Zusammenfassung
Die Frage, ob das Kind nach vollendeter Geburt gelebt habe, ist eine der wichtigsten, die in gerichtlichen Fällen zu beantworten ist. Diese hohe Meinung von der Bedeutung und insbesondere von dem Nachweis des Gelebthabens, wenn auch nur während einer allerkürzesten Zeitspanne, geht aber, wie schon angedeutet, von der Justiz aus. Der Strafrichter braucht den Nachweis bei fraglichem Kindsmord, der Zivilrichter bei manchen Fragen des Erbrechts. Der Mediziner denkt daran, daß gleich nach der Geburt in der Regel ein sogenanntes apnoisches Stadium besteht, das bis zum ersten Atemzug dauert. Wenn in diesem verschieden langen Zeitraum ein tödlicher Angriff auf das Kind erfolgt, was praktisch sicher vorkommt, so ist, jedenfalls nach medizinischer Auffassung, ein vollendeter Kindsmord gegeben. Jedenfalls wäre es außerordentlich abwegig, wollte man in den Fällen, in denen das Kind nachweislich nach der Geburt nicht geatmet hat, auf die Feststellung der Todesursache verzichten. Wir wissen, daß in diesem apnoischen Stadium andere Zeichen des Lebens, wie insbesondere Herztätigkeit, aber auch Bewegungen mit den Gliedmaßen, sowie auch Entleerung von Harn und Meconium beobachtet werden. Wir dürfen also gerichtlich-medizinisch keinesfalls ausschließlich „Atmung gleich Leben“ setzen. Wir übergehen die lange Geschichte der Frage, unter welchen Umständen ein Kind als Lebendgeburt anzusehen sei, wenn es sehr bald nach der Geburt abgestorben ist. „Ein Kind hat gelebt, das die Wände beschrieen hat“, mit diesem Grundsatz des preußischen Landrechts könnten wir heute nicht mehr viel anfangen oder höchstens so viel, daß in den Fällen, in denen von zuverlässigen Zeugen das Schreien des Kindes gehört wurde, das Leben erwiesen erscheint.
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Walcher, K. (1941). Nachweis des Lebens nach der Geburt. In: Das Neugeborene in forensischer Hinsicht. Gerichtliche Medizin in Einzeldarstellungen, vol 1. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-90653-4_7
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