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Grundlagen und Stand der Forschung

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Das Geflecht aktiver Bürger

Auszug

Bürgergesellschaft ist als Begriff seit den 90er Jahren in der öffentlichen Debatte präsent. In den „Ritualen der Wohlfahrtsstaats-Debatte“ (Heinze 1998: 172), die sich in Deutschland regelmäßig zwischen den neoliberalen Marktbefürwortern und den (im weiteren Sinne) sozialdemokratischen Staatsbefürwortern medial inszeniert entfalten, wird immer häufiger der Begriff der Bürgergesellschaft verwendet. Das soll so etwas wie einen „dritten Weg“ markieren. Schaut man sich jedoch die Beiträge insbesondere der politischen Akteure etwas genauer an, so wird deutlich, dass hier häufig unter neuen Begriffen alte Konflikte ausgefochten werden. Man bewegt sich einerseits zwischen Konzepten, die Bürgergesellschaft im Sinne vieler Kommunitaristen eher staatsnah oder zumindest staatsgefördert verorten, und solchen andererseits, die eine möglichst große Staatsferne als Erfolgsgaranten sehen3. Da es in Deutschland — im Unterschied etwa zur angelsächsischen Welt — an breiteren zivilgesellschaftlichen Traditionen weitgehend fehlt, kann es nicht verwundern, dass die neuen Etiketten hier teilweise einfach mit alten Inhalten, teilweise auch mit Beliebigkeit gefüllt werden (vgl.Dettling 1998:23).

Siehe dazu etwa die Publikationen von Kurt Biedenkopf (1997), Roland Koch (1998) und Alois Glück (2001) aus Sicht der Union, Heide Simonis (1997), Gerhard Schröder (2000) sowie die Beiträge in Eichel/Hofmann (1999) und Alemann/Heinze/Wehrhöfer (1999) aus Sicht der SPD. Die grüne Position ist dargestellt in Opielka (1997), und bei der FDP vermag es ohnehin nicht zu verwundern, wenn ein (liberales) Modell von Bürgergesellschaft propagiert wird. Mit Ralf Dahrendorf (1993, 1999) hat man zudem einen an angelsächsischen Verhältnissen geschulten theoretischen Vordenker für eine dezidiert staatsferne Bürgergesellschaft in den eigenen Reihen. Zur Analyse der politischen Debatten siehe Braun (2001) und Mielke (2001). Die reformpolitische Diskussion seit dem programmatischen Text über die „zivile Bürgergesellschaft“ des damals amtierenden Bundeskanzlers Gerhard Schröder zeichnet Klein (2005) nach.

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Literatur

  1. Zu den konsultierten Forschungsergebnissen siehe die neun von der Kommission herausgegebenen Bände, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte beleuchten: vom Engagement von Unternehmen über rechtliche Rahmenbedingungen bis zum Engagement in Kommunen (vgl. Schriftenreihe 2002–2003).

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  2. Hier ist auch die berühmte Formulierung zum Schicksal der Ehre in der modernen Demokratie lokalisiert. Die Ehre, so Tocqueville, wurde durch Unähnlichkeit und Ungleichheit unter den Menschen geschaffen; „je geringer diese Verschiedenheiten werden, desto schwächer wird die Ehre, und mit ihnen würde sie ganz verschwinden“ (Tocqueville 1985: 282). Dieser prognostische Bereich der Untersuchung, der eine völlige Nivellierung in allen Lebensbereichen unterstellt, gehört ohne Zweifel zu den schwächeren Teilen der Untersuchung. Nicht nur die amerikanische Kultur des expressiven Individualismus, die sich gegenwärtig bester Vitalität erfreut, spricht deutlich dagegen, sondern auch die Individualisierung bzw. Pluralisierung der Milieus und Lebensstile, wie wir sie zurzeit in fast allen modernen Gesellschaften beobachten können. Die Fehlprognose trifft auch für die Ehre selbst zu, die in der Gegenwartsgesellschaft noch viel präsenter ist, als es Tocquevilles Prognose glauben machen will; vgl. Vogt (1997).

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  3. Die Veränderungsprozesse im Feld spiegeln sich auch in einer Pluralisierung der Begrifflichkeiten wider, wobei die Bezeichnungen des Engagements teils synonym, teils aber auch mit spezifischen Nuancen vorgenommen werden; so steht Ehrenamt/ehrenamtliches Engagement meist für Tätigkeiten im traditionellen Bereich des Dritten Sektors, freiwilliges Engagement und Freiwilligenarbeit für neuere Formen und Bürgerengagement bzw. bürgerschaftliches Engagement für Tätigkeiten, die in einem weiteren Horizont demokratischer Partizipation und sozialer Integration verortet werden; der Sprachgebrauch ist jedoch keineswegs einheitlich (siehe dazu Heinze/ Olk 1999, Rauschenbach 2001 und Braun 2002). Im vorliegenden Text, in dem es um die Funktionsweise von Bürgergesellschaft geht, wird in der Regel von bürgerschaftlichem und freiwilligem Engagement gesprochen.

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  4. Siehe vor allem die „Geislingen-Studie“ (Ueltzhöffer/ Ascheberg 1995), aber auch die Landesstudie Baden-Württemberg (Ueltzhöffer/Ascheberg 1997) und die bundesweite Studie „Lebenswelt und Bürgerschaftliches Engagement“ (Ueltzhöffer 2000).

