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Donna Haraway: Technoscience, New World Order und Trickster-Geschichten für lebbare Welten

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Schlüsselwerke der Science & Technology Studies

Zusammenfassung

‚Wer über Gesellschaft im 21. Jahrhundert spricht, darf über die Technoscience nicht schweigen‘. So könnte man das Credo von Donna Haraways Theorie – in der Variation eines Diktums von Max Horkheimer – pointiert zusammenfassen. Mit ihrem 1985 erschienen Cyborg-Manifesto hat Haraway den radikalen Entwurf einer Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie unserer Technokultur vorgelegt, der hellsichtig die radikalen epistemischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die Herausbildung einer ‚New World Order‘ auf den Nenner brachte. Haraway beschreibt eine Techno(wissenschafts)kultur, die sich durch die radikal beschleunigte Amalgamisierung von Mensch und Maschine, von Organischem und Nichtorganischem, von Wissenschaft und Technik auszeichnet. Hybride wie die Oncomouse oder sogenannte ‚intelligente‘ Software lassen sich am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr in der überkommenen humanistischen, bipolaren Ordnung von Natur und Kultur, Mensch und Natur, Aktivität und Passivität einsortieren. In atemberaubender Geschwindigkeit entsteht eine Welt der Hybriden, die Haraway zufolge nicht nur ein großes Gefahrenpotential, sondern auch neue Optionen der Vergesellschaftung für menschliche und nicht-menschliche Akteure beinhaltet. Sie beschreibt (das Zeitalter der) Technoscience sowohl als neue Episteme, in der die kausal-lineare Logik des Newtonschen Zeitalters von einer nicht-linearen, multiplen Logik abgelöst wird, in der klassische widerständige Begriffe zur Ressource gemacht werden, in der sich aber auch eine neue globalisierte politische Weltordnung, eine Biotechnomacht mit neuen Geostrategien, Selbsttechnologien, Produktions-und Verwertungslogiken konfiguriert. Diese „Neuerfindung der Natur“ (1995), der radikale Umbau der Ökonomie, die Verschiebungen traditioneller Narrative eröffnen Haraway zufolge zugleich Möglichkeiten der Intervention. Die ‚Verschmutzung‘ traditioneller Logiken, die Widersprüchlichkeit und Partialität der neuen Ordnung will sie zugleich in ihren eigenen erfinderischen und ironischen Narrativen für „lebbare Welten“ fruchtbar machen. Doch damit sind wir schon mitten im Universum der Harawayschen Technoscience-Geschichten.

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„Aber wir könnten durchsetzbare, verlässige Darstellungen von Dingen gebrauchen, bei denen diese weder auf Machtstrategien und agonistische, elitäre Rhetorikspiele noch auf wissenschaftliche, positivistische Arroganz reduzierbar wären.“ (Haraway 1995/1992 , S. 79)

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Notes

  1. 1.

    „Wer von Faschismus redet, darf von Kapitalismus nicht schweigen.“ (Horkheimer 1980[1939–40]: 115)

  2. 2.

    Vgl. hierzu u. a. Marcuse (1973), Easlea (1983), Griffin (1987[1978]).

  3. 3.

    Eine erste frühe Fassung des Cyborg-Manifests erscheint 1983 interessanterweise zuerst auf Deutsch unter dem Titel ‚Lieber Kyborg als Göttin! Für eine sozialistisch-feministische Unterwanderung der Gentechnologie‘ in Gulliver. Deutsch-Englische Jahrbücher 1984 (Haraway 1983); für die Letztfassung siehe Haraway (1985) und Haraway (1991).

  4. 4.

    Vgl. hierzu die Beiträge von Van Loon i.d.Bd.

  5. 5.

    Zum Spannungsverhältnis von Wissenschaftsforschung und Wissenschaftsphilosophie vgl. den Beitrag von Greif i.d.Bd.

  6. 6.

    Haraway hat die Trickster-Figur der Hopi-Mythologie entlehnt. Dort taucht sie häufig als Coyote auf, der genauso guter Geist, Rumtreiber wie ausgebuffter Gauner sein kann (vgl. Weber 2003).

  7. 7.

    Vgl. hierzu den Beitrag von Kirschner i.d.Bd.

  8. 8.

    „Das Ergebnis der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“ (Wittgenstein 1984, § 119)

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Weber, J. (2014). Donna Haraway: Technoscience, New World Order und Trickster-Geschichten für lebbare Welten. In: Lengersdorf, D., Wieser, M. (eds) Schlüsselwerke der Science & Technology Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19455-4_13

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