Wahre Katharsis und Flammenschriften: Die epische Lösung des Katharsisproblems in Goethes Wahlverwandtschaften

Zusammenfassung

Goethes Antike-Rezeption ist umfassend dokumentiert, ebenso gibt es auch voluminöse Arbeiten über seine Aristoteles-Rezeption.¹ Am übersichtlichsten dokumentiert ist Goethes Aristoteleslektüre — so die Überschrift des gleichnamigen Kapitels — in Karl Schlechtas Darstellung von 1938.² Schlechta wertet neben Goethes Schriften auch den Nachlaßkatalog von Goethes Bibliothek, das Benutzerverzeichnis der Weimarer Bibliothek und den Auktionskatalog der Bibliothek von Goethes Vater aus.³ Entsprechend blieb auch das Thema von Goethes eigenwilliger Katharsisdeutung in den vergangenen 160 Jahren nicht unbearbeitet, vielmehr fand es Eingang in zahlreiche Untersuchungen.⁴ 1837 wandte sich Leonhard Spengel in seiner 1836 gehaltenen Akademierede, mit der er die wissenschaftliche, altphilologische Beschäftigung mit der Aristotelischen Poetik im 19. Jahrhundert einleitete, als einer der ersten entschieden gegen Goethes Katharsisdeutung. Seine eigenen Ausführungen über die Tragödiendefinition des Aristoteles dienten auch, so führt er aus, „zur Widerlegung der neuesten geistreichen Erklärung, die vielleicht manchen durch den Namen, den sie an ihrer Spitze trägt, blendet, aber dem Geiste der Sprache nicht minder, als dem ausdrücklichen Gedanken des Aristoteles entgegen ist“⁵. In einer Anmerkung zu dieser Passage schreibt Spengel über Goethes Aufsatz, dessen Verfasser er namentlich nennt: „Solche Beispiele von Erklärungen sind für unsere Poetik in den Schriften der Franzosen bereits nur allzuviel vorhanden“⁶.