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Politikwissenschaft als Theorie der Politik

Hermann Hellers theoretische Grundlegung der Politikwissenschaft

  • Chapter
Politisches Denken

Zusammenfassung

Vor siebzig Jahren entwarf Hermann Heller (1891–1933)1 in einem Lexikonartikel die Begründung einer modernen Politikwissenschaft. Der Titel des Aufsatzes — Politikwissenschaft — ist in mehrfacher Hinsicht Programm: Es geht Heller erstens um eine Theorie der Politik, die von der Eigenart der politischen Praxis ausgeht. Zweitens bestimmt er, gegen reduktionistische Perspektiven auf Politik und Staat gewendet, Inhalt, Methode und Funktion der Disziplin. Drittens wird eine dialektische Konzeption skizziert, die den Begriff des Politischen mit dem Begriff des Staates eng verknüpft (siehe PS 53)2

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Literatur

  1. Zu Hellers nur unvollständig zu rekonstruierender Biographie siehe Klaus Meyer, Hermann Heller, Eine biographische Skizze (zuerst 1967), in: Christoph Müller/Ilse Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891–1933. Baden-Baden 1984, 65–87. Einige ergänzende biographische Angaben bei Wilfried Fiedler: Das Bild Hermann Hellers in der deutschen Staatsrechtswissenschaft. Leipzig 1994 und dems.: »Die Wirklichkeit des Staates als menschliche Wirksamkeit. Über Hermann Heller« (Teschen 1891 — Madrid 1933). In: Oberschlesisches Jahrbuch 11 (1995), 149–167.

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  2. Hellers mit »PS« abgekürzter Beitrag Politikwissenschaft erschien in englischer Sprache unter dem Titel Political Science. Er wird im folgenden nach der hier vorgelegten deutschen Fassung zitiert; als Seitenzählung wird auf die dort angegebene Paginierung des englischen Textes in Band III der Gesammelten Schriften (= GS) verwiesen (Hermann Heller: Gesammelte Schriften, Band III, Staatslehre als politische Wissenschaft, hrsg. von Christoph Müller in Verbindung mit Martin Drath/Otto Stammer/Gerhart Niemeyer/Fritz Borinski, 2., durchgesehene und um ein Nachwort erweiterte Auflage, Tübingen 1992, 45–75. Die beiden anderen Bände der GS tragen die Titel Orientierung und Entscheidung [= GS I] und Recht, Staat, Macht [= GS II]). So können englischer und deutscher Text aufgrund der identischen Seitenangaben leicht miteinander verglichen werden.

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  3. Siehe dazu aus der inzwischen umfangreichen Literatur namentlich die Beiträge in dem Sammelband Müller/Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat (bes. Teil E.: »Hermann Hellers Kampf um die Republik von Weimar«), ferner Walter Pauly: »Die Krise der Republik: Hermann Heller und Carl Schmitt«. In: Klaus Dicke/Klaus-Michael Kodalle (Hrsg.): Republik und Weltbürgerrecht. Kantische Anregungen zur Theorie politischer Ordnung nach dem Ost-West-Konflikt. Weimar, Köln, Wien 1998, 311–334 sowie monographisch David Dyzenhaus: Legality and Legitimacy. Carl Schmitt, Hans Kelsen and Hermann Heller in Weimar. Oxford 1997; Stephan Albrecht: Hermann Hellers Staats- und Demokratieauffassung. Frankfurt am Main, New York 1983; Wolfgang Schluchter: Entscheidimg für den sozialen Rechtsstaat. Hermann Heller und die staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik (1968). 2. Auflage, Baden-Baden 1983.

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  4. Siehe dazu Marcus Llanque: »Politik und republikanisches Denken: Hermann Heller«. In: Hans J, Lietzmann (Hrsg.): Moderne Politik. Politikverständnisse im 20. Jahrhundert. Opladen 2001, 37–61.

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  5. Albrecht Dehnhard: Dimensionen staatlichen Handelns. Staatstheorie in der Tradition Hermann Hellers. Tübingen 1996, macht Hellers Denken für seine gegenwartsbezogene Studie über den Staat fruchtbar und erweist darin Hellers Aktualität. Siehe zur Aktualität Hellers auch etwa Ilse Staff: »Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers« und Ingeborg Maus: »Hermann Heller und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik«. Beide in: Müller/Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. 25–41 bzw. 113–139.

