Skip to main content

Zum Begriff des Mittelalters

  • Chapter
Französisches Mittelalter
  • 72 Accesses

Zusammenfassung

Eine große Periode im Leben des menschlichen Geschlechts, vom Ausgang des 5. Jahrhunderts bis zu dem des 15. Jahrhunderts sind wir gewohnt, mit dem Namen Mittelalter zu bezeichnen. Die Vorstellung einer tausendjährigen Unterbrechung der allgemeinen Kultur, die man ehedem mit dieser Benennung verband, hat, aus humanistischen Anschauungen entsprungen, auf literarischem Gebiet einen Schein von Berechtigung: für die universalhistorische Betrachtung kommt ihr keinerlei Wahrheit zu.

Dieser Satz stammt von einem der bedeutendsten deutschen Historiker, Leopold von Ranke (1795–1886), den man auch den Begründer der modernen Geschichtswissenschaft genannt hat. Das Zitat findet sich zu Beginn des 8. Teils seiner Weltgeschichte (1887; zit. nach Voss, S. 9f.). Wir können dieser Definition mehrere für unseren Gegenstand wichtige Aspekte entnehmen: Der MA-Begriff ist bei Historikern, Literatur—und Kulturwissenschaftlern umstritten, denn die Historiker verstehen etwas anderes darunter als die Literaturwissenschaftler. Das MA soll im allgemeinen etwa 1000 Jahre gedauert haben; aber je nachdem, ob man den Blick auf Staatswesen, Wirtschaft, gesellschaftliche Verfassung, Philosophie, Theologie, Wissenschaft und Künste oder die Literatur richtet, schwanken die Begrenzungen. So läßt man, je nach Standpunkt, das MA häufig mit dem Untergang des Römischen Reichs 476 beginnen und mit dem Fall von Konstantinopel 1453 enden — andere Daten sind die römische Reichskrise im späten 3. Jh., das sog. Toleranzedikt von Mailand 313, Konstantins Sieg über Licinius 324, der Hunneneinbruch von 375 als angeblicher ›Beginn der Völkerwanderung‹, die Schlacht bei Adrianopel 378, das Gotenfoedus (Bündnisvertrag) des Theodosius 382, der Tod dieses Kaisers und die sog. Reichsteilung von 395, die Absetzung des Romulus Augustulus 476, der Regierungsantritt Chlodwigs 482, sein Sieg über Syagrius 486, die Herrschaft Kaiser Justinians 527–565, der Langobardeneinfall in Italien 568, der Pontifikatsbeginn Gregors des Großen 590, Mohammeds sog.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. P.E. Hübinger, Spätantike und frühes Mittelalter. Ein Problem historischer Periodenbildung, Darmstadt 1965, S. 17.

    Google Scholar 

  2. —Zur schnellen Information sei empfohlen Der Große Ploetz. Auszug aus der Geschichte, Freiburg-Würzburg, 30., aktualisierte Aufl., bearbeitet von 69 Fachwissenschaftlern, 1986.

    Google Scholar 

  3. W. Freund, Modernus und andere Zeitbegriffe des Mittelalters, Köln-Graz 1957, vor allem »Exkurs: Einige Aspekte des novus-Problems«, S. 106–110;

    Google Scholar 

  4. E. Gössmann, Antiqui und Moderni im Mittelalter. Eine geschichtliche Standortbestimmung, München-Paderborn-Wien 1974, S. 81f. (über den Cligés-Prolog).

    Google Scholar 

  5. W. Haug, »Die Zwerge auf den Schultern der Riesen. Epochales und typologisches Geschichtsdenken und das Problem der Interferenzen (1987)«, in: Ders., Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 86–109 (wichtig der Hinweis auf Merton).

    Google Scholar 

  6. H.U. Gumbrecht, »Literarische Gegenwelten, Karnevalskultur und die Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Renaissance«, in: Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters, hg. v. H.U. Gumbrecht, Heidelberg 1980, S. 95–144.

    Google Scholar 

  7. F. Petrarca, Rime-Trionfi e poesie latine. A cura di E Neri u.a., Milano-Napoli: Riccardo Ricciardi, 1951, S. 802: »AD FRANCISCUM PRIOREM SANCTORUM APOSTOLORUM DE FLO-RENTIA.« (»Ich lebe, jedoch voller Zorn auf das Schicksal, daß es mich erst in diesen traurigen Zeiten hat zur Welt kommen lassen und mich in ziemlich schlimmen Jahren leben läßt. Wäre ich doch früher oder viel später geboren! Denn es gab und es wird wieder ein glücklicheres Zeitalter geben; dieses mittlere ist voller Schmutz. Du siehst, wie in unserer Zeit alles Schändliche zusammenkommt.«)