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  5. Siehe dazu vor allem die neueren Arbeiten von Klages und Mitarbeitern (Klages 1998, 1999 und Klages/Gensicke 1999). Im internationalen Vergleich etwa mit den Befunden, die Inglehart und seine Forschungsgruppe seit den 70er Jahren erarbeitet und im großen World Value Survey stets aktualisiert haben, stellt sich der Wertewandel in Deutschland als eine Normalisierung dar. Das „Verschwinden“ der älteren deutschen Wiederaufbaugeneration mit ihrer Betonung der traditionellen und materialistischen Wertorientierungen hat jetzt einer breiteren Kultur der Selbstentfaltungswerte Raum gegeben; allerdings gibt es hier noch erhebliche Differenzen zwischen Ost-und Westdeutschland (vgl. van Deth 2001). Entsprechend finden sich auch deutliche Unterschiede hinsichtlich des vorfindbaren freiwilligen Engagements, wobei jedoch auch der Zusammenbruch der alten Infrastruktur des Engagements in den neuen Bundesländern zu beachten ist; vgl. Gensicke (2001).

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  6. So hat Putnam zwar allgemeine quantitative Angaben zur Fernsehnutzung herangezogen, jedoch nicht näher danach geschaut, welche Typen von Sendungen (z.B. Unterhaltung oder Information) bzw. welche Sender bevorzugt werden und in welcher Art und Weise die Nutzer mit dem Angebot des Fernsehens konkret umgehen (vgl. Norris 1996). Wenn man dies berücksichtigt, ergibt sich ein viel differenzierteres Bild der Realität. Siehe dazu auch die Studie von Arnold und Schneider (2004). 69 Siehe dazu die Beiträge in Putnam/Feldstein (2003); eine vergleichende Perspektive wird entwickelt in Putnam (2002).

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  7. Es hat vor allem in Italien eine ausführliche kritische Diskussion zur historischen Argumentation Putnams gegeben, die ihm eine zu wenig differenzierte Sicht der Dinge vorwirft und die dichotomische Sicht mit zahlreichen Gegenbeispielen in Frage stellt (vgl. dazu ausführlich Lenci 1997: 25ff). Zur kritischen Diskussion um Putnams Studie und sein Konzept des sozialen Kapitals vgl. Morlino (1995), Goldberg (1996), Levi (1996) und Tarrow (1996).

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  8. Diese Fragen nach dem „Input“ sind das genuine Interesse von politischer Kulturforschung; dabei geht es eben nicht nur um politische Partizipation im herkömmlichen Sinne, sondern auch um unkonventionelle Beteiligungsformen, soziale Bewegungen, Einfluss auf den öffentlichen Diskurs etc.; dies macht ja gerade Habermas’ Konzept der Zivilgesellschaft deutlich (Habermas 1992).

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  9. So wurden beispielsweise empirische Untersuchungen von Sozialkapital als Faktor beim Erwerb eines Arbeitsplatzes bzw. einer bestimmten Karriereposition vorgelegt (vgl. etwa Lin 1982, Marsden/Hurlbert 1988 oder Meyerson 1994). Aber auch der Effekt des sozialen Kapitals als eine Ressource gemeinschaftlicher Beziehungen und solidarischen Handelns ist analysiert worden.

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  10. In diesem Bereich trifft sich die strukturutilitaristische Perspektive Bourdieus mit James Colemans Ansatz, der aus einer ganz anderen, handlungstheoretischen Tradition kommend, ebenfalls den Nutzencharakter des sozialen Kapitals betont. Kapital wird hier allgemein durch seine „handlungsbegünstigende“ Wirkung definiert: Mit der Hilfe dieser Ressource kann ich mein Handlungsziel besser erreichen als ohne sie. Im Unterschied zu physischem Kapital oder auch zum Humankapital stellt aber das soziale Kapital eine Ressource dar, die streng relational zu denken ist. Man „hat“ es nicht im gleichen Sinn wie man eine Maschine oder auch ein bestimmtes Wissen hat, sondern es stellt sich her als eine Beziehung zwischen Personen (Coleman 1991: 394). Die wichtigste Form von sozialem Kapital sind Verpflichtungen und Erwartungen (Coleman 1991: 396ff). Verpflichtungen funktionieren wie eine Art Gutschrift, die man bei einem Gegenüber einlösen kann, um eine bestimmte Leistung zu erhalten. Soziales Kapital stellt hier also eine Kreditmasse dar: Je mehr Verpflichtungen sich ein Akteur offen hält, umso größer ist die Kreditmasse, auf die er im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Voraussetzung für das Funktionieren ist allerdings, dass das Vertrauensverhältnis intakt ist und kein Vertrauensmissbrauch vorliegt.

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  11. Die einzige bislang vorliegende Stadt-Studie zu bürgerschaftlichem Engagement, die „Geislingen-Studie“ (Ueltzhöffer/ Ascheberg 1995), vermag mit ihrer standardisierten und letztlich dekontextualierten Befragung genau das Geflecht vor Ort nicht in den Blick zu bekommen und kann daher die genannten Desiderata nicht erfüllen.

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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2008). Grundlagen und Stand der Forschung. In: Das Geflecht aktiver Bürger. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90927-1_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90927-1_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-15758-0

  • Online ISBN: 978-3-531-90927-1

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

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