Auszug
Am Beginn der bayerischen Geschichte steht eines ihrer großen Rätsel: die Frage der Herkunft der Bajuwaren27. Mit ihr hatten sich erstmals die frühen Landeshistoriographen auseinander zu setzen. Sie konnten bei der Behandlung der Anfänge des Bayernstammes bereits auf ein altes Erklärungsmodell zurückgreifen. Es war seit dem späteren 11. Jahrhundert in einem vielstufigen Entwicklungsprozeß ausgebildet worden, ohne dass sich eine gestaltende Hand abzeichnete. Am Beginn der bayerischen Stammessage steht ihre literarische Fixierung im Annolied. Hier werden die vier Hauptstämme der Deutschen in ihre Frühzeit zurückverfolgt. Ihre Anfänge werden in Ausformung der zeitüblichen Abstammungsfabeln auf eine Einwanderung zurückgeführt, wobei in bezug auf die Herkunft sehr unterschiedliche Antworten gegeben werden28. Die Franken werden von den Trojanern, die Sachsen von Soldaten aus dem Heer Alexanders des Großen, die Schwaben von Leuten aus Übersee und die Bayern von den Armeniern abgeleitet. Bezüglich der Bajuwaren führt das Annolied aus:
„dere geslehte dare quam wîlin ere von Armenie der hêrin, dâ Nôê ûz der arkin gîng, dur diz olizuî von der tûvin intfieng. iri ceichin noch du archa hât ûf den bergin Ararât. man sagit, daz dâr in halvin noch sîn, die dir Diutischin sprechin, ingegin India vili verro“.29
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Literatur
Zum Forschungsstand: Kurt Reindel, Die Herkunft der Bayern, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte I, München 21981, S. 101–116; ders., Die Bajuwaren. Quellen — Hypothesen — Tatsachen, in: DA 37 (1981), S. 451–473; ders., Herkunft und Stammesbildung der Bajuwaren nach den schriftlichen Quellen, in: Hermann Dannheimer u. Heinz Dopsch (Hg.), Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–478, Salzburg 1988, S. 56–60.
Das Annolied, hg. v. Max Roediger, in: MGH Deutsche Chroniken I/2, Hannover 1895 (ND Hannover 1984), S. 63–145. Vgl. Gertrud Gigglberger, Untersuchungen über das Annolied, Diss. phil. masch. Würzburg 1954; Doris Knab, Das Annolied. Probleme seiner literarischen Einordnung, Tübingen 1962; Heinz Thomas, Bemerkungen zu Datierung, Gestalt und Gehalt des Annoliedes, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 96 (1977), S. 24–61.
Das Annolied (wie Anm. 28), S. 121f., v. 295–320.
Vita Altmanni episcopi Pataviensis, hg. v. Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS XII, Hannover 1856, S. 237, c. 26–28. Vgl. Christine Fleck, Die Vita Altmanni episcopi Pataviensis, Diss. phil. masch. Wien 1978.
Deutsche Kaiserchronik, hg. v. Edward Schröder, in: MGH Deutsche Chroniken I/1, Hannover 1892 (ND Hannover 1984), S. 202–212, v. 6622–7135.
Johann Weissensteiner, Tegernsee, die Bayern und Österreich. Studien zu Tegernseer Geschichtsquellen und der bayerischen Stammessage. Mit einer Edition der Passio secunda s. Quirini, Wien 1983, S. 161–215, S. 256–259.
Hermanni Altahensis opera (wie Anm. 16), S. 360–365.
Georg Leidinger, Untersuchungen zur Passauer Geschichtsschreibung des Mittelalters, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-Philol.-Hist. Klasse 1915, 9. Abhandlung, S. 72–76; Paul Uiblein, Studien zur Passauer Geschichtsschreibung des Mittelalters, in: Archiv für österreichische Geschichte 121 (1956), S. 44–46.
Annales Admuntenses, hg. v. Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS IX, Hannover 1851, S. 570f.; Auctarium Garstense, hg. v. Wattenbach, ebda., S. 562f; Annales s. Rudberti Salisburgenses, hg. v. Wattenbach, ebda., S. 760–766. Zur Quellengruppe: Franz-Josef Schmale, Die österreichische Annalistik im 12. Jahrhundert, in: DA 31 (1975), S. 144–203.
