartendirektion der Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Potsdam 1993, S. 164–171; Wimmer, Die Geheimnisse von Marmorpalais und Neuem Garten. Vortrag gehalten vor der Pückler-Gesellschaft, Berlin, 4. September 199
Vgl. Michael Niedermeier, Der Parktempel in Gotha — ein früher Erdmannsdorff-Bau? Einige Überlegungen zum Einfluß der Wörlitzer auf den Gothaer Englischen Garten, in: Heiterkeit und Munterkeit der Durchsichten. Festschrift für Erhard Hirsch zum 70. Geburtstag, Dessau 1999, S. 131–140.
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Niedermeier, M. (2001). „Die ganze Erde wird zu einem Garten“. In: Bollenbeck, G., Golz, J., Knoche, M., Steierwald, U. (eds) Weimar — Archäologie eines Ortes. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02792-4_9
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