Zusammenfassung
Was wird im traditionellen China als Literatur bezeichnet? Das nächste Äquivalent zu diesem Wort, wen, hat ein sehr breites Bedeutungsfeld. Im allgemeinsten Sinn steht es für ›kultiviert‹, ›gebildet‹, ›Bildung‹, ›der Gebildete‹; in einem engeren Sinn bedeutet es Prosaliteratur im Gegensatz zu Dichtung; und im Gegensatzpaar wen — chih trägt es die Bedeutung ›gekünstelt‹, ›geschmückt‹. Doch selbst dort, wo das Wort wen ohne weiteres mit ›Literatur‹ zu übersetzen ist, bezeichnet es ein weites Feld und geht wenigstens teilweise über den uns vertrauten Literaturbegriff hinaus. Eine Ahnung davon vermittelt bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis einer der großen Anthologien, die das traditionelle China, meist auf kaiserliche Veranlassung hin, so reich kompiliert hat. Zu den bedeutendsten Florilegien gehört das im späten 10. Jahrhundert zusammengestellte Wen-yüan ying-hua (»Blüten aus dem Garten der Literatur«). Nicht umsonst faßte dieses Sammelwerk tausend Kapitel — diese Zahl der Allheit war seinem ehrgeizigen Ziel angemessen, die Literatur eines bestimmten Zeitraumes vollständig zu erfassen; und wenn es die in ihm versammelte Literatur in 38 Gruppen gliederte, so geschah auch das nicht willkürlich, sondern in Nachahmung einer 500 Jahre älteren Anthologie. Die ersten Gruppen des Wen-yüan ying-hua, die zusammen etwas über ein Drittel seines Umfanges abdecken, sind sog. Prosagedichte und Gedichte, gefolgt von Liedern und prosaischen ›vermischten Texten‹.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Benl 1951: Oscar Benl, Die Entwicklung der japanischen Poetik bis zum 16. Jahrhundert. Hamburg 1951
Bieg 1984: Lutz Bieg, Die Entstehung der großen Romane des Alten China. In: Debon (Hrg.) 1984, S. 127–142
Debon 1984: Günther Debon, Formen und Wesenszüge der chinesischen Lyrik. In: Günther Debon (Hrg.) 1984, S. 9–38
Debon 1989: -, Chinesische Dichtung: Geschichte, Struktur, Theorie. Leiden 1989 (= Handbuch der Orientalistik. Vierte Abteilung, China. 2. Band, Literatur, 1. Abschnitt)
Debon (Hrg.) 1984: — (Hrg.), Ostasiatische Literaturen. Wiesbaden 1984 (= Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. 23)
Frankel 1976: Hans H. Frankel, The Flowering Plum and the Palace Lady. Interpretations of Chinese Poetry. New Haven, London 1976
Graham 1965: Angus C. Graham, Poems of the Late T’ang. Harmondsworth 1965
Gundert/Schimmel/Schubring (Hrg.) 1965: Wilhelm Gundert, Annemarie Schimmel und Walther Schubring (Hrg.), Lyrik des Ostens. München 1965
Kennedy 1953: George A. Kennedy, ZH Guide. An Introduction to Sinology. New Haven 1953 (5. Auflage 1970) (= Sinological Series. 1
Kubin 1991: Wolfgang Kubin, Übersetzen und Selbsterkenntnis. Unmaßgebliche Bemerkungen zur chinesischen Literatur in deutscher Sprache. In: minima sinica 1 (1991), S. 123–131
Liu 1979: James J. Y. Liu, Essentials of Chinese Literary Art. North Scituate/ Mass. 1979
Martin 1980: Helmut Martin, Chinesische Literaturkritik. Die Bedeutung des traditionellen Literaturbegriffes sowie Forschungsstand und Quellensituation der Literaturkritikgeschichte. In: Oriens Extremus 27.1 (1980), S. 115–129
Nienhauser (Hrg.) 1986: William Nienhauser, The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature. Bloomington 1986 (zweite, revidierte Auflage Taipei o. J.)
Schmidt-Glintzer 1990: Helwig Schmidt-Glintzer, Geschichte der chinesischen Literatur. Die 3000jährige Entwicklung der poetischen, erzählenden und philosophisch-religiösen Literatur Chinas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bern, München Wien 1990
Unger 1986: Ulrich Unger, Grundsätzliches zur formalen Struktur von Gedichten der T’ang-Zeit. In: Roderich Ptak und Siegfried Englert (Hrg.), Ganz allmählich. Aufsätze zur ostasiatischen Literatur, insbesondere zur chinesischen Lyrik. Festschrift für Günther Debon. Heidelberg 1986, S. 270–280
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1996 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Emmerich, R. (1996). Nähe und Ferne. In: Danneberg, L., Vollhardt, F. (eds) Wie international ist die Literaturwissenschaft?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03631-5_29
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03631-5_29
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-01382-8
Online ISBN: 978-3-476-03631-5
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)