Michael Müller, Die bayerische „Stammessage“ in der Geschichtsschreibung des Mittelalters. Eine Untersuchung zur mittelalterlichen Frühgeschichtsforschung in Bayern, in: ZBLG 40 (1977), S. 341–371.Vgl. ders., Die Annalen und Chroniken im Herzogtum Bayern 1250–1314, München 1983.
Vgl. in größerem Rahmen: Friedrich Gotthelf, Das deutsche Altertum in den Anschauungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin 1900; Anneliese Grau, Der Gedanke der Herkunft in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters, Würzburg 1938; František Graus, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln / Wien 1975, S. 109f.; Frank L. Borchardt, German Antiquity in Renaissance Myth, Baltimore/ London 1971; Herwig Wolfram, Le genre de l’origo gentis, in: Belgisch tijdschrift voor filologie en geschiedenis — Revue Beige de philologie et d’histoire 68 (1990), S. 789–801.
Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke (wie Anm. 17), S. 507–509, 592–594.
Hans Ebran von Wildenberg, Chronik (wie Anm. 18), S. 33–40.
Ulrich Füetrer, Bayerische Chronik (wie Anm. 19), S. 5–22.
Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken (wie Anm. 9), S. 18–41.
Aventin, Sämmtliche Werke I (wie Anm. 21), S. 102f; II, S. 34–326; IV.
Müller, Stammessage (wie Anm. 36), S. 342–356; Weissensteiner, Passio secunda s. Quirini (wie Anm. 32), S. 162–197.
Müller, Stammessage (wie Anm. 36), S. 367. Weiterhin: Wilhelm Störmer, Beobachtungen zu Aussagen und Intentionen der bayerischen Stammes-„Sage“ des 11./12. Jahrhunderts, in: Fälschungen im Mittelalter I, hg. v. Horst Fuhrmann, Stuttgart 1988, S. 451–470.
Georg R. Spohn, Armenien und Herzog Naimes. Zur bayerischen Stammessage im Mittelalter und bei Peter Harer, in: ZBLG 34 (1971), S. 185–210.
Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken (wie Anm. 9), S. 24f.: „Quid autem in his veritatis sit, puto, quod nemo sciat, quia forte tunc temporis homines huius terre rudes et agrestes erant et nemo litteris posteris commendavit.”
Enea Silvio Piccolomini, Europa, Venedig 1556, S. 408–412, cap. 40. Vgl. Veit Arnpeck, Sämtliche Chroniken (wie Anm. 9), S. LII–LIV.
Ebda., S. 447–449.
Das Annolied (wie Anm. 28), S. 121–124.
Grau, Der Gedanke der Herkunft (wie Anm. 37), S. 17–19.
Fredegari et aliorum chronica, hg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov. II, Hannover 1888, S. 93, c. 2. Vgl. auch Jean-Pierre Bodmer, Die französische Historiographie des Spätmittelalters und die Franken. Ein Beitrag zur Kenntnis des französischen Geschichtsdenkens, in: AKG45 (1963), S. 91–118; ders., Chroniken und Chronisten im Spätmittelalter, Bern 1976.
Pauli Historia Langobardorum, hg. v. Georg Waitz, (MGH SrG 48), Hannover 1878 (ND Hannover 1987), S. 221f., c. 23.
Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvey, hg. v. Paul Hirsch u. Hans-Eberhard Lohmann, (MGH SrG 60), Hannover 1935 (ND Hannover 1989), S. 4f, c. 2.
Birgit Studt, Fürstenhof und Geschichte. Legitimation durch Überlieferung, Köln / Weimar / Wien 1992, S. 386f.
Klaus Arnold, Johannes Trithemius (1462–1516), Würzburg 21991, S. 167–179.
Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958. Andreas von Regensburg kannte besonders gut Konrads von Megenberg Traktat De translacione Romani imperii. Vgl. Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke (wie Anm. 17), S. LIVf. (mit dem Hinweis auf den wichtigen Eichstätter Codex Nr. 698), S. 8, 30, 441.
Eberhard Neilmann, Die Reichsidee in deutschen Dichtungen der Salier-und frühen Stauferzeit, Berlin 1963, S. 57–68.
Müller, Stammessage (wie Anm. 36), S. 367f.
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(2008). Die Stammessage. In: Neue Wege der bayerischen Landesgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91128-1_2
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