Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht, inwieweit der Konstruktivismus die erkenntnistheoretischen Grundlagen der politischen Theorie provoziert. Die Analyse konzentriert sich auf den Konstruktionsbegriff und seine unterschiedlichen Verwendungen. Es wird herausgearbeitet, dass aufgrund der Eigenkomplexität der Politischen Theorie verschiedene Konstruktivismen Einfluss ausüben. Durch deren kritische Reflexion lassen sich relevante konstruktivistische Einsichten identifizieren und zu einer konstruktiven Politischen Theorie zusammenfassen.
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Notes
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Zu unterscheiden sind hier Ansätze, die trotz ihrer Vielfalt zu einer radikalen Variante des Konstruktivismus zusammengefasst werden können (Sutter 2009, S. 37), und die eigenständige Schule des „Radikalen Konstruktivismus“ (Schmidt 1987). Letztere zeichnet sich durch eine spezifische Erkenntnistheorie aus, die zwar auch teilweise in den anderen radikalen Varianten rezipiert und geteilt wird, jedoch nicht alle Ansätze vereint. Der Radikale Konstruktivismus ist somit nur ein möglicher Vertreter der radikalen Varianten.
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Luhmanns operativer Konstruktivismus gehört zum radikalen Konstruktivismus. Der Schule des kognitionstheoretischen „Radikalen Konstruktivismus“ stand er eher ambivalent gegenüber (Luhmann 1993, S. 33).
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Eine solche Philosophie kommt zum Ausdruck etwa in der neuen Kunst des russischen Konstruktivismus (Wladimir Tatlin) im Zusammenhang mit der Oktoberrevolution. Diese Kunstrichtung baute auf der Russischen Avantgarde auf, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Moskau und St. Petersburg formierte. Ihre Grundlage war eine Kunst, die auf rationalen Gestaltungskriterien basierte und einen gesellschaftspolitischen Anspruch besaß. Höhepunkt des russischen Konstruktivismus war der von Tatlin erarbeitete Entwurf eines gigantischen 400 m hohen Denkmals für die III. Internationale, welches aber nicht realisiert wurde (vgl. Riese 2008). Damit verfolgte Tatlin aber nichts Ungewöhnliches. Man kann sogar sagen, dass der Moderne generell ein Zug zur Gigantomanie eigen ist, die inzwischen eine kreative Fortschrittskritik hervorgerufen hat, welche gewiss etwas anderes ist als eine Wiederholung der Kulturkritik nach dem 1.Weltkrieg, der sogenannten „Urkatastrophe der Moderne“.
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Ganz im Sinne der Idee: Je mehr Wissen akkumuliert werden kann, desto effektiver lässt sich sozialer Wandel organisieren.
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Dies liegt an der Tatsache, dass der Mensch mit seiner Selbstauslegung und seinem Ordnungsdenken nicht auf die Wissenschaften wartet (Voegelin 2004).
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Das Gegenstandswissen als spezifisches Wissen über einen Gegenstand unterscheidet sich sowohl vom praktischen Wissen, wie etwas gemacht wird, als auch vom Wissen, wie etwas zu bewerten ist.
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Kleger, H., Knobloch, J. (2014). Konstruktivistische und konstruktive Politische Theorie. In: Martinsen, R. (eds) Spurensuche: Konstruktivistische Theorien der Politik. Politologische Aufklärung – konstruktivistische Perspektiven. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02720-9_8
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