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Die Spur des Anderen: Zum Zusammenhang von Verkennen und Anerkennen (Emmanuel Levinas)

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Spuren der Anerkennung
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Zusammenfassung

Dass die philosophischen Thematisierungen des Anderen im 20. Jahrhundert nicht allein mit ungelösten intersubjektivitäts- und erkenntnistheoretischen Problemstellungen zusammenhängen, sondern auch in Erfahrungen begründet sind, wird wohl kaum deutlicher als an den Schriften des aus Litauen stammenden Philosophen Emmanuel Levinas. So begründen sich dessen unermüdlichen Versuche, die Frage nach dem Anderen unter dem Stichwort der alterité auszuarbeiten, zentral in den katastrophalen Erfahrungen der Menschenvernichtungen im 20. Jahrhundert. Das Leben von Levinas ist, so stellt Stephan Strasser pointiert heraus, „nicht nur ‚in Geschichten verstrickt‘, wie jedes Menschenleben, es ist in die Geschichte verstrickt, in die von Leidenschaften besessene, an ungeheuerlichen Katastrophen so reiche Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ (Strasser 1983, 218).

Sicher wollte ich ‚Philosophie machen‘, aber was konnte das bedeuten, abgesehen von einer ausschließlich pädagogischen Tätigkeit oder von der Eitelkeit, Bücher fabrizieren zu wollen?

(Emmanuel Levinas)

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Notes

  1. 1.

    Nach Kriegsbeginn war Levinas von deutschen Soldaten festgenommen und nach Deutschland deportiert worden, wo er fünf Jahre im Lager Fallingbostel festgehalten wurde; nach der Befreiung Frankreichs und seiner Rückkehr nach Paris erfuhr er, dass litauische Soldaten seine Eltern und seine Brüder erschossen hatten.

  2. 2.

    Vgl. zu diesem „Wahnsinnsgedanken“ (Engler 1995, 714) von Levinas exemplarisch: „Der eigentliche Grundzug des Seins liegt darin, dass jedes einzelne Seiende um sein Sein selbst besorgt ist. […] Und dann plötzlich im Bereich der menschlichen Natur das mögliche Aufscheinen einer ontologischen Absurdität: Die Sorge für den Anderen siegt über die Sorge um sich selbst“ (Levinas 2006, 173).

  3. 3.

    Es finden sich in Levinas’ Schriften eher wenige Äußerungen zu den Massenmorden des 20. Jahrhunderts. Stellvertretend sei hier auf die Widmung verwiesen, die Levinas seinem zweiten Hauptwerk Autrement qu’être ou au-delà de l’essence (1974) voranstellt: „Dem Andenken derjenigen unter den 6 Millionen von den Nationalsozialisten Ermordeten, die mir am nächsten standen neben jenen Abermillionen Menschen aller Konfessionen und Nationen, die Opfer desselben Antisemitismus, desselben Hasses des Anderen wurden“ (Levinas 1998, o. S.).

  4. 4.

    Levinas pointiert: „Der Humanismus verdient nur deshalb Kritik, weil er nicht human genug ist“ (Levinas 1998, 284).

  5. 5.

    Unter Levinas’ ‚Spätwerk‘ werden hier, an Peter Zeillinger anschließend, „stark vereinfachend all jene Texte“ verstanden, „die nach Totalität und Unendlichkeit verfasst wurden“ (Zeillinger 2010a, 225). Dabei wird der philosophische Gehalt von Levinas’ Schriften fokussiert und eine (bisweilen radikal) säkulare Lesart seiner Alteritätstheorie unternommen. Levinas, der zwei verschiedene Verlage für die beiden Seiten – die jüdisch-religiöse und die philosophische – seines Denkens wählte, unterstrich bisweilen selber, dass sich seine Schriften auch ‚bloß‘ philosophisch lesen lassen. Im Folgenden wird überdies zwar davon ausgegangen, dass der konkrete historische Kontext und die mit ihm verbundenen „existenziellen Erfahrungen“ (Strasser 1983, 219) für den Philosophen Levinas von überaus zentraler Bedeutung waren. Um eine historisierende ebenso wie eine psychologisierende Deutung seiner Schriften zu vermeiden, wird aber darauf verzichtet, den Gehalt seiner Schriften diesbezüglich zu erörtern (vgl. auch Zeillinger 2010a, 228).

  6. 6.

    Dies gilt insbesondere für Levinas’ zweites Hauptwerk (vgl. Levinas 1998), denn in diesem ‚iteriert‘ Levinas ständig „das Gleiche“ (Pfeifer 2009, 132) und konzipiert seine Ausführungen als „Widerhall des Vorhergegangenen“ (ebd.) unter häufiger Verwendung des Konjunktivs. Solchermaßen bricht Levinas nicht nur „mit einem linearen philosophischen Diskurs, der Gedanken und Thesen nacheinander sowie auseinander entwickelt“ (ebd.), sondern er sucht, „die ontologische – oder genauer: eidetische – Sprache“ (Levinas 1987a, 8) zu vermeiden, während sich sein erstes Hauptwerk noch auf sie beruft, „um zu verhindern, daß seine Untersuchungen […] so aufgefaßt werden könnten, als beruhten sie auf der Empirie einer Psychologie“ (ebd.).

  7. 7.

