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Fibromyalgie und chronisches Erschöpfungssyndrom

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Verhaltensmedizin

Part of the book series: Springer-Lehrbuch ((SLB))

Zusammenfassung

Bei ein bis zwei Drittel aller ambulanten Patienten können keine medizinischen Gründe für die berichteten körperlichen Beschwerden nachgewiesen werden (Nimnuan et al. 2001). Körperliche Beschwerden ohne medizinische Ursachen sind aus mehrerer Hinsicht ein Problem. Der betroffene Patient möchte wissen, warum er sich krank fühlt und was dagegen getan werden kann, der behandelnde Arzt/Psychiater/Psychologe möchte verstehen und helfen. Aufgrund dieser Problematik sind diese Störungsbilder Paradebeispiele für eine verhaltensmedizinische Annäherung. Anhand zweier ausgewählter Störungsbilder soll gezeigt werden, wie diese aus einer integrativen Perspektive verstanden und behandelt werden können.

Alle rennen. Nur J. bleibt liegen. Wieder ein Tag, an dem sie nach 14 Stunden Schlaf erwacht und ihr die Müdigkeit wie Blei in den Armen und Beinen hängt. Sie sagt: „Es ist wie wenn du ohne Training einen Marathon läufst. Und dich davon nicht mehr erholst.“ Vor 2 Jahren erhielt sie die Diagnose CFS, und damit wurde sie endlich den Verdacht los, eine eingebildete Kranke oder ein stinkfauler Teenager zu sein. J. ist 18 und chronisch erschöpft. Sie lebt mit CFS, dem „Chronic Fatigue Syndrome“.

CFS ist das Kürzel für eine Anhäufung von Symptomen ohne bekannte Ursache. Nicht die Mattigkeit allein — wie der Name vorgibt — ist es, die J. ans Bett fesselt, es sind ebenso Schwindel und Schmerz:„Oft tut mir einfach alles weh.“ Kopf, Muskeln und Gelenke schmerzen, der Hals brennt, die Lymphknoten schwellen an und das Licht reibt wie Sand in den Augen. Selbst klassische Musik quält den Hörnerv wie der Bohrer beim Zahnarzt. J. schafft es an diesen Tagen kaum allein aufs Klo. Das seien die „bad days“, sagt sie.

Es begann vor 3 Jahren. Immer öfter schleppte sich J. in G., wo sie mit Mutter und Schwester hingezogen ist, am Nachmittag von der Schule nach Hause, fällt ins Bett und schläft ein. Sie kann nicht anders. Trotzt sie ihrem Körper noch eine Runde Basketball mit Freunden ab, rächt sich dies doppelt. Anstrengungen sind genau das, was der Körper nicht duldet. Nach einigen Monaten reicht ein Spaziergang für Schmerzen in Gelenken und Muskeln. Als J.’s Freundin sich bei ihr beschwert, es vergehe kein Tag mehr ohne Wehwehchen, sucht J. den Arzt auf. Er testet das Blut dutzendfach. Psychologen durchleuchten J.’s Seele. Sie finden nichts. Weder physisch noch psychisch, kein Keim, kein Virus, keine Neurose. Und trotzdem kann sich J. zeitweise kaum mehr aus dem Bett erheben — an Schule ist nicht mehr zu denken.

Erst als J. von ihrer Mutter ein Buch mit den Beschreibungen verschiedenster Krankheiten bekommt und sie das Kapitel über CFS aufschlägt, kommt die Erleuchtung. „Das ist es“, sagt sie, loggt sich in CFS-Foren ein und liest alles über die Krankheit. Endlich wird die Diagnose CFS offiziell gestellt. (...)

Für J. ist heute ein „good day“. Sie steigt allein die Treppe hinunter und setzt sich vorsichtig an den Tisch. Wenn sie erzählt, gestikuliert sie dazu sparsam, denn sie weiß aus Erfahrung, wie schnell es geht, bis ihr Energiereservoir leer ist. (...)

Noch in den 90er-Jahren galt CFS fälschlicherweise als „Yuppie-Grippe“. Dabei gibt es keine wissenschaftliche Studie, die CFS schichtspezifisch zuordnen kann. Putzpersonal ist davon genauso betroffen wie Professoren und Prominente. Der Pianist Keith Jarret wurde über Jahre bis in die Fingerspitzen von CFS gequält, und Cher schien kraftlos ihren Schatten von Konzert zu Konzert hinter sich her zu schleppen. (...)

Die ehemaligen Freunde von J. haben sich zurückgezogen. Sie tanzen auf Partys ab, spielen Basketball und probieren die Liebe aus. „Sie haben keine Zeit für mich “, sagt J., „ich verstehe das.“ CFS schwächt, setzt schachmatt — aber es lässt seinen Träger nicht sterben. (...)

J. hat sich an der Fakultät für Flugzeugbau in G. eingeschrieben. Eine Stunde pro Tag möchte sie es zunächst an der Universität aushalten. Und eines Tages, davon träumt sie, wird sie der Krankheit davonfliegen können.

Zeitungsartikel über CFS. Die Weltwoche, Nr. 18, 2. Mai 2002

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