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  6. »Concepto, desarrollo y función de la ciencia politica«. In: Revista de Derecho Publico, 2 (1933), 257–267 und 289–301.

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  7. Christoph Müller: »Redaktionsbericht«. In: GS III, 477–480, hier: 477. Ob die englische Obersetzung tatsächlich von einem englischsprachigen »native-speaker« angefertigt wurde, ist angesichts des ungewöhnlichen Stils des englischen Artikels fraglich. Womöglich hat Heller die Übertragung selbst vorgenommen. Über die Hintergründe und die näheren Umstände der Publikation von Hellers Artikeln in der Encyclopœdia ist kaum Verläßliches in Erfahrung zu bringen. Das Verlagshaus Macmillan New York, das die Encyclopœdia seinerzeit veröffentlichte, wurde 1951 verkauft und wechselte seither mehrfach den Besitzer. Die Korrespondenz des Verlages mit seinen Autoren aus den Jahren 1894 bis 1960 befindet sich heute im Archiv der New York Public Library. Nach deren Auskunft (Schreiben von John D. Stinson, Manuskript- und Archiv-Abteilung der NYPL, an M.H. vom 11.04.2002) befinden sich in diesem Archiv keine Unterlagen von oder über Heller.

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  8. Vor allem der Fertigstellung dieses Manuskriptes galt Anfang der dreißiger Jahre bis zu seinem Tod Hellers Aufmerksamkeit. Die Staatslehre erschien postum 1934.

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  9. Die Abweichungen erklären sich überwiegend aus der Qualität der Übersetzung. Hellers Staatslehre wird im folgenden als »StL« nach dem Abdruck im dritten Band der Gesammelten Schriften zitiert. Bei den aus der Staatslehre für den Artikel übernommenen Texten handelt es sich (in der Reihenfolge des Textaufbaus im Lexikonartikel) um folgende Passagen: I.: StL 102–105, 112–115, 147–149, 153–154; II.: StL 105–112; III.: StL 93–100, 126, 101–102.

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  10. Die Frage kann hier nicht entschieden werden. Für die erste Annahme spricht, daß im englischen Text einige Aspekte angesprochen werden, die sich so in der Staatslehre zwar nicht finden, die sich aber so gut in Hellers Gedankenwelt fügen und Hellers andernorts publizierten Überlegungen entsprechen, daß eine Bearbeitung durch fremde Hand unwahrscheinlich erscheint.

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  11. Siehe Hermann Heller: Sozialismus und Nation. Berlin 1925, 69–72 — dort unter der Überschrift »Vom Wesen der Politik als Tat«.

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  12. Zu dieser Debatte der Weimarer Staatsrechtslehre siehe neben der älteren Arbeit von Kurt Sontheimer: »Zur Grundlagenproblematik der Deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik«. In: ARSP 46 (1960), 39–71 aus der neueren Literatur Manfred Friedrich: Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft. Berlin 1997, 320–376 und Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. III, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur. 1914–1945, München 1999, 153–202.

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  13. Siehe Stoileis: Geschichte. Bd. II, Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft. 1800–1914, München 1992, 378.

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  14. PS 54 f.; es handelt sich hierbei um eine der Passagen, die eigens für den Artikel neu verfaßt wurden; sie lautet im Original: »Practical politics, however, which has been rightly called an art, is not communicable and can be neither learned or imparted, being rather an inborn aptitude not easily reducible to rationalized precepts. The course to be taken in a given situation cannot be anticipated in advance but arises from a certain tact, which in all cases must work with unpredictable sets of facts, weighing many impalpable factors and balancing intangible alternatives«.

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  15. Aristoteles, NE VI 1140 a 1 ff. und VI 1140 b 4 ff.

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  16. Es sei daran erinnert, daß die aristotelische Klugheit nicht mit der — ethisch »neutralen« — Geschicklichkeit oder Gerissenheit (deinotes) zu verwechseln ist. Auch der Dieb kann geschickt sein, indem er möglichst umsichtig und effizient zu Werke geht. Mag er sich in diesem Sinne geschickt angestellt haben, so handelte er doch aufgrund der ethischen Verwerflichkeit der Tat unklug.

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  17. In aristotelischer Terminologie: Politik erfordert keine Handlungen der poietischen, sondern der phronetischen Art; dazu sehr klar Hans-Georg Gadamer: »Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik«. In: ders.: Gesammelte Werke 1, Hermeneutik I, 6. Auflage, Tübingen 1999, 27.

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  18. Eher könnte man darunter das Vermögen verstehen, den richtigen Ton zu treffen. Für ein Politikverständnis, das — jedenfalls in antiker Tradition — in der Politik vor allem das kommunikative Vermögen sieht, gemeinsame Bezüge herzustellen, ist der Takt dann nicht eine von vielen, sondern eine Kardinaltugend.

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  19. Aristoteles, NE VI 1143 a 19 f.

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  20. Diese Feststellung gilt ungeachtet der Tatsache, daß Heller Politik als »Kunst« bezeichnet, was gänzlich »unaristotelisch« ist. Bekanntlich gehört die Kunst aufgrund ihrer Werkfixierung für Aristoteles in den Bereich des technischen Handelns (poiesis) und besitzt im Handeln keinen Selbstzweck. Es dürfte jedoch aus den vorigen Punkten hinreichend deutlich geworden sein, daß Politik für Heller gerade nicht in der techne besteht, die — im aristotelischen Verständnis — aufgrund ihrer Regelhaftigkeit erlernt werden kann (und soll).

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  21. Heller thematisiert diese Einheit vor allem hinsichtlich der Einheit von Politik, Ethik und Religion (PS 48 und 59).

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  22. Siehe StL 305 ff.

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  23. An anderer Stelle nennt Heller als vor-hobbcsschc Denker, die für die Säkularisierung des christlichen politischen Denkens stehen, Wilhelm von Ockham, Marsilius von Padua und Nicolaus Cusanus. Siehe Hermann Heller: »Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland. Ein Beitrag zur politischen Geistesgeschichte« (1921). In: GS I, 21–240, 30. In seiner Schrift über Die politischen Ideenkreise der Gegenwart sieht Heller offenbar eher in Machiavelli den Wendepunkt in der Geschichte des politischen Denkens: Siehe Hermann Heller: »Die politischen Ideenkreise der Gegenwart« (1926). In: ders.: GS II, 267–412, hier: 280.

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  24. Was Heller mit dieser Feststellung genau meint, bleibt durchaus unklar.

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  25. Siehe (mit Blick auf Augustinus) PS 49.

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  26. Siehe StL 214 ff.: »Der Gedanke einer gleichen Freiheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, ist spezifisch christlichen Ursprungs« (StL 215). Diese Sichtweise teilt Heller nicht zuletzt mit Hegel. Siehe insbes. dessen Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 482; femer Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270 Zus.

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  27. Die beiden ersten Punkte erläutert Heller im Text Politikwissenchaft, zum dritten Punkt siehe ausführlich Hermann Heller: »Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts« (1927). In: GS II, 31–202, hier: 96 f. mit den prägnanten Zitaten aus Hobbes’ De cive; siehe auch Hermann Heller: »Europa und der Fascismus« (1929). In: ebenda, 463–609, hier: 508. Es ist für Hellers politisches Denken signifikant, daß er — gestützt auf De cive — eine entscheidende Leistung Hobbes’ gerade in dessen Hervorhebung des Volkes als dem Bezugspunkt seiner Staatstheorie erkennt. Den von vielen Hobbesinterpreten demgegenüber unter Rückgriff auf den Leviathan betonten »Individualismus« der Hobbesschen Staatstheorie betrachtet Heller mit Skepsis (dazu sogleich oben im Text).