    Ontologie ist aber, wie unten deutlich wird, nicht nur der kritische „Ausgangspunkt“ (Pfeifer 2009, 224), sondern auch der „Zielpunkt der Levinasschen Philosophie“ (ebd.).

  8. 8.

    So stellt Levinas z. B. hinsichtlich von Husserl heraus, dass für ihn „die Schuld gegenüber dem Menschen mit der Schuld gegenüber dem Werk [verschmilzt]“ (Levinas 1983, 121), und die „wahrhaft neue[n] Akzente“ (ebd. 122) des Husserlschen Werkes „nur für Ohren klingen, die fein oder geübt sind, die auf jeden Fall auf der Lauer sind“ (ebd.). Insbesondere für Heideggers Philosophie drückte Levinas immer wieder seine ‚Bewunderung‘ aus: „Was die intellektuelle Stärke in Sein und Zeit angeht, so kann dem ganzen immensen Werk, das auf dieses außergewöhnliche Buch von 1926 gefolgt ist, die Bewunderung nicht versagt werden“ (Levinas 1988, 104). Dabei bezeichnete er Heidegger auch als den „größte[n] Philosoph des Jahrhunderts“ (Levinas 1995, 147) und dessen Philosophie als „ein großes Ereignis unseres Jahrhunderts“ (Levinas 1996, 32). Sein und Zeit (1927; vgl. Heidegger 1993) ist, so Levinas, „eines der schönsten Bücher in der Geschichte der Philosophie“ (Levinas 1996, 26) und „jemand, der im 20. Jahrhundert den Versuch unternimmt zu philosophieren“ (ebd. 32), komme „nicht umhin […], die Philosophie Heideggers zu durchqueren“ (ebd.).

  9. 9.

    Die Aufsätze dieses Bandes liegen in deutscher Übersetzung teilweise vor in Levinas 1983.

  10. 10.

    Vgl.: „Ich weiß nicht, ob man von einer‚Phänomenologie‘ des Antlitzes sprechen kann, denn die Phänomenologie beschreibt das, was erscheint“ (Levinas 1996, 64). Phänomenologie stellt, so betont Levinas in Totalität und Unendlichkeit, immer noch einen Versuch der Erkenntnis dar, der letzte Sinn des Geschehens liege aber „nicht darin, erschließend zu sein“ (Levinas 1987a, 30): „Geschehnisse ereignen sich, ohne in der Erschlossenheit (oder der Wahrheit) ihr Ziel zu haben“ (ebd.).

  11. 11.

    Vgl. dazu auch die Anmerkungen Levinas’ zu seiner Zeit in Freiburg: „Für eine damals bereits sich vermindernde Gruppe von Schülern, die Husserl noch ausgebildet hatte, bevor sie Heidegger kennenlernten, bildete die Gegenüberstellung dieser beiden Denkweisen in Freiburg einen bedeutenden Gegenstand der Betrachtung und der Diskussion. […] Für diejenigen, die mit Heidegger im Winter 1928/1929 ankamen, war Husserl, der seit dem Ende des WS 1927/1928 emeritiert war und der während des Übergangssemesters im Sommer 1928 nur mit auf die Hälfte reduzierter Stundenzahl gelesen hatte, nur mehr einer der Altvorderen. Auf dem Umweg über diese Diskussion trat ich selbst in die Phänomenologie ein und bildete mich an ihrer Disziplin“ (Levinas 1983, 122f.).

  12. 12.

    Als Grund für seine Entfernung von der Husserlschen Philosophie benennt Levinas zudem „jene[.] Ereignisse[.], die sich zwischen 1922 und 1945 abspielten und die vom Wissen weder verhindert noch verstanden werden konnten“ (Levinas 1995, 155).

  13. 13.

    Die Zeit ist, so erläutert Levinas dies rückblickend, „nicht einfach die Erfahrung einer Dauer, sondern ein Dynamismus, der uns über die Dinge, die wir besitzen, hinausführt“ (Levinas 1996, 47).

  14. 14.

    Der „Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Traditionsbruch“ (Pfeifer 2009, 13) in Levinas’ Schriften sei hier ebenso wie der Frage, inwiefern der von Levinas „forcierte Bruch mit der Tradition“ (ebd. 12) sich letztlich „als ein Bruch mit der Metaphysik, wie sie in Hegels System ihren Abschluss gefunden hat“ (ebd.), erweisen lässt und er Heidegger näherstand, als er zugestand, nicht nachgegangen; zu Levinas’ Verbundenheit mit der Tradition insgesamt vgl. Pfeifer 2009, zu Levinas und Hegel exemplarisch Peperzak 1988, zu Levinas und Heidegger ebenso exemplarisch Huizing 1988.

  15. 15.

    Vgl. auch: „Das Dasein, das bei Heidegger die Stelle der Seele, des Bewußtseins, des Ich einnimmt, behält die Struktur des Selben“ (Levinas 1983, 192).

  16. 16.