    Google Scholar 

  8. W Berschin, Griechisch-lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus zu Nikolaus von Kues, Bern u. München 1980, S. 14: »Mit mehr Recht als bei den lateinischen Studien konnte der Humanismus bei den griechischen auf seine Originalität hinweisen; er hat es vielfältig getan, und das humanistische Urteil ›Das Mittelalter hat kein Griechisch gekonnt‹ lebt als eine communis opinio bis in die Gegenwart fort. Es ist weithin berechtigt, aber in seiner Verallgemeinerung doch irreführend. Es gibt eine sozusagen punktierte Linie der Beschäftigung mit dem Griechischen und der Kenntnis des Griechischen durch das ganze lateinische Mittelalter, und der frühe Humanismus hat sogar an solch mittelalterliches Griechischstudium angeknüpft.« — Zu allgemeinen Fragen der Byzantinistik O. Mazal, Handbuch der Byzantinistik, Graz 1989 (wichtige Bibliogr., S. 212f.).

    Google Scholar 

  9. R.R. Grimm (Hg.), Mittelalter-Rezeption. Zur Rezeptionsgeschichte der romanischen Literaturen des Mittelalters in der Neuzeit, Heidelberg 1991, S. 15–21; G. Althoff (Hg.), Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt 1992 (Ausblicke).

    Google Scholar 

  10. F. Meinecke, Die Entstehung des Historismus. Hg. u. eingel. v. C. Hinrichs, München 1959, S. 167f.

    Google Scholar 

  11. Borst, Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des Mittelalters, München-Zürich 1990, S. Ili.

    Google Scholar 

  12. F. Wolfzettel, »Französische Mediävistik im 19. Jahrhundert«, in: GRLMA Begleitreihe 2, 1991, S. 181–196; ders., Einführung in die französische Literaturgeschichtsschreibung, Darmstadt 1982, passim.

    Google Scholar 

  13. Génie du christianisme, éd. P. Reboul, Paris 1966, hier Bd. I, 399 f. Zit. nach Voss, S. 298 Anm. 58.

    Google Scholar 

  14. G.D. Economou, The Goddess Natura in Medieval Literature, Cambridge Mass. 1972, S. 104f.

    Google Scholar 

  15. Boethius, Trost der Philosophie. Consolatio Philosophiae. Lat. u. deutsch. Hg. u. übers, von E. Gegenschatz u. O. Gigon. Eing. u. erl. v. O. Gigon, München und Zürich 1990, S. 46–47. »Tu vero volventis rotae impetum retinere conaris? — Du versuchst den Schwung des rollenden Rades aufzuhalten?« Es handelt sich um einen der ältesten Belege für das Bild vom Rad der Fortuna (S. 332). — Wie beliebt die Consolatio war, zeigt das leider nur 257 Verse umfassende Boeci[s]-Fragment, das älteste Dokument in altprovenzalischer Sprache (limousinischer Dialekt), das ursprünglich etwa 27.000 Verse lang war.—Auf die Biographie des christlichen Philosophen Anicius Manlius Severinus Boethius (480–524) folgte eine Paraphrase der Consolatio, die in der Haft im Gefängnisturm zu Pisa verfaßt wurde und die Tröstungen der Philosophie im Unglück enthält, vgl. DLF 208–209.

    Google Scholar 

  16. Ein schönes Beispiel liefert der im Turm gefangengesetzte Lancelot. (Le Chevalier de la charrette, éd. M. Roques, S. 197: »›Haï! Fortune, con ta roe/ m’est ore leidemant tornee!/ Maternant la m’as bestornee,/ car g’iere el mont, or sui el val;/ or avoie bien, or ai mal;/ or me plores, or me rioies./ Las, cheitis, por coi le feisoies/ quant ele si tost t’a lessié!/ An po d’ore m’a abessié/ voiremant, de si haut si bas./ Fortune, quant tu me gabas,/ molt feïs mal, mes toi que chaut?/ A neant est cornant qu’il aut./ Ha! sainte Croiz, sainz Esperiz,/ con sui perduz, con sui periz!‹« — »›Weh! Fortuna, wie hat sich dein Rad/ jetzt zu meinem Verhängnis gedreht!/ Zu meinem Übel hast du es für mich gedreht,/ denn ich war oben, und jetzt bin ich unten;/ zuvor ging es mir gut, jetzt geht es mir schlecht;/ jetzt beweinst du mich, zuvor verlachtest du mich./ Elend, gefangen, warum tatest du das,/ als es dich so bald im Stich gelassen hat?/ In kurzer Zeit hat es mich wirklich herabgestürzt,/ von ganz oben nach ganz unten./ Fortuna, als du mich verhöhntest,/ handeltest du sehr schlecht, aber was kümmert es dich?/ Wie es jemandem geht, ist ihr völlig unwichtig./ Ah, heiliges Kreuz, heiliger Geist,/ wie bin ich verloren und verlassen!‹«

    Google Scholar 

  17. K. Weinhold, »Glücksrad und Lebensrad«, in: Abh. d. Preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Phil.-Hist. Klasse 1, 1892, S. 1–27; EnzMär 5,1–6 (beste Bibl.).