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  28. Heller zitiert die Stelle aus der Vorrede von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts im übrigen falsch, wenn er sie folgendermaßen wiedergibt: »Whatever is rational, is; and whatever is, is rational.« (PS 66). Diesem falschen englischen Wortlaut entspricht auch die Wiedergabc des Hegelschen Diktums in der Staatslehre (siehe deren erste Auflage, Leiden 1934, 21 = StL 112). Tatsächlich lautet es bei Hegel bekanntlich: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« (so zitiert in Heller, Hegel, 88). Hellers Ausführungen entsprechen in der Sache diesem originalen Wortlaut. Siehe kritisch dazu Gerhard Haney: »Zum Hegelverständnis Hermann Hellers«. In: Müller/Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. 467–485, hier: 469.

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  29. Heller nennt (PS 66) neben den historischen Materialisten die »Idealisten«. Damit meint er nicht etwa die sog. deutschen Idealisten, sondern die Vertreter eines juristischen Positivismus wie etwa Kelsen. Siehe StL 236 f. sowie Heller, Souveränität, 100.

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  30. Siehe dazu bereits oben unter II. sowie ausführlich Hermann Heller: »Die Krisis der Staatslehre« (1926). In: GS II, 3–33.

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  31. Heller, Krisis, 29. Im einzelnen siehe auch PS 49 und 51f.

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  32. Siehe StL 148; diese Stelle ist in PS ausgelassen.

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  33. Die Bedeutung Hegels für Heller wird immer wieder betont, doch ist das Verhältnis Hellers zu Hegel bislang nur ansatzweise aufgearbeitet. Siehe etwa Schluchter: Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. 92–119; Matthias Hartwig: »Die Krise der deutschen Staatslehre und die Rückbesinnung auf Hegel in der Weimarer Zeit«. In: Christoph Jermann (Hrsg.): Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie. Stuttgart-Bad Canstatt 1987, 239–275, bes. 265–275 und (Hellers Hegel-Mißverständnisse betonend) Haney: Zum Hegelverständnis Hermann Hellers. Wolfgang Kersting: »Staatsphilosophie und Weimarer Staatsrechtslehre. Kelsen und Heller über Recht und Staat«. In: ders.: Politik und Recht. Abhandlungen zur politischen Philosophie der Gegenwart und zur neuzeitlichen Rechtsphilosophie. Weilerswist 2000, 394–430 stellt Heller als »Hegelianer« vor (insbes. 421 ff.) und meint, Heller bediene sich »dezidiert antineuzeitliche[r] […] methodologische[r]« Vorstellungen (422). Hellers Staatslehre, die doch als politische Wissenschaft auftrete, lasse »der Entfaltung des Politischen keinen Raum« (430). Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Argumentation erweist sich Kerstings Interpretation als unhaltbar.

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  34. Zu den Gemeinsamkeiten der Konzeptionen Hellers und Hegels siehe fürs erste namentlich Hartwig: Die Krise der deutschen Staatslehre. 266–268.

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  35. Siehe im einzelnen insbes. StL 339 ff. einerseits und Hegel: Grundlinien. § 257 f., 271 ff. andererseits.

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  36. Siehe auch Heller: Souveränität, 99, wo er den modernen demokratischen Staat als »Herrschaft des Volkes als Einheit über das Volk als Vielheit« bezeichnet. Für Hegel stellt sich die im Staat »aufgehobene« Gesellschaft als vielfach in sich differenziert dar; zu diesem Pluralismus bei Hegel siehe ausführlich Shlomo Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates (1972). Frankfurt am Main 1976, 201 ff.

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  37. Siehe StL 345 ff. (»Wille zum Staat«: 346) sowie Heller, Souveränität, 99 ff und zum Staat als Manifestation des Willens Hegel, Grundlinien, § 257, zum Willen im einzelnen ebenda § 4 ff und passim.

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  38. »Das Gesetz der Organisation ist das grundlegendste Bildungsgesetz des Staates. Seine Einheit ist die wirkliche Einheit eines Handlungsgefüges, dessen Existenz als menschliches Zusammenwirken durch das bewußt auf die wirksame Einheitsbildung gerichtete Handeln von besonderen ›Organen‹ ermöglicht wird.« (StL 341). Zur inneren Gliederung des Staates bei Hegel siehe Grundlinien, § 272–320.