    Dieses Fehlen hat, so betont Levinas hinsichtlich Heideggers NSDAP-Mitgliedschaft, mit seinem „persönliche[n] politische[n] Abenteuer“ (Levinas 2006, 181) zu tun. Er habe trotz seiner „Bewunderung für die Größe seines Denkens […] diesen Doppelaspekt, der in allem, was er gesagt und geschrieben hat, nie teilen“ (ebd.) und er habe nie vergessen können, was Heidegger „1933 darstellte, selbst wenn er es nur für eine sehr kurze Zeit war“ (Levinas 1995, 147). Es falle „schwer, Heidegger zu verzeihen“ (Levinas 1993, 48), denn dieser habe sich „von der Schuld an seiner Beteiligung am Nationalsozialismus nie befreit“ (Levinas 1996, 31): „Ich glaube […], daß zur Frage von Heideggers Beteiligung an den ‚Hitler-Gedanken‘ weder irgendeine historische Forschung noch die aus den Archiven gewonnenen Fakten und auch nicht die gesammelten Berichte […] mit der Gewissheit gleichzusetzen sind, die wir aus dem Schweigen ziehen, das er im besagten Spiegel-Testament zur Endlösung, zum Holocaust zur Shoah gewahrt hat. […]. [I]m wieder eingekehrten Frieden das Schweigen zu Gaskammern und Todeslagern zu wahren, ist das nicht – abgesehen von den schlechten Entschuldigungen – das Zeugnis vollständiger Verschlossenheit der Seele gegenüber Sensibilität und wie eine Zustimmung zu dem Entsetzlichen?“ (Levinas 1988, 103f.)

  17. 17.

    Dabei ist es u. a. eine phänomenologische Analyse des Ekels, an der Levinas in dieser frühen Schrift das „Gekettet-Sein“ (Levinas 2005, 49) als Negativerfahrung und das ‚Bedürfnis‘ nach evasion aus dem Sein wie auch die Erfahrung eines noch ‚unpersönlichen‘ Anderen verdeutlicht: „Im Ekel, der eine Unmöglichkeit bedeutet zu sein, was man ist, ist man zugleich an sich selbst gekettet, eingeschlossen in einem engen Kreis, der erstickt […] es ist die Erfahrung des reinen Seins selbst […]. Die Erfahrung des reinen Seins ist zugleich die Erfahrung seines inneren Antagonismus und der Evasion, die sich aufdrängt“ (ebd.); den Versuch einer phänomenologischen Beschreibung des Ekels unternimmt 1938 auch Sartre in seinem Roman über den Gelehrten Antoine Roquentin (vgl. Sartre 1963).

  18. 18.

    Während Stephan Strasser drei Phasen des Levinasschen Werkes – von einer ersten, „mit dem Schlagwort ‚Kritik der Ontologie‘“ (Strasser 1983, 221) bezeichneten Phase unterscheidet er „mittels der Losung ‚Metaphysik statt Fundamentalontologie‘“ (ebd.) eine zweite sowie als dritte Phase die der „Ethik als Erste Philosophie“ (ebd. 222) – differenziert, spricht Levinas selber von einer vorkritischen und einer kritischen Phase (vgl. Krewani 1983, 19).

  19. 19.

    Dieser habe ihn, so kommentiert Levinas, in Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung so „frappiert“ (Levinas 1987a, 31), dass „diese Schrift […] zu häufig in diesem Buch gegenwärtig [sei], um zitiert zu werden“ (ebd.).

  20. 20.

    Totalität und Unendlichkeit beginnt mit einer Meditation über den Krieg und wird entlang der These, dass „[d]as Gesicht des Seins, das sich im Krieg zeigt, […] im Begriff der Totalität [konkretisiert]“ (Levinas 1987a, 20), eröffnet. Es ist dann Levinas’ Anliegen, „jenseits der Totalität des Krieges eine neuartige Beziehung zum Sein zu entdecken“ (Strasser 1983, 223).

  21. 21.

    Vgl. auch: Die Geschichte der Philosophie „kann als Versuch einer universellen Synthese interpretiert werden, als Reduzierung aller Erfahrung, alles Sinnvollen auf eine Totalität, in der das Bewußtsein die Welt umfaßt, außerhalb seiner selbst nichts übrig lässt und auf diese Weise absolutes Denken wird. Das Bewußtsein von sich ist zugleich Bewußtsein vom Ganzen“ (Levinas 1996, 57).

  22. 22.

    Levinas verdeutlicht den Unterschied der beiden Herangehensweisen von Ontologie und Ethik auch an einer historischen Metapher: Während das ontologische Denken, das von dem Einen ausgeht und zu dem Einen zurückkehrt, den Irrfahrten des Odysseus gleicht, dessen Ausgangs- und Endpunkt das heimatliche Ithaka, seine Geburtsinsel ist (vgl. Levinas 1983, 211), gehe die Ethik den Weg des Abraham, der die vertraute Umgebung ohne Rückkehr und Rückbindung an eine Heimat verlässt: „Dem Mythos von Odysseus, der nach Ithaka zurückkehrt, möchten wir die Geschichte Abrahams entgegensetzen, der für immer sein Vaterland verläßt, um nach einem noch unbekannten Land aufzubrechen, und der seinem Knecht gebietet, selbst seinen Sohn nicht zu diesem Ausgangspunkt zurückzuführen“ (ebd. 216).

  23. 23.

    Levinas bezeichnet die Ethik dort auch als den „Königsweg der metaphysischen Transzendenz“ (Levinas 1987a, 32).

  24. 24.

    Es ließe sich auch von einer „Ethik ohne Ethik“ (Bernasconi 1998, 95) oder einer „Ethik gegen Ethik“ (ebd.) sprechen.

  25. 25.

    In Totalität und Unendlichkeit erläutert Levinas die Ethik auch als eine ‚Optik‘: „Die Ethik ist eine Optik. Aber sie ist ein bildloses ‚Sehen‘, ein ‚Sehen‘ ohne die dem Sehen eigenen Vermögen der synoptischen und totalisierenden Objektivation“ (Levinas 1987a, 23).

  26. 26.

    Vgl. auch: „[M]an muß verstehen, daß die Moral nicht eine zweite Schicht oberhalb einer abstrakten Reflexion über die Totalität und ihre Gefahren ist; die Moral hat eine unabhängige und vorrangige Tragweite“ (Levinas 1996, 59).

  27. 27.

    Vgl.: „Sein Denken ist nicht modern im Sinne Habermas’, weil der Diskurs und seine reflexive Rationalität ihre zentrale Stelle eingebüßt haben. Es ist nicht postmodern im Sinne etwa des Lyotard’schen Pluralismus, weil ihm auf neue Weise Vernunft und Synthese nicht fremd sind“ (Krewani 1992, 26).

  28. 28.

    Vgl.: „Ende des Humanismus, Ende der Metaphysik – Tod des Menschen, Tod Gottes (oder ‚Nieder mit Gott‘!) – apokalyptische Ideen oder Schlagwörter der intellektuellen high society. Wie alle Manifestationen der Pariser Neigungen – oder der Pariser Abneigungen – drängen sich diese Thesen auf mit der Tyrannei des ‚letzten Schreis‘, aber sie bieten sich an allen Meinungsmärkten an und werten sich auf diese Weise selbst ab“ (Levinas 1989, 85); vgl. auch: „Das zeitgenössische Denken bewegt sich […] in einem Sein ohne menschliche Spuren, wo die Subjektivität ihren Platz inmitten einer geistigen Landschaft verloren hat, die damit derjenigen vergleichbar wird, die sich den Astronauten bot, als sie zum ersten Mal den Mond betraten, von wo aus sich die Erde selbst als ein unmenschlich gemachter Stern zeigte“ (Levinas 1985, 29f.).

  29. 29.

    Stephan Strasser betont jedoch bereits 1983, dass es eine „unleugbare Tatsache“ (Strasser 1983, 259) sei, dass Levinas’ Philosophie eine „Philosophie der Subjekte“ (ebd.) darstelle, jedoch, wie im Folgenden deutlich wird, „freilich keine ‚Philosophie der Subjektivität‘ etwa im Sinne Hegels und dessen geistiger Nachfahren“ (ebd.), denn „[g]erade in der Idee einer einzigen Subjektivität, die in ihrer Entwicklung alle Erscheinungsformen des Geistes in sich einbezieht, sieht Levinas den Prototyp eines totalisierenden Denkens“ (ebd.).

  30. 30.

    Während Levinas in Totalität und Unendlichkeit den Begriff ‚Subjekt‘ zur Kennzeichnung seiner Subjektauffassung weitgehend vermeidet und dieser dort insofern vielmehr als Gegenfolie fungiert, als er das von Levinas kritisierte ‚transzendentale Ich‘ meint, bezeichnet er in Jenseits des Seins „auch affirmativ das Subjekt im Levinasschen Sinne“ (Bedorf 2003, 29). Durch die Verwendung des Subjektbegriffs in Jenseits des Seins betont Levinas, wie im Folgenden deutlich wird, „den Unterwerfungscharakter (sujétion) des subjectum für das von der Verantwortung eingenommene Ich“ (ebd. 31).

  31. 31.

    Als Ausdruck des Anderen und seiner Verwundbarkeit ist es jedoch nach Levinas „mehr oder weniger der ganze menschliche Körper“ (Levinas 1996, 74f.), der Angesicht bzw. Antlitz sein kann. Das Wort ‚visage‘ sollte, so betont Levinas, „nicht in zu engem Sinn verstanden werden“ (Levinas 1995, 275), denn die Macht, die Verwundbarkeit und den Anruf der Verantwortlichkeit auszudrücken, könne „auch die Nacktheit eines von Rodin geformten Arms haben“ (ebd. 275f.).

  32. 32.

    Levinas verwendet den Begriff des Fremden nicht systematisch, sondern treibt den Begriff des Anderen in seine „eigenen Paradoxa“ (Bedorf 2003, 34), indem er das „Moment der Fremdheit […] in seinen Begriff des Anderen“ (ebd. 34f.) eingehen lässt und z. B. von der „[a]bsolute[n] Fremdheit der nicht annehmbaren Andersheit“ (Levinas 1995, 209) spricht; zu Versuchen, zwischen Andersheit als Fremdheit und Andersheit als Verschiedenheit zu unterscheiden vgl. Waldenfels 1997, 1998 und 2006 wie Röttgers 2002; vgl. für einen Überblick auch Ricken/Balzer 2007.

  33. 33.

    Im Antlitz drückt sich nach Levinas, was hier nur erwähnt sei, das „Gebot eines Gottes [aus], der ‚den Fremden liebt‘, eines unsichtbaren, nicht thematisierbaren Gottes, […] den meine Verantwortung für den Anderen bezeugt“ (Levinas 1985, 219), so dass ‚ich‘ im Antlitz des Anderen „Gottes Wort höre“ (Levinas 1995, 150).

  34. 34.

