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Zusammenfassung

Apokalyptische Spekulationen und Erwartungen eines unmittelbar bevorstehenden Weltendes hat es seit den frühesten Zeiten des Christentums immer wieder gegeben, aber erst Joachim von Floris (1131–1202)1 hat sie zu einem folgerichtigen System historisch-allegorischer Deutung ausgedacht. Ihrer revolutionären Konsequenzen wegen führte diese Deutung zu heftigen Meinungskämpfen innerhalb der katholischen Kirche. So entfernt dieser Streit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts uns heute erscheint, so wenig läßt sich bezweifeln, daß er den Enthusiasmus des frühen Christentums neu aufflammen ließ und indirekt die Fortschrittsreligion der Neuzeit bedingt hat.

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Notizen

  1. Die eindringlichsten Arbeiten stammen von H. Grundmann, Studien über Joachim von Floris, Leipzig 1927; E. Buonaiuti, Gioacchino da Fiore: I Tempi, la vita, il messaggio, Rom 1931; auch dessen Einleitungen zu den kritischen Ausgaben des Tractatus super quatuor evangelia, Rom 1930, und die Scritti minori, Rom 1936; E. Benz, Die Kategorien der religiösen Geschichtsdeutung Joachims, Zeitschrift für Kirchengeschichte, 3. Folge, I, 1931, S. 24–111, und Ecclesia spiritualis, Stuttgart 1934. Eine kurze englische Monographie gibt H. Bett, Joachim of Flora, London 1931. Eine kritische Übersicht über die Joachim-Literatur erschien im Speculum, Bd. VII, 1932 von George La Piana. Die folgende Darstellung fußt hauptsächlich auf den Arbeiten von H. Grundmann und E. Benz. Eine kritische Ausgabe der Hauptwerke Joachims (Concordia veteris et novi Testamenti; Expositio super Apocalipsim; Psalterium decem chodarum) ist noch nicht erschienen. Die Hauptquellen für die drei Zeitalter sind die Einleitung und Kap. V der Erklärung der Apokalypse, und die Konkordanz, Buch V, Kap. LXXXIV. Joachims Gedanke kann zurückverfolgt werden bis zur montanistischen Häresie im zweiten Jahrhundert (vgl. Tertullian, De monogamia, XIV; De virginibus velandis, I). Eine orthodoxe Kritik an Joachims häretischer These gibt Thomas, Summa theologica, II, i qu. 106, a. 4; vgl. E. Benz, Thomas von Aquin und Joachim de Fiore, Zeitschrift für Kirchengeschichte, LIII (1934), 52ff.

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  2. Offenb. 14, 6–7.

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  3. R. Jones, The eternal Gospel, New York 1937, S. 3 f. Jones übernimmt zwar die Idee eines ewigen Evangeliums im allgemeinen, aber nicht »den schauerlichen Trost einer apokalyptischen Unterstützungsaktion vom Himmel«. So nimmt er nach einigen einleitenden Seiten von Joachim Abstand, um seine eigene Idee von der »fortschreitenden Offenbarung« einer »geistigen Wirklichkeit« zu entwickeln, die »in den moralischen Siegen der Geschichte« Gott offenbart, obwohl er sich darüber im klaren ist, daß es ein heikles Unternehmen bedeutet, die weltliche Geschichte als eine Offenbarung Gottes aufzuweisen und in ihr Zeichen eines ewigen Evangeliums zu finden.

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  4. Es wäre angebracht, die methodische Bedeutung typologischer und allegorischer Interpretation, wie sie seit frühesten Zeiten gebräuchlich war, neu zu überprüfen. Bemerkenswert ist, daß der kritischste aller modernen Kirchenhistoriker, F. Overbeck, zu dem erstaunlichen Schluß kam, daß die allegorische Interpretation der Bibel »schlechthin die der Theologie« ist (Christentum und Kultur, Basel 1919, S. 90 f.). Die Notwendigkeit der allegorischen Interpretation im weitesten Sinn beruht darauf, daß der christliche Glaube und die Kirche auf einem historischen Dokument basieren, das man — um seine Wahrheit zu beweisen — spirituell interpretieren muß.

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  5. Konkordanz […], Vorwort.

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  6. II. Kor. 3,17; Röm. 8, 1–11; Gal. Kap. 4. Es ist ein weiter Weg von den griechischen Worten für »Geist« und »Freiheit« zu den neutestamentlichen Begriffen und von da zu ihren modernen Bedeutungen. Für Paulus ist »pneuma« eine geheimnisvolle Eingießung der Gnade, die den Menschen in ein geistiges Wesen verwandelt; »eleutheria« ist die Freiheit eines solchen begnadeten Wesens von Tod und Sünde — durch freiwilligen Gehorsam. Daher kann christliche Freiheit niemals in einem Gegensatz zu Autorität und Gehorsam stehen. Die Frage ist nur, welche Autorität und welcher Gehorsam wirklich frei macht. Auch Joachim bezweifelt nicht die Autorität des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Aber im Unterschied zu Augustin, für den eine vollendete Freiheit innerhalb des irdischen Lebens undenkbar war, erwartete Joachim die völlige Freiheit des Geistes innerhalb der letzten Phase der Geschichte.

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  7. I. Kor. 13, 9–10; vgl. Rom. 13,12; I. Kor. 13,12; Joh. 16,12.