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  39. Heller entwickelt seine Argumentation in Auseinandersetzung mit Ansätzen, die die Einheit der Gesellschaft im Staat unter Rückgriff auf einen einzigen Faktor — einseitig naturalistisch, ökonomisch oder geisteswissenschaftlich — zu erklären suchen. Staatliche Einheit wird in solchen Ansätzen z.B. entweder als Resultat der geographischen Situation eines Landes, als Folge des ökonomischen Klassenantagonismus’, als Ergebnis von sozialen Integrationsprozessen oder als identisch mit der Einheit der Rechtsordnung gesehen. Es handelt sich hier letztlich um entweder substantialistische oder funktionalistisch-relationistische Ansätze, die vor allem deshalb zu kurz greifen, weil sie staatliche Einheit als im Grunde epiphänomenal denken und daher reduktionistisch sind (PS 51–54).

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  40. Daher ist die Behauptung irreführend, Hellers Konzeption sei eine »Adaption der Hegeischen Philosophie des objektiven Geistes« (so Wolfgang Kersting im Vorwort seiner Sammlung Politik und Recht, 14).

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  41. Siehe beispielsweise die Auseinandersetzung mit der geisteswissenschaftlichen Methode — Heller hat hier vor allem Wilhelm Dilthey und Othmar Spann im Auge, denkt aber auch an Rudolf Smends geisteswissenschaftliche Konzeption —, in der Heller eine Verengung auf ideelle Zusammenhänge zurückweist und statt dessen als methodisches Vorgehen postuliert: »Für die gesamte politische Realität gilt, daß es eine bewirkte und eine bewirkende Aktivität einerseits gibt und andererseits die Bedeutung des Inhalts: Eine Handlung und ihr Sinn sind unauflöslich miteinander verbunden. Politik, wie Ökonomie oder jeder andere Bereich der Kultur, ist nicht eine immaterielle Idee, sondern das idealisierte Konkrete« (PS 59).

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  42. Siehe StL passim, insbes. 156–161. Das Konzept, in dem Hellers Dialektik in der Staatslehre besonders deutlich zum Ausdruck kommt, ist das der Gestalt. Zur Charakterisierung von Hellers Theorie als dialektisch siehe dezidiert Gerhart Niemeyer: »Einleitung« (1934). In: StL, 81–91; femer Wilhelm Bernsdorf: »Hermann Heller«. In: ders. (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Stuttgart 1959, 214–216; Gerhard Robbers: Hermann Heller: Staat und Kultur. Baden-Baden 1983, bes. 25 ff. und ausführlich Dehnhard: Dimensionen staatlichen Handelns. 52–57 sowie Hartwig: Die Krise der deutschen Staatslehre. Bes. 265 ff. Hartwig gelangt allerdings zu dem Ergebnis, Heller sei »eine dialektische Herleitung des Staates« mißlungen (274).

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  43. Siehe hierzu vor allem Dehnhard: Dimensionen staatlichen Handelns, 53 f.

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  44. Dieses Problem, so scheint es, stellt sich für jede anspruchsvolle moderne Sozialtheorie; siehe dazu ausdrücklich etwa Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1984, 13 f. Daß es auch für Hegels dialektische Sozialphilosophie bzw. politische Philosophie charakteristisch ist, zeigt Theodor W. Adorno: »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«. In: ders: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 5: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel, Frankfurt am Main 1990, 326–375, bes. 364 ff. Eine weitere Schwierigkeit der Beschäftigung mit Hellers Dialektik hat mit dem Begriff der Dialektik selbst zu tun. Bekanntlich ist unter Dialektik seit Piaton der richtige Umgang mit der Rede im Gespräch zu verstehen. Während Piaton jedoch die Dialektik geradezu als wissenschaftlichen Schutzwall gegen die sophistischen Versuchungen verstanden hat, um mit ihr die natürliche Ordnung der Dinge nicht der Beliebigkeit menschlichen Meinens preisgeben zu müssen, wurde die Dialektik mit Aristoteles — im Grunde bis einschließlich Kant — aus dem Bereich der Wissenschaft in die Rhetorik verbannt. Dialektik bis zu Hegel war gerade kein Ausweis wissenschaftlichen Denkens. Erst Hegel machte die »wissenschaftliche« Dialektik Piatons — nach ihrer Verbannung in die Rhetorik — neuerlich wissenschaftsfähig — und Heller folgt ihm durchaus bewußt darin. Signifikant etwa seine Feststellung, daß »[…] das Ganze, […] allein Wahrheit und Wirklichkeit« habe (StL 161).