    Levinas betont daher, dass man das Subjekt „[a]usnahmsweise und nur, wenn man die Sprache mißbraucht […] Ich [Moi ou Je] nennen“ (Levinas 1998, 135) könne, dass aber diese Benennung allein eine „stellvertretende Nennung“ (ebd.) sei, denn es gebe „nichts, was ich genannt wird; ich sagt derjenige, der spricht“ (ebd.): „Das Wort ich bedeutet: hier, sieh mich, verantwortlich für alles und für alle“ (ebd. 253).

  35. 35.

    Daher ist es nicht so, dass, wie Uwe Justus Wenzel betont, „[i]ch antworte, erwidere, indem ich mich in die Pflicht nehmen lasse“ (Wenzel 1996, 222 Hervorh. N.B.), sondern ich antworte, weil ich in die Pflicht genommen werde, mir die Verpflichtung widerfährt.

  36. 36.

    Vgl.: „Eine Verantwortung, die Sie an jemanden abtreten, ist keine Verantwortung mehr“ (Levinas 1995, 138).

  37. 37.

    Bei der Frage, ob der Mensch „durch die Materie oder durch die Form individuiert“ (Levinas 1995, 138) werde, vertrete er, so betont Levinas, „die Individuation durch die Verantwortung für den Anderen“ (ebd.).

  38. 38.

    Vgl. zur Subjektkonzeption in Totalität und Unendlichkeit Bernhardt 1996; Sandherr 1998; Moebius 2003; Bedorf 2003 sowie Pfeifer 2009.

  39. 39.

    Vgl. auch: „Der Egoismus und der Altruismus sind später als die Verantwortung, die beide erst ermöglicht. Der Egoismus ist dabei nicht die eine Seite der Alternative, deren anderer Term der Altruismus wäre und wobei die Freiheit indifferent wählen würde“ (Levinas 1998, 273).

  40. 40.

    Stephan Strasser kommentiert Levinas’ Kritik am ‚Monadologismus‘ folgendermaßen: „Eine Monade, die im Inneren ihrer Seele den Makrokosmos repräsentiert (Leibnitz) oder konstituiert (Husserl) und die in diesem Sinne ‚fensterlos‘ ist, kann niemals in sozial-ethische Beziehungen zu einer anderen Monade treten. Überdies steht der Immanentismus aller Monadologien in einem schroffen Gegensatz zur zentralen Idee von Levinas’ Philosophie: der der Transzendenz“ (Strasser 1983, 255).

  41. 41.

    Diese wird von Levinas auch als ‚Inkarnation‘ beschrieben, welche „keine transzendentale Operation eines Subjektes“ (Levinas 1998, 173) sein könne, das sich inmitten der Welt ansiedelt, die es sich vorstellt“ (ebd.), sondern vielmehr sei „die sinnliche Erfahrung des Leibes […] von Anfang an inkarnierte Erfahrung“ (ebd.); vgl. zu Levinas’ Umdeutung des christlichen Inkarnationsgedankens auch Sandherr 1998.

  42. 42.

    Peter Zeillinger stellt heraus, dass, weil sich in Levinas’ Spätwerk „die Rede von einer Exteriorität […] für die Rede vom Anderen unangemessen“ (Zeillinger 2010a, 233) erweist, auch das von Levinas im Spätwerk bisweilen forcierte Verständnis der Andersheit des Anderen als ‚Fremdheit‘ problematisch wird, denn der Fremde „ist ‚exterritorial‘ im Blick auf die Ordnung des Ich“ (ebd. 234) und meint „stets einen aus der herrschenden Ordnung Ausgegrenzten“ (ebd.), der „aber potenziell in eben diese oder eine erweiterte Ordnung integrierbar wäre“ (ebd. 235).

  43. 43.

    Vgl. auch: „Man kann sich […] fragen, ob irgendetwas in der Welt weniger bedingt ist als der Mensch, dem noch die letzte Sicherheit, die eine Grundlage böte, fehlt; ob insofern irgendetwas weniger ungerechtfertigt ist als die Bestreitung der menschlichen Bedingtheit und ob irgendetwas auf der Welt unmittelbarer unter seiner Entfremdung seine Nicht-Entfremdung verrät, seine Getrenntheit, […] die vielleicht das Anthropologische jenseits der Gattung Mensch definiert“ (Levinas 1998, 140).

  44. 44.

    Vgl. zum Verhältnis der Schriften sowie zur ‚verfehlten Begegnung‘ von Levinas und Sartre die Beiträge in Bedorf/Cremonini 2005.

  45. 45.

    Levinas kommentiert dies so: „Man hat das schon immer gewußt, indem man vom Geheimnis der Subjektivität sprach; aber dieses Geheimnis ist von Hegel ins Lächerliche gezogen worden: so zu sprechen, das war etwas für das romantische Denken“ (Levinas 1996, 60).

  46. 46.

    Vgl. auch Levinas’ Kritik der Hegelschen ‚Erkenntnis‘, „die im „absoluten Wissen“ (Levinas 1996, 50) die „Identität des Identischen mit dem Nicht-Identischen‘ feiert“ (ebd.) und darüber, so Levinas, die Andersheit des Anderen negiert.

  47. 47.

    Das bedeutet auch, dass Levinas nicht, wie Micha Brumlik nahe legt, davon ausgeht, dass „Menschen einander“ (Brumlik 2002, 19) – aufgrund der „menschliche[n] Gestalt“ (ebd.) bzw. des „menschliche[n] Leib[es]“ (ebd.) – „ohne jedes weitere Nachdenken anerkennen“ (ebd.). Vielmehr forciert Levinas, wie im Folgenden deutlich wird, mit seinen Überlegungen zum ‚Dritten‘ eine Auslegung von Anerkennung, in der das ‚Nach-Denken‘ mit dem Anerkennen unhintergehbar verbunden wie auch problematisch ist.

  48. 48.

    Levinas kommentiert diese Schreibweise so: „Ich schreibe sie in drei Wörtern, um das Heraustreten des Seins hervorzuheben, das mit ihr gemeint ist“ (Levinas 1996, 39).

  49. 49.

    Levinas’ Konzeption des Verhältnisses zwischen dem ‚ich‘ und dem Anderen steht insbesondere aufgrund der Annahme einer unüberwindlichen Asymmetrie sowie der Nicht-Reziprozität im Kontrast zu Martin Bubers Verständnis des Ich-Du-Verhältnisses. So kritisiert Levinas, der auf die Bedeutung Bubers für seine eigenen Schriften bisweilen hinweist (vgl. Levinas 1987a, 7), dass bei Buber „sofort die Reziprozität [kommt]“ (Levinas 1989, 136) und „[i]m Ich-Du-Verhältnis […] das Ich zum Du genau wie das Du zum Ich [steht]“ (ebd. 136f.; vgl. Levinas 1995, 133f.). Ein zentraler Unterschied zwischen der Philosophie Bubers und Levinas’ besteht zudem darin, dass Levinas nicht bei der Betrachtung der dyadischen ethischen Beziehung ‚innehält‘ (vgl. Engler 1995, 710), sondern gegen Bubers „Dualismus anfocht und nach den Brücken suchte, die die ‚intime Gemeinschaft‘ mit der ‚wirklichen Gesellschaft‘ verbinden“ (ebd.). Buber zahlte, so betont Wolfgang Engler, „für die geradezu ekstatische Aufwertung der mitmenschlichen Beziehung, der Dyade, einen hohen Preis“ (ebd.): „Je überschwänglicher er die ‚Du-Welt‘ feierte, desto niedriger und verwerflicher erschien ihm deren Gegenstück, die ‚Es-Welt‘. Jenseits der unmittelbaren Begegnung zweier Menschen begann das öde und bedrohliche Reich der Interessen, der Zwecke und Mittel, die banale ‚Abwicklung des Ereignisses‘ durch Institutionen, die ‚Krankheit‘ der Moderne“ (ebd.). Dagegen vermag Levinas unter der „begriffliche[n] Chiffre“ (ebd.) des Dritten der ‚wirklichen‘ Gesellschaft einen theoriesystematischen Ort zu geben; vgl. zum Verhältnis von Buber und Levinas Habbel 1994; Rütter 2000 wie Atterton u. a. 2004.

  50. 50.

    Levinas zitiert in der Erläuterung seiner zentralen Vorstellung von der „Asymmetrie der Subjektivität“ (Levinas 1995, 134) als „Ausnahmesituation des Ich“ (ebd.) verschiedentlich aus Dostojewskis Die Brüder Karamasow: „‚Wir sind alle verantwortlich für alles und alle, und ich noch mehr als die anderen‘“ (ebd.; vgl. ebd. 137).

  51. 51.

    Er erlaube sich kaum, so merkt Levinas verschiedentlich an, „das Wort ‚Beziehung‘ zu benutzen“ (Levinas 1989, 139) und führe es, wenn er es nicht vergesse, „in Anführungszeichen, weil ‚Beziehung‘ auf einem Grund des Ensembles, der Totalität steht; dort gibt es ‚Beziehungen‘“ (ebd.).

  52. 52.

    Zudem betont Levinas in Totalität und Unendlichkeit, dass Gerechtigkeit darin besteht, „im Anderen meinen Meister anzuerkennen“ (Levinas 1987a, 97) – sie „besagt: Jedem ist der Andere der Nächste. Sie erkennt seinen Vorrang, der ihm als Anderem zukommt, und seine Herrschaft an“ (ebd.) – und spricht überdies davon, dass der ‚Metaphysiker‘ das Andere „als Anderes anerkennt“ (ebd. 43).

  53. 53.

    Vgl. exemplarisch: „Der Tod macht jede Sorge, die sich das Ich um seine Existenz und um sein Schicksal machen wollte, unsinnig. Ein Unterfangen ohne Erfolg und immer lächerlich: nichts ist komischer als die Sorge, die sich ein Wesen, das der Zerstörung geweiht ist, um sich selbst macht“ (Levinas 1989, 81).

  54. 54.

    Burkhard Liebsch stellt daher heraus, dass Levinas‘ ‚Denken an den Anderen‘ sich denjenigen Beschreibungen des ‚Kampfes um Anerkennung‘ widersetzt, die suggerieren, dass es in diesem „nur um geltend gemachte Geltungsansprüche von Geltungssüchtigen“ (Liebsch 2005a, 219) ginge.

  55. 55.

    So betont z. B. Kelly Oliver, dass die Aufgabe der Subjektzentrierung bei Levinas zu einer „Zentrierung auf den Anderen“ (Oliver 2005, 190) führe, die „Opfer bis hin zum Selbstmord verlangt“ (ebd.). Bei Levinas stünden wir nur noch „vor der Alternative, den Anderen oder uns selbst zu töten“ (ebd.).

  56. 56.

    Vgl. auch: „Das Vergessen all jener ‚Verführungen‘ zur Thematisierung erschien mir als die einzige Weise, den Anderen als Anderen gelten zu lassen“ (Levinas 1985, 97).

  57. 57.

    Levinas bestimmt die Ethik auch als „das ursprüngliche Erwachen eines ‚Ich‘, das für den Anderen verantwortlich ist, der Aufstieg meiner Person in die Einmaligkeit des ‚Ich‘, das zur Verantwortung für den Anderen gerufen und erwählt ist“ (Levinas 2006, 175).

  58. 58.

    Vgl.: „Es stimmt, der Mord ist ein banales Faktum: Man kann den Anderen töten; die ethische Forderung ist keine ontologische Notwendigkeit. Das Verbot zu töten macht den Mord nicht unmöglich, selbst wenn die Autorität des Verbotenen im schlechten Gewissen über das vollbrachte Böse erhalten bleibt“ (Levinas 1996, 65f.).

  59. 59.

    Dies übersieht auch Uwe Justus Wenzel in seiner bereits erwähnten Auseinandersetzung mit Levinas’ in Totalität und Unendlichkeit entfalteter Kritik des (Hegelschen) Anerkennungsprinzips. So betont Wenzel, dass einerseits „eine Theorie, die schlechterdings jede Reziprozität aus dem Fundament interpersonaler Relationen verbannen will, Mühe haben wird, dafür überzeugende Gründe zu finden“ (Wenzel 1996, 226), denn es gebe „keine interpersonalen Relationen ohne ein Minimum von Wechselseitigkeit“ (ebd. 223). Andererseits erfasse „die Rede von der Asymmetrie […] das Phänomen der genuin moralischen Beziehung in allen seinen Komponenten“ (ebd. 222) nicht: „Asymmetrisch im Sinne strikter Unumkehrbarkeit kann stets bloß etwas an einer interpersonalen Relation sein, nicht aber diese selbst bzw. im ganzen“ (ebd. 223), denn dies „käme ihrer Zerstörung gleich“ (ebd.). Auch wenn ‚ich‘ „dem anderen Menschen, dessen ‚Antlitz‘ mich sozusagen gefangennimmt, […] nicht meinerseits [entgegne] (zumindest normalerweise nicht), auch er sei mir etwas schuldig“ (ebd. 222), sei „solche Begegnung nicht ohne Entgegnung“ (ebd.). Bei Levinas geht aber es, so wird deutlich, nimmt man seine Ausführungen zum Dritten in den Blick, „gar nicht um die in der Tat absurde Behauptung, daß der Eine mit dem Anderen kommuniziert, ohne daß wiederum der Andere mit ihm kommunizieren würde, sondern darum, daß ich diese Wechselseitigkeit nicht in einem Sinn versammeln und vereinheitlichen kann“ (Gürtler 2001, 30).

  60. 60.

    Robert Bernasconi ist zuzustimmen, wenn er Versuche, alle Äußerungen Levinas’ zum Dritten sowie zur Gerechtigkeit „in Einklang bringen zu wollen“ (Bernasconi 1998, 87), als ein „nutzloses Unterfangen“ (ebd.) bezeichnet. Dabei wird im Folgenden deutlich, dass Levinas’ uneinheitliche Verwendung der Begriffe Verantwortung und Gerechtigkeit auch einen systematischen Grund hat.

  61. 61.

    Zu Levinas’ in der Rezeption lange Zeit vernachlässigten Figur des ‚Dritten‘ vgl. Habbel 1994; Delhom 2000; Waldenfels 1994, 293ff.; Bernasconi 1998 sowie Bedorf 2003, 2005a, 2005b, 2007 wie 2010. Darauf, dass die Kategorie des ‚Dritten‘ als Paradigma der Kulturwissenschaften seit einigen Jahren insgesamt eine Konjunktur erfahren hat, sei hingewiesen; vgl. für Überblicke zum Forschungsfeld und zur Figur des Dritten Fischer 2000 wie Eßlinger u. a. 2010. Betont sei zudem, dass Thomas Bedorf, dessen Arbeiten die folgenden Auseinandersetzungen mit Levinas wertvolle Hinweise und Anregungen verdanken, in seinen Studien zu Dimensionen des Dritten (2003) die Möglichkeit eines anerkennungstheoretischen Modells des Dritten ausdrücklich zurückweist – der Dritte sei „eine Figur […], die nicht anerkennungstheoretisch zu fassen ist“ (Bedorf 2003, 16) –, um aber bereits 2004 anzumerken, dass sich Anerkennungstheorien „durchaus nicht auf einen Dialogismus reduzieren“ (Bedorf 2004, 993) lassen und dies schließlich in seiner Studie zur Verkennenden Anerkennung (2010) zu verdeutlichen.

  62. 62.

    Dies ist auch der Grund dafür, dass Levinas den Begriff der Gerechtigkeit vorrangig im Kontext des Dritten verwendet: Er sei „viel eher dort am Platze, wo nicht meine ‚Unterordnung‘ unter den Anderen nötig ist“ (Levinas 1985, 101).

  63. 63.

