Auszug
Am 18. November 2005 fand nicht nur die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag statt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik deckten die populärsten Anwärter für die oberste Riege des politischen Feldes, die als „Kerndimensionen von Vielfalt“ bezeichneten und durch die EU-Antidiskriminierungs- Richtline benannten sozialen Kategorien ab: Geschlecht, Behinderung, Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion und Alter. Einer dieser Kategorien anzugehören, schien von diesem Tage an kein Hindernis mehr dafür zu sein einen Platz unter den Mächtigen einzunehmen. Diese Entwicklung wurde durch gesellschaftlichen Wandel ermöglicht und gleichermaßen beeinflusst. Dass personelle Vielfalt in den Zentren der politischen Macht und noch mehr in den Führungsetagen der Wirtschaft nicht als selbstverständlich erachtet wird, zeigte sich nicht zuletzt in der Diskursivierung von Geschlecht und Herkunft der Kanzlerkandidatin. Im öffentlichen, d.h. im medialen Diskurs wurde auf soziale Kategorien hingewiesen, über die man bei ihren Vorgängern schwieg. Über Angela Merkel wurde nicht nur als Bundeskanzlerin berichtet, sondern auch als erste Frau und Ostdeutsche in diesem Amt (‘Ossis sind die Bossis’1) — mit all den Erläuterungen zu spezifischen Auswirkungen von Geschlecht und Herkunft auf die Arbeitstätigkeit. Die Wahl einer ostdeutschen Frau ist eine Titelschlagzeile wert, da dies Aufmerksamkeit und damit Auflagszahlen garantiert. Dies ist nur möglich, wenn ein Sachverhalt einen Neuigkeitswert impliziert und Emotionen weckt. Personelle Vielfalt in den Führungseliten von Politik und Wirtschaft gilt bis heute nicht als taken for granted.
So die mediale Reaktion auf die Wahl Matthias Platzecks zum, neben Angela Merkel, zweiten ostdeutschen Vorsitzenden einer Volkspartei: „Jetzt regieren uns die Ossis“ (ZEIT, 3.11.2005) — „Merkel und Platzeck — Ossis sind die Bossis“ (BILD, 3.11.2005).
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Literatur
Jeder Begriff ist letztlich nur eine Vereinbarung, die auch anders ausfallen könnte. Deren Fruchtbarkeit zeigt sich stets erst in der Arbeit mit dem Begriff (vgl. Esser 2000, S. 2).
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Lederle, S. (2008). Das Ausgangsproblem. In: Die Ökonomisierung des Anderen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90993-6_1
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