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Staatszentrierte Entwicklung oder Rahmen der produktiven Welt? Die Gründungsjahre der Republik

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Vom Mythos des starken Staates und der europäischen Integration der Türkei

Part of the book series: Globale Politische Ökonomie ((GPÖ))

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Zusammenfassung

Die Frage, warum und in wessen Interesse die Türkei der EU beitreten möchte, erfordert einen Blick auf den historischen Wandel der ökonomischen und politischen Kräfteverhältnisse in der Türkei. Denn als politische Praxis ist dieses Bestreben ebenso kontingent, wie die Interessen, die dem zugrunde liegen. Sie kann nicht ahistorisch beantwortet werden, zumindest nicht ohne orientalistisch-essenzialistische Deutungsmuster – namentlich den Staatsmythos – zu reproduzieren.

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Notes

  1. 1.

    Die hieran anschließenden Absätze bis Abschn. 3.1 beruhen wesentlich auf einem gemeinsamen Artikel mit Errol Babacan (Babacan/Gehring, 2013, 204–206).

  2. 2.

    Trotz der dominant männlichen Struktur des Handels hatte es sehr wohl auch Frauen gegeben, die ökonomisch auf diesem Feld aktiv waren, beziehungsweise Männer die als Strohmänner für im Hintergrund wirkende Frauen agierten. Dies rechtfertigt eine geschlechtergerechte Schreibweise. Für die jungtürkische Bewegung (s. u.), die männerbündisch vorwiegend in Militär- und Verwaltungsstrukturen wirkte, in denen der Zugang für Frauen beschränkt war, ist sie nicht angebracht – auch wenn sich Frauen mit deren Zielen identifiziert haben mochten.

  3. 3.

    Zur weltpolitischen Lage der Kolonialmächte nach 1918 siehe Darwin, 2010, 359 ff.

  4. 4.

    Die Verpflichtung zu moderaten Zollsätzen war durch den Kongress von İzmir bereits antizipiert worden. Diese Antizipation reflektierte sowohl die Notwendigkeit eines Ausgleiches mit den Mächten der Triple-Entente als auch die ökonomischen Interessen der Handelsbourgeoisie und der Großagrarier, die kein Interesse an Protektionismus hatten. Ebenso reflektierte sie das politische Interesse der Unabhängigkeitsbewegung an Nationaler Entwicklung durch Integration in den Weltmarkt.

  5. 5.

    Im Osmanischen Reich hatte es ursprünglich keine Einheit von Sultanat und Kalifat gegeben. Sie war erst 1774 eingeführt worden, als größere muslimische Gebiete nicht mehr unter der Herrschaft des Reiches und damit des Sultans standen. Durch das Kalifat sollte der Herrschaftsanspruch auf einer symbolpolitisch-religiösen Ebene fortgeführt werden.

  6. 6.

    Unter Sultan Abdülhamit II waren im kurdischen Osten die religiösen Autoritäten gestärkt worden, was zugleich mit einer de facto Stärkung der lokalen kurdischen Autonomie einhergegangen war. Von einer Reaktion auf eine Politik der Türkisierung kann insofern nicht ausgegangen werden, als dass sich diese zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, geschweige denn wirksam konstituiert hatte. Zwar sollte mit dem Aufstand die Errichtung eines autonomen kurdischen Staates erzielt werden, wie in den Artikel 62, 63 und 65 des Vertrages von Sèvres vereinbart, der durch den Vertrag von Lausanne obsolet geworden war (vgl. Küçük, 2007, 129). Ein autonomer kurdischer Staat war jedoch nicht im Misak-Milli dem Ziel des nationalen Unabhängigkeitskampfes vereinbart gewesen, der ein türkischer und kurdischer Kampf gewesen war. Erst nach Auflösung des Kalifats brach die Rebellion los, die zudem von alevitischen Kurden nicht unterstützt worden war.

  7. 7.

    Das Experiment der (erneuten) Gründung einer zweiten Partei, der Serbest Halk Fırkası (Freie Republikanische Partei) welche mit ihrer liberalen freihändlerischen Programmatik in Kontinuität zur Fortschrittlichen Republikanischen Partei stand, wurde von der republikanischen Führung im Spätherbst 1930 wieder verworfen (vgl. Zürcher, 2004a, 179). Obwohl sie innerhalb der unzufriedenen Landbevölkerung eine signifikante Unterstützung erfahren hatte, war das Projekt einer zweiten Partei letztlich am grundlegend geänderten Kräfteverhältnis innerhalb des herrschenden republikanischen Klassenbündnisses gescheitert: Freihändlerischer Liberalismus war geschwächt worden, während das etatistische Paradigma immer gezielter forciert wurde.

  8. 8.

    Kienitz (1959, 138 f.) betont die besondere Bedeutung der indirekten Besteuerung für die Staatseinnahmen auch als Distinktionsmerkmal von den Besteuerungssystemen des damaligen Europas, wo direkte Steuern eine weitaus größere Rolle spielten. Dies führte dazu, dass in der Republik Türkei die Hauptlast der Besteuerung auf der bäuerlichen Bevölkerung und den Kleingewerbetreibenden lag, da auch Grundbedarfsgüter besteuert wurden.

  9. 9.

    Auch in Folge der Schriftreform, die das Osmanische außer Kraft gesetzt hatte, betrug der Analphabetismus im Jahr 1927 landesweit 90 %, in einigen östlichen Provinzen lag sie bei 99 % der männlichen und nahezu 100 % der weiblichen Bevölkerung (vgl. Kienitz, 1959, 59 f.).

  10. 10.

    Dennoch stieg der Gewinnanteil der Privatindustrie am Volkseinkommen durch das überproportionale Industriewachstum im Zeitraum 1932 bis 1939 von 26,2 auf 35,8 % (vgl. Boratav, 1987, 60).

  11. 11.

    Dazu Savran (2002, 9) prägnant: “The obverse side of this triumphant march of capitalism is the reconciliation of the Kemalist leadership with predeluvian forms of capital and the precapitalist ruling classes, i.e. the large landowning classes and local notables