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  45. Siehe dazu etwa Marcus Llanque: »Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit« (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller). In: Andreas Göbel/Dirk van Laak/Ingeborg Villinger (Hrsg.): Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren. Berlin 1995, 157–176; Pasquale Pasquino: »Politische Einheit, Demokratie und Pluralismus. Bemerkungen zu Carl Schmitt, Hermann Heller und Ernst Fraenkel«. In: Müller/Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. 367–380.

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  46. Für die Hellers Problemstellung verfehlende Unterstellung, dieser setze in seiner Staatskonzeption einen inhaltlichen Grundkonsens voraus, kann Kay Waechter keine Textbelege angeben (Kay Waechter: Studien zum Gedanken der Einheit des Staates. Über die rechtsphilosophische Auflösung der Einheit des Subjektes. Berlin 1994, 123, 125). Für Heller besteht das politische und theoretische Problem gerade darin, daß ein Grundkonsens nicht vorgegeben, sondern bestenfalls aufgegeben ist. Auch Hellers Konzeption sozialer Homogenität darf nicht mit einem die Einheit des Staates generierenden Konsens verwechselt werden. Siehe dazu Hermann Heller: »Politische Demokratie und soziale Homogenität« (1928). In: ders.: GS II, 421–433. Zumindest in seiner Bezugnahme auf diesen Aufsatz Hellers ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung (BVerfGE 89, 155 [185]) einem entsprechenden Mißverständnis nicht erlegen.

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  47. Der englische Text gibt diesen Gedanken nur undeutlich und unzureichend wieder: »[…] that political institutions as a whole were to be understood, explained and justified only as the creations of human beings« (PS 64 = StL 110).

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  48. Für Wacchters Behauptung, Hellers Organisationsbegriff finde ihr »Vorbild in der wirtschaftlichen Betriebsorganisation der zwanziger Jahre« (Waechter, Studien, 121; siehe auch ebenda, 127, wo von einem angeblich »betriebswirtschaftlich orientierten Einheitskonzept« Hellers die Rede ist), lassen sich in Hellers Texten keine Anhaltspunkte finden.

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  49. Zur Veranschaulichung kann man das Organisieren mit den illokutionären Akten im Sinne John L. Austins und John R. Searles vergleichen, mit denen es wichtige Charakteristika gemeinsam hat.

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  50. Zum Gestaltbegriff siehe StL 156–161 und 195.

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  51. Sie ist ja Effekt des menschlichen Wirkens und so wie das Werk des Künstlers diesem selbst objektiv gegenübertritt, so tritt die Einheit der sie hervorbringenden Vielheit objektiv gegenüber. Das Ganze der Gestalt ist somit nicht ohne seine Momente (die gesellschaftliche Vielheit), die Momente selbst aber sind erst was sie als Momente sind, im Zusammenhang des Ganzen, da ihnen im Ganzen ein Aspekt ihrer selbst begegnet.

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  52. Da die Einheit des Staates die Einheit einer Organisation (also Effekt menschlichen Wirkens) ist, kann Heller sagen, daß der Staat nicht aus Menschen (sondern aus menschlichen Leistungen) besteht: Siehe StL 348 und 351: »So wenig wie irgend eine andere Organisation besteht der Staat aus Menschen.«

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  53. Heller bestimmt den Verfassungsbegriff folgendermaßen: »Die Verfassung eines Staates deckt sich mit seiner Organisation insofern, als diese die durch bewußte menschliche Tätigkeit hervorgebrachte Verfassung und nur sie bezeichnet. Beide bedeuten die Gestalt oder Struktur eines durch menschliche Willensakte sich ständig erneuernden politischen Seinszustandes« (StL 361).

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  54. Akzeptanz bedeutet hierbei, daß sich keine Alternative zur Verfassung mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit wirksam durchsetzt.

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  55. Eine Darstellung der für Hellers Theorie wichtigen Konzepte des (Staats-) Organs, der Repräsentation und der Souveränität kann hier nicht erfolgen. Siehe dazu StL 183 f., 341 ff. (zum Organ); Heller: Souveränität. 97 ff. sowie ders.: »Genie und Funktionär in der Politik« (1930). In: ders.: GS II, 611–623, hier: 618 f. (zur Repräsentation); Heller, Souveränität (zur Souveränität). Die im Rahmen der Staatslehre von Heller geplante Ausführung seiner Repräsentationstheorie war ihm nicht mehr möglich.

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  56. Die Bedeutung des Ich-Begriffs für Hellers Konzeption wurde bereits von Gerhart Niemeyer in dessen (von der Forschung bisher kaum beachteter) Einleitung zu Hellers Staatslehre betont. Siehe femer insbes. StL 176, 191, 195.

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  57. »Individuum und Gemeinschaft sind […] Korrelatbegriffe, der eine mit dem anderen gesetzt.« (Heller, Souveränität, 106 unter Hinweis auf Theodor Litt).

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  58. Siehe StL 201 f. und StL 237, wo Heller schreibt, daß der handelnde Mensch in den »gesamten kosmischen Zusammenhang, den das Weltall darstellt, [eingeordnet]« sei.

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  59. Sozialismus und Nation, 69. Siehe auch etwa StL 311.

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  60. Siehe hierzu die Stelle, an der Heller von der »independent sphere« (PS 49) spricht.

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  61. Auf die internationalen Beziehungen geht Heller im Artikel Politikwissenschaft nicht näher ein, sie gelten ihm aber als von originär politischer Natur. Siehe dazu Karl G. Kick: »Die internationalen Beziehungen im politischen Denken Hermann Hellers«. In: ders./Stephan Weingarz/Ulrich Bartosch (Hrsg.): Wandel durch Beständigkeit. Studien zur deutschen und internationalen Politik. Jens Hacker zum 65. Geburtstag. Berlin 1998, 439–454.

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  62. Zur Souveränität siehe Heller: Souveränität, passim, bes. 92 ff. und StL 359 ff.; zur Macht Heller: »Political Power« (1934). In: GS III, 35–44; zum Recht insbes. StL 287 ff., 325 flf. und Souveränität, passim.

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  63. Heller: Krisis. 25.

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  64. Insofern läßt sich auch von einem dialektischen Verhältnis von Theorie und Praxis bei Heller sprechen, wie Robbers: Hermann Heller. 25 ff., es tut. Zum Theorie-Praxis-Verhältnis bei Heller siehe auch Schluchter: Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. 147 ff., 166 ff.

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  65. »Der Problembestand der Theorie der Politik ergibt sich also nicht dadurch, daß der einzelne Forscher willkürlich seine subjektiven Fragen an die politische Wirklichkeit ›heranträgt‹, sondern dadurch, daß in dieser, vom Forscher erlebten politischen Wirklichkeit selbst etwas objektiv fragwürdig und klärungsbedürftig geworden ist« (PS 49). In dieser Feststellung muß man auch eine Distanzierung Hellers gegenüber der seinerzeit im Anschluß an Heinrich Rickert und Max Weber diskutierten »wertbeziehenden Methode« sehen.

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  66. Wilhelm Hennis sieht Hermann Heller explizit in der Tradition der praktischen Philosophie: Wilhelm Hennis: Politik und praktische Philosophie. Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft. Neuwied, Berlin 1963, 38.

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  67. Hermann Heller: »Arbeiter und wissenschaftliche Politik« (1919/20). In: ders.: GS I, 579–583, hier: 581.

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  68. Siehe zu Hellers Tätigkeit in der politischen Bildungsarbeit Fritz Borinski: »Hermann Heller: Lehrer der Jugend und Vorkämpfer der freien Erwachsenenbildung«. In: Müller/Staff (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. 89–110.

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  69. Heller: Arbeiter und wissenschaftliche Politik. 581.

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Henkel, M., Lembcke, O. (2002). Politikwissenschaft als Theorie der Politik. In: Ballestrem, K.G., Gerhardt, V., Ottmann, H., Thompson, M.P. (eds) Politisches Denken. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02895-2_2

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