Zusammenfassung
Gibt es einen „erkenntnistheoretischen Unterschied zwischen Vernunft und Wahnsinn“, zwischen „Rationalität und Verrücktheit“?, fragte B. Russell herausfordernd in seiner „History of Western Philosophy“. Fragen wie diese haben Erkenntnistheoretiker und Wissenschaftsphilosophen seit jeher aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigt. Der Kritische Rationalismus K. Poppers etwa führt „Wahrheit, Rationalität und das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis“ nahe zueinander (Popper 2000, S. 312), um durch sein berühmtes „Abgrenzungskriterium“ Wissenschaft auszuzeichnen. Rationalität zeige sich gerade dort, wo empirisch-deduktiv gestütztes Erkenntniswachstum am deutlichsten hervortritt, nämlich in der Physik. Kritischer Rationalismus und hypothetischer Realismus seien demnach Zwillingsbrüder. Auf gleicher Linie betont J. Mittelstraß, dass „in Wissenschaft und Forschung die Rationalität am reinsten zum Ausdruck [kommt].“ (Mittelstraß 1996, S. 162) Dass die „exakten Naturwissenschaften (…) als Prototyp rationaler Erkenntnis“ anzusehen seien, meint auch W. Stegmüller (Stegmüller 1987, S. 283).
„Die zahlreichen Abweichungen vom geraden und faden Pfad der Rationalität, die wir in der historisch vorliegenden Wissenschaft bemerken, sind vielleicht notwendig, wenn wir mit dem spröden und unverläßlichen Material, das uns zur Verfügung steht (Instrumente, Gehirne, philosophische Träume), einen Fortschritt herbeiführen wollen.“ (Feyerabend 1974, S. 211)
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Schmidt, J.C. (2002). Komplexität und Kontextualität. In: Karafyllis, N.C., Schmidt, J.C. (eds) Zugänge zur Rationalität der Zukunft. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02903-4_7
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