    Hinsichtlich der Unterscheidung von Reziprozität und Asymmetrie hilfreich ist die Erläuterung von Uwe Justus Wenzel zum Terminus ‚Reziprozität‘: „Reciprocus ist zusammengesetzt aus recus und procus: rückwärts und vorwärts, bedeutet also in etwa ‚auf demselben Wege zurückkehrend‘. Auf demselben Wege – nicht notwendig in derselben Weise: nicht im gleichen Maße, nicht notwendig im Maß(stab): metron, übereinstimmend“ (Wenzel 1996, 223). Dabei betont Wenzel, jedoch gegen Levinas’ Kritik des Anerkennungsprinzips und im Bezug auf Hegels Anerkennungslehre: „Entscheidend ist, daß [bei Hegel; N.B.] die Wechselseitigkeit wesentlich eine Wechselseitigkeit von Asymmetrien konstituiert, durch welche diese Asymmetrien nicht etwa ‚aufgehoben‘ würden. Sie werden vielmehr verdoppelt (resp. vervielfacht)“ (ebd.). Wechselseitig sei bei Hegel „die Relation nur insofern, als die Individuen beider- und wechselseitig die Asymmetrie ihrer Beziehung(en) anerkennen: dies nämlich anerkennen, daß sie in ihrer subjektiven Freiheit differente Individuen sind. Gleich sind sie nur darin und dadurch, daß sie einander als Ungleiche, Differierende wahrnehmen – und affirmieren“ (ebd.). Auch Ricœur stellt in seinen Studien zu Wegen der Anerkennung heraus, dass die „orginäre[.] Asymmetrie zwischen dem Ich und dem anderen […] von der Gegenseitigkeit als Wechselseitigkeit nicht aufgehoben wird“ (Ricœur 2006, 321). Dabei kontrastiert er die Vorstellung der Wechselseitigkeit von Anerkennung mit der Einseitigkeit der Gabe und betont, dass, wenn „die Asymmetrie im Verhältnis des Ich zum anderen“ (ebd. 323) vergessen würde, „dies das letzte Verkennen innerhalb der konkreten Anerkennungserfahrungen“ (ebd.) wäre; vgl. zum Zusammenhang von ‚Gabe‘ und ‚Anerkennung‘ auch Bedorf 2010, 159ff.

  64. 64.

    Hinsichtlich der Verwendung des Wortes ‚Liebe‘ ist Levinas unentschieden, versteht er doch die „Verantwortung für den Nächsten“ (Levinas 1995, 132) auch als „ernstere[n] Ausdruck für das, was man Nächstenliebe nennt, Liebe ohne Eros, caritas, Liebe, in der das ethische Moment das leidenschaftliche dominiert, Liebe ohne Begehrlichkeit“ (ebd.), um aber zugleich zu bekräftigen, dass er „[d]as Wort ‚Liebe‘ […] nicht so sehr [mag]“ (ebd.), denn es sei „so abgegriffen und mißbraucht“ (ebd.); vgl. auch: „[D]ie Verantwortung für die Anderen [kann] unter keinen Umständen bedeuten […]: Wille zum Altruismus, Antrieb aus ‚natürlichem Wohlwollen‘ oder Liebe“ (Levinas 1998, 247).

  65. 65.

    Derrida umschreibt die Notwendigkeit des Treuebruchs daher auch als „Fatalität des doppelten Zwangs“ (Derrida 1999, 52) sowie als „double bind“ (ebd.).

  66. 66.

    Levinas spricht selber auch von „antagonistische[n] Kräfte[n]“ (Levinas 1998, 347).

  67. 67.

    Man muss, so Levinas, „[u]m das ‚Gesicht‘ des Anderen zu sehen und zu erkennen, […] schon hinter seine Maske schauen“ (Levinas 2006, 173).

  68. 68.

    Vgl. auch: „Wer sich nur als er selbst äußern würde, wäre wie jemand, der in einer Privatsprache mit anderen spräche; er gliche einem politischen Repräsentanten, der nur sich selbst verträte“ (Waldenfels 1997, 117).

  69. 69.

    Düttmann betont jedoch hinsichtlich des un-bedingten Anerkennens zu Recht die „Nachträglichkeit des Erkennens“ (Düttmann 1997, 210): „In dem Maße […], in dem sich das un-bedingte Anerkennen stets bereits über allen Zweifel erhebt, vermag Anerkenntnis nicht das Resultat einer Reflexion zu sein, eines kognitiven, die Wahrheit erschließenden Akts. Der Erkenntnis (dem Wiedererkennen) ist sie […] nie vollständig zugänglich“ (ebd. 208f.); vgl. auch: „So wie sie sich dem (Wieder-)Erkennen entzieht und das prinzipielle, unzweifelhafte Unrecht des Anerkennenden nicht ohne weiteres und nicht unzweifelhaft einsichtig ist, so widersteht die Un-bedingtheit des Anerkennens eines anderen, die im bedingungslosen Anerkennen des eigenen Unrechts zum Ausdruck kommt, auch ihrer Rationalisierung“ (ebd. 209).

  70. 70.

    Bedorf betont zwar, dass „‚menschliches‘ und ‚unmenschliches Verhalten‘ zwei Handlungsoptionen [sind], die zur Verfügung stehen“ (Bedorf 2010, 144), lässt aber offen, „was hier ‚menschlich‘ oder ‚unmenschlich‘ heißt“ (ebd.) und entscheidet insofern nicht darüber, wann Antworten als moralisch oder unmoralisch zu bewerten sind.

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Balzer, N. (2014). Die Spur des Anderen: Zum Zusammenhang von Verkennen und Anerkennen (Emmanuel Levinas). In: Spuren der Anerkennung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_5

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