Zusammenfassung
Durchblättert man die psychoanalytischen Schriften, die zum Narzißmus publiziert wurden, auch nur flüchtig, dann ist man zunächst erstaunt über die Vielfalt der klinischen Phänomene, die von verschiedenen Autoren als „narzißtisch“ bezeichnet werden. Der Schlaf, das Daumenlutschen des Kindes, das strahlende junge Mädchen vor dem Spiegel, welches sich schön macht, der Wissenschaftler, der über die Verleihung des Nobelpreises stolz ist, gelten ebenso als „narzißtisch“ wie die höchste Sublimierung und die tiefste psychotische Regression. In manchen Fällen wird der Narzißmus für die Erhöhung der männlichen Potenz verantwortlich gemacht, in anderen für ihre Abnahme. Man findet den Narzißmus in der Frigidität ebenso wie in der weiblichen Anziehungskraft. Man meint, er könne destruktive Tendenzen neutralisieren, gleichzeitig aber auch zu einer Angstquelle für das Ich werden. Einerseits wird er für den Aufbau einer Abwehr gegen Homosexualität verantwortlich gemacht, andererseits aber gelten gerade die Homosexuellen als besonders narzißtisch. Einerseits erklärt man eine längere Tatenlosigkeit mit einem Narzißmus, andererseits sieht man ihn als Triebkraft des Ehrgeizes, und Objektabhängigkeit wie auch Objektunabhängigkeit werden gleichermaßen mit diesem Etikett versehen. Bereits 1947 hatte Hart Kritik an dieser Vielfalt vorgebracht. Man ist nicht zuletzt deshalb verwundert, weil auch die Renaissance, die Begriff und Konzept des Narzißmus vor allem unter dem Einfluß der Schriften von Kernberg und Kohut in den letzten Jahren erfahren haben, eher den inflationären Gebrauch dieser Metapher verstärkte, als daß sie zu einer terminologischen und theoretischen Klärung beitrug. Der Katalog klinischer Phänomene, die heute unter diesem Begriff subsumiert werden, ließe sich unschwer verlängern.
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Zepf, S. (1985). Das Narzißmusproblem. In: Narzißmus, Trieb und die Produktion von Subjektivität. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-70738-4_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-70738-4_2
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