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  8. Siehe E. Frank, Philosophical Understanding and Religious Truth, New York 1945, Kap. VI. In seiner rationalistischen Form ist Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft die konsequenteste »Vergeistigung« der neutestamentlichen »Schrift«. Mittels der Unterscheidung der reinen »Vernunftreligion« oder des »moralischen Glaubens« vom »Kirchenglauben«, der auf historischer Offenbarung beruht, interpretiert Kant die ganze Geschichte des Christentums als einen schrittweisen Aufstieg von einer Offenbarungsreligion zu einer Vernunftreligion, durch die das Reich Gottes als ein ethisches Gemeinwesen auf Erden veriwrklicht werden soll. Die gegenwärtige Periode der Aufklärung ist für Kant »zweifellos« die beste, weil sie der fortgeschrittenste Ausdruck des christlichen Glaubens ist, indem sie die irrationale Voraussetzung von Glauben und Gnade hinter sich läßt.

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  9. Siehe E. Benz, Die Kategorien […], S. 100, mit Ecclesia spiritualis, S. 434 und 460 ff., wo Benz auf das Bestreben der Joachiten hinweist, die Kirchengeschichte streng religiös als eine Erläuterung der wesentlichen Gestalten und Ereignisse des Neuen Testaments zu verstehen; vgl. H. Grundmanns Analyse von Joachims exegetischer Methode und ihrer geschichtlichen Vorläufer (a.a.O., S. 18–55; Buonaiuti, a.a.O., S. 189 ff.). Das Erstaunliche an Joachims Interpretation ist nicht der Höhenflug allegorischer Auslegung und apokalyptischer Phantasie, sondern der Grad an Disziplin, mit der es ihm gelingt, eine christliche Logik der Geschichte auszudenken, indem er die bedeutendsten Ereignisse der Kirchengeschichte mit der literarischen Abfolge der Gestalten und Visionen des Neuen Testaments zusammendenkt.

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  10. Siehe E. Kantorowicz, Kaiser Friedrich II., 3. Aufl., Berlin 1931; dieses Werk war unter der deutschen Jugend der zwanziger Jahre weit verbreitet, weil es sie der messianischen Mission des »geheimen Deutschland« versicherte, bis das Geheimnis in Hitlers Drittem Reich entschleiert und profaniert wurde. Friedrich, durch die Kirche exkommuniziert, krönte sich selber in Jerusalem und nahm den messianischen Titel eines »dominus mundi« an.

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  11. Siehe E. Benz, Ecclesia spiritualis, S. 387 f., und die Biographien des Cola di Rienzo von Gabriele d’Annunzio, La vita di Cola di Rienzo, Mailand 1912, sowie P. Piur, Cola di Rienzo, Wien 1931. Die Interpretation des Heiligen Franziskus als des »novus dux« leitet sich von Joachim her. Der geistliche Ursprung des Titels »dux« findet sich bei Matt. 2, 3–6. Die Übertragung des geistlichen Titels auf einen politischen Führer dauert in Italien bis zum »Duce« unserer Zeit. In den zwanziger Jahren veröffentlichte ein katholischer Priester über Franziskus und Mussolini eine faschistische Flugschrift, in der er die Übereinstimmung der Erneuerungsbestrebungen beider zu erweisen versucht. Die Botschaft Mussolinis sei ein »messaggio francescano«! Die Wiedergabe eines Gemäldes von Giotto, den Hl. Franziskus bei der Vogelpredigt darstellend, und eine Photographie von Mussolini, wie er eine Löwin streichelt, illustrieren diese Konkordanz!

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  12. Siehe Benz, Ecclesia spiritualis, S. 404 und 432 ff., über die Geschichtstheologie des Petrus Aureoli.

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  13. Durch Joachim wurde die Auferstehung eine geschichtstheologische Kategorie. Weil Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi das Muster seines Leibes in der Kirche sind, muß auch die historische Kirche leben, sterben und wieder auferstehen.

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  14. Indem die Kirche diesen Grundsatz auf die Streitfrage über Armut und Besitz anwandte, argumentierte sie gegen die franziskanischen Spiritualen, daß der gegenwärtige Stand der Dinge zwar in der Tat dem Gesetz des Fortschreitens widersprechen würde, wenn das Urchristentum die völlige Armut als den Stand der Vollendung gefordert hätte, aber der Besitz von »temporalia« sei auch im Urchristentum rechtmäßig gewesen.

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  15. Grundmann, a.a.O., S. 96 ff.

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  16. Daß das Christentum keine Religion für die Welt ist, wurde von Paulus und Tertullian bis zu Rousseau, Kierkegaard und Nietzsche begriffen.

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  17. E. Renan bemerkt einmal, daß es eine völlig überraschende Tatsache ist, daß der Protestantismus nicht schon drei Jahrhunderte früher geboren wurde (Joachim de Flore et l’évangile éternel, Revue des deux mondes, 1866). In gewisser Hinsicht bedeutete die von den Joachiten beabsichtigte Reform sogar einen weit radikaleren Bruch mit der herrschenden Kirche als Luthers Reformation, denn dieser zog niemals den Schriftsinn in Zweifel, sondern verschärfte vielmehr die buchstäbliche Bedeutung.

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  18. Siehe Kierkegaards Vorwort zu Der Einzelne, in: Die Schriften über sich selbst, Gesammelte Werke, 33. Abt., Düsseldorf/Köln 1951.

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  19. Siehe Anhang I, S. 222 ff.

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Löwith, K. (2004). Joachim. In: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02944-7_9

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