Zusammenfassung
Zu seinem sechzigsten Geburtstag am 15. Mai 1922 erhielt Arthur Schnitzler einen bemerkenswerten Glückwunschbrief. Der Gratulant grüßte Schnitzler mit uneingeschränkter Zustimmung als einen „psychologischen Tiefenforscher, so ehrlich unparteiisch und unerschrocken wie nur je einer war“, und erwies sich dabei im Besitze der gleichen Scharfsicht, die er an seinem Gegenstand gerühmt hatte, als er Tiefe und Weite von Schnitzlers Wesen und Lebenswerk umriß: „Ihr Determinismus wie Ihre Skepsis — was die Leute Pessimismus heißen — Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewußten, von der Triebnatur des Menschen, Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.“ Diese Vertrautheit erklärt sich zunächst aus dem Umstand, daß der Briefschreiber aus ähnlichen Verhältnissen stammte wie der Adressat, der gleichen Umwelt ausgesetzt war und ähnliche Enttäuschungen erlitten hatte. Darum konnte er sich auch nicht enthalten, seinen Glückwunsch in Worte von kaum verhüllter Resignation ausklingen zu lassen. Wenn Sie das nicht wären, was Sie eben sind, schrieb er, „hätten Ihre künstlerischen Fähigkeiten, Ihre Sprachkunst und Gestaltungskraft freies Spiel gehabt und sie zu einem Dichter weit mehr nach dem Wunsch der Menge gemacht.“1
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Anmerkungen
Sigmund Freud, Briefe 1873–1939 (Frankfurt: S. Fischer 1960), S. 339f.
Sigmund Freud, Briefe an Arthur Schnitzler. In: Die Neue Rundschau 1955, S. 95–106. — Die Anmerkungen zu diesen Briefen stammen von Heinrich Schnitzler, der auch die Grundlagen zu einer Bibliographie der Beziehungen zwischen seinem Vater und Freud beisteuerte ; ich bin ihm in bezug auf die vorliegende Arbeit für seine Ratschläge, Korrekturen und Informationen zu Dank verpflichtet.
Schnitzler und Hofmannsthal. Politik und Psyche im Wien des Fin de siècle. In: Wort und Wahrheit XVII (1962), S. 367–381.
Richard Beer-Hofmann, Gesammelte Werke (Frankfurt: S. Fischer 1963), S. 654.
Kurt Bergel, Georg Brandes und Arthur Schnitzler, Ein Briefwechsel (Berkeley: University of California Press 1956), S. 88.
Oskar Seidlin, Der Briefwechsel Arthur Schnitzler-Otto Brahm (Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte 1953), S. 28.
Ernest Jones, The Life and Work of Sigmund Freud. Bd 3 (New York: Basic Books 1957), S. 84.
Ebd., S. 313. — Mit Recht nennt W. H. Rey Casanova darum auch einen „Abenteurer in mythischem Gewand“ (Arthur Schnitzler. In: Deutsche Dichter der Moderne. Hrsg. von Benno von Wiese [Berlin: Schmidt 1965], S. 244).
William H. Rey, Schnitzlers Erzählung »Casanovas Heimfahrt«. Eine Strukturanalyse. In: Festschrift für Bernhard Blume (Göttingen: Vandenhoeck 1967), S. 215.
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Politzer, H. (1968). Diagnose und Dichtung. In: Das Schweigen der Sirenen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99753-1_6
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