    Google Scholar 

  18. F.-J. Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung. Mit einem Beitrag von H.-W. Goetz, Darmstadt 1985.

    Google Scholar 

  19. E. Auerbach, Typologische Motive in der mittelalterlichen Literatur, Krefeld 1953; SWB 844–846.

    Google Scholar 

  20. W. Nigg, Vom Geheimnis der Mönche. Antonius, Pachomius, Basilius der Große, Augustin, Benedikt von Nursia, Bruno von Köln, Bernhard von Clairvaux, Franziskus von Assisi, Do-minikus, Teresa von Avila, Ignatius von Loyola, Zürich 1990; K.S. Frank, Geschichte des christlichen Mönchtums, Darmstadt 51993.

    Google Scholar 

  21. M.A. Freeman, The Poetics of »Translatio Studii« and »Conjointure«: Chrétien de Troyes’s »Cligès«, Lexington, Kentucky 1979; F. Lyons, »Interprétations critiques au XXe siècle du Prologue de Cligès«, in: Œuvres et Critiques 5, 1980–81, S. 39–44;

    Google Scholar 

  22. D. Kelly, »Translatio studii«, in: Philological Quarterly 57, 1978, S. 287–310;

    Google Scholar 

  23. L.W. Patterson, »The Historiography of Romance and the Alliterative Morte Arthure«, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 13, 1983, S. 1–32 (wieder abgedr. als letztes Kapitel von: Negotiating the Past, Madison 1987).

    Google Scholar 

  24. —Vgl. auch H.P. Schwake, Der Wortschatz des »Cligés« von Chrétien de Troyes, Tübingen 1979, S. 468f. (»Literatur und Kunst«). Diese Untersuchung ist nach dem Hallig-Wartburg’schen Begriffssystem angelegt, das allerdings deutlich seine Begrenzungen zeigt.

    Google Scholar 

  25. Einleitung in die lateinische Philologie des Mittelalters, München 191, S. 113; J. Szövérffy, Weltliche Dichtungen des lateinischen Mittelalters. Ein Handbuch. I. Von den Anfängen bis zum Ende der Karolingerzeit, Berlin 1970, S. 109ff.

    Google Scholar 

  26. E. Farai, Les Arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Agey Paris: Champion, 1958, S. 86f. (mit Abb.); Curtius, S. 238 u.ö.; SWB 787.

    Google Scholar 

  27. M. Tanner, The Last Descendant of Aeneas. The Hapsburgs and the Mythic Image of the Emperor, New Haven & London: Yale Press, 1993. Tanner bestätigt den Einfluß der Aeneis auf jegliche Translationsvorstellung im MA, da Aeneas von Troja nach Italien zieht.

    Google Scholar 

  28. H. Brät, »Marie de France et l’obscurité des anciens«, in: Neuphilologische Mitteilungen 79, 1978, S. 180–184;

    Google Scholar 

  29. K. Brightenback, »Remarks on the ›Prologue‹ to Marie de France’s Lais«, in: Romance Philology 30, 1976, S. 168–177;

    Google Scholar 

  30. C. Brown, »Glossing the Origin«, in: Romance Philology 43, 1989, S. 197–208;

    Google Scholar 

  31. J.C. Delcos, »Encore le prologue des Lais de Marie de France«, in: Le Moyen Age 90, 1984, S. 223–232 u.v.a.

    Google Scholar 

  32. R. Baader/ D. Fricke (Hgg.), Die französische Autorin vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1979.

    Google Scholar 

  33. E. Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluss auf Politik und Geschichtsschreibung. Teil I: »Die Zeitanschauungen: Die Augustinischen Ideen — Antichrist und Friedensfürst — Regnum und Sacerdotium«, Tübingen 1918; KNLL 1,866–868; Flasch, S. 705–706.

    Google Scholar 

  34. A. Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts—und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 1962, S. 116–132; im Anschluß daran Gurjewitsch, S. 116–161.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1996 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Hausmann, FR. (1996). Zum Begriff des Mittelalters. In: Französisches Mittelalter. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03640-7_1

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03640-7_1

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01422-1

  • Online ISBN: 978-3-476-03640-7

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics