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Auszug

„Was ist Autorität?“1 Mit dieser Frage leitet Hannah Arendt einen Aufsatz ein, in dem sie sich mit dem Stellenwert von Autorität in der Gegenwart auseinander setzt. Gleich im nächsten Satz werden ihre Leser darüber aufgeklärt, dass diese Frage im Grunde falsch gestellt sei. Sie müsse vielmehr heißen: „Was war Autorität?“2 Denn Hannah Arendt findet in der gegenwärtigen Welt kaum noch Anzeichen von erlebbarer Autorität. Mit dem Beginn der Neuzeit habe ein stetiger Autoritätsverfall eingesetzt, der im zwanzigsten Jahrhundert seinen Abschluss gefunden habe. Arendt äußert diese Gedanken ausgerechnet zu der Zeit, als ein Teil der Gesellschaft beginnt, tradierte Autoritäten in Frage zu stellen. D.h. dort, wo die rebellierenden Studentenbewegungen noch Autoritäten erblickten und sich gegen sie uflehnten, um sie abzuschaffen, konstatiert Arendt, dass es kaum die Möglichkeit mehr gebe, überhaupt zu erfahren, was Autorität eigentlich sei. Anstatt also überkommene Autoritäten zu kritisieren, macht sie auf den modernen Autoritätsverfall aufmerksam. Es ist dieser Autoritätsverfall und nicht das Bestehenbleiben alter Autoritäten, der für sie die Krise der modernen Welt widerspiegelt. Anders als es viele ihrer Zeitgenossen getan hätten, bewertet sie ihre Diagnose nicht als Zeichen positiven Fortschritts und sondern genau im Gegenteil als Ausdruck einer umfassenden Krise der Gegenwart. Das mag auf den ersten Blick verwundern, war doch der Begriff der Autorität gerade in der Zeit der studentischen Unruhen eindeutig negativ konnotiert. Und versinnbildlichte nicht schon das von Heinrich Mann in seinem Roman „Der Untertan“ entworfene Bild des Bürgers Diederich Heßling den autoritätshörigen Charaktertypus par excellence?

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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Schulze Wessel, J. (2006). Über Autorität. In: Vorländer, H. (eds) Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90350-7_3

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-14959-2

  • Online ISBN: 978-3-531-90350-7

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