Zusammenfassung
Was tun eigentlich die (Sozial-)Wissenschaften? Die Arten, Wissen zu schaffen, unterscheiden sich innerhalb der verschiedenen Zweige der Wissenschaft. Alle Disziplinen jedoch schaffen Wissen durch die Verwendung geeigneter, aber mitunter verschiedener Methoden. Der vorliegende Beitrag gibt eine Einführung in das an die Naturwissenschaft angelehnte Wissenschaftsverständnis quantitativer Sozialforschung und ihrer Methoden. Es wird erklärt, welchen Nutzen quantitative Verfahren bei der Untersuchung sozialwissenschaftlicher Fragestellungen und beim Testen von Hypothesen bieten. Darüber hinaus erfolgt eine Übersicht über verschiedene Arten quantitativer Forschung sowie die jeweilige Forschungsinfrastruktur. Der Beitrag schließt mit zwei Anwendungsbeispielen, nämlich Abschlussarbeiten im Bachelorstudiengang Integrierte Europastudien an der Universität Bremen.
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Notes
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Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern dürfte nicht entgangen sein, dass der Begriff Wahrheit bzw. wahr bereits in dieser kurzen Einleitung verschiedentlich gebraucht wird, ohne genauer zu erläutern, was diese Wahrheit eigentlich genau definiert. Der Grund hierfür ist einfach: Es gibt gegenwärtig nach Kenntnis des Verfassers keinen allgemein, d. h. über verschiedene Disziplinen hinweg akzeptierten Wahrheitsbegriff.
- 2.
Erreichbar unter der Homepage des Studienganges Integrierte Europastudien: http://www.kultost.uni-bremen.de/ies, zugegriffen: 12.01.2014.
- 3.
Bei quantitativen Beobachtungen kann etwa die Zeit, die eine Person mit einer bestimmten Aktivität verbringt, gemessen und dann mit anderen Variablen in Beziehung gesetzt werden.
- 4.
William Thompson (Lord Kelvin), Lecture on Electrical Units of Measurement (3 May 1883); mitunter wird dieses Zitat zusammengefasst als to measure is to know oder science is measurement (allerdings ohne dass diese Versionen nach Wissen des Verfassers verifizierbar wären).
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Generell ist das Problem der nicht zufälligen Aufteilung von Individuen in bestimmte Gruppen als Selbst-Selektion bekannt. Ein Großteil der Verfahren der statistischen Datenanalyse versucht, dieses Problem zu behandeln. Einer breiteren akademischen bzw. sozialwissenschaftlichen Öffentlichkeit wurde dies durch die Verleihung des Nobelpreises für Ökonomie an James Heckman bekannt, der für seine Beiträge zur Modellierung von Selbst-Selektion geehrt wurde.
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Ein auch einer breiteren Öffentlichkeit bekanntes Beispiel stellen die Untersuchungen zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt dar. Hierbei werden verschiedene Merkmale einer Bewerbung (Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, Studiengang, Studiendauer, Note etc.) systematisch variiert und ihr jeweiliger Effekt z. B. auf die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch quantifiziert.
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Zu nennen wären hier u. a. Political Analysis, American Journal of Political Science, American Political Science Review, Journal of Politics sowie British Journal of Political Science. Die Bedeutung von wissenschaftlichen Zeitschriften wird häufig quantitativ über den sog. Impact Factor bzw. über eine der Varianten hiervon ermittelt. Dieser misst, wie oft Aufsätze dieser Zeitschrift im Mittel in anderen Publikationen zitiert werden. Häufige Zitationen gelten als Indikator für eine große Bedeutung. Veröffentlicht eine Zeitschrift viele solcher Aufsätze, so gilt sie innerhalb einer Disziplin als einflussreich. Die oben genannten Zeitschriften gehören qua Impact Factor zu den einflussreichsten der Politikwissenschaft.
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Der Begriff der Repräsentativität spielt in der Sozialwissenschaft eine deutlich geringere Rolle als häufig angenommen wird. Keine (!) Stichprobe ist jemals repräsentativ, in dem Sinne, dass sie die Grundgesamtheit vollständig abbildet. Das muss sie auch nicht sein. Es genügt, wenn sie zufällig gezogen ist, dann kann nämlich die Genauigkeit, mit der Werte aus der Stichprobe auf die Grundgesamtheit generalisierbar sind, abgeschätzt werden. Aus diesem Grund sind auch die mitunter sehr großen Fallzahlen etwa bei Onlinebefragungen für die Qualität einer Studie weniger beeindruckend als vielmehr mitleiderregend, da sie eine fundamentale Unkenntnis dieses Zusammenhangs nahe legen.
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Dieses Zitat wird häufig Winston Churchill zugeschrieben, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach aber nie von ihm gesagt; mithin ist das Zitat selbst falsch, siehe Barke (2004).
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Als kalte Fusion bezeichnet man Kernfusionen bei niedriger Temperatur. Dieses Verfahren wäre zur Energiegewinnung außerordentlich bedeutsam. Die Chemiker Pons und Fleischmann meinten, ein solches Verfahren experimentell nachgewiesen zu haben, es stellte sich jedoch später, nach vielen gescheiterten Versuchen, ihr Experiment zu reproduzieren, heraus, dass ihr vermeintlicher Erfolg auf einer fehlerhaften experimentellen Anordnung beruhte.
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Wissenschaftliches Fehlverhaltens ist nicht auf Europa beschränkt: unvollständige weitere Beispiele sind etwa der amerikanische Evolutionsbiologe Marc Hauser (Harvard, USA) oder der südkoreanische Stammzellenforscher Hwang Woo-Suk. Auch sind Datenfälschungen nicht auf Männer beschränkt, siehe Silvia Bulfone Paus (Medizin) oder Milena Penkova (Neurowissenschaften). Sehr gute Betrachtungen zu den möglichen Konsequenzen aus diesen Skandalen finden sich bei Wicherts und van Assen (2012) sowie insbesondere bei Yong (2012).
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Man unterscheidet Primär- und Sekundäranalysen. Bei Primäranalysen werden Daten selbst gesammelt und analysiert, bei Sekundäranalysen werden bereits existierende Datensätze (erneut) untersucht.
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Für Deutschland wären z. B. Methoden, Daten, Analysen und international Sociological Methodology, Sociological Methods and Research, Quality and Quantity sowie Political Analysis zu nennen.
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Gattig, A. (2015). Quantitative Methoden in den interdisziplinären Europastudien. In: Liebert, U., Wolff, J. (eds) Interdisziplinäre Europastudien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03620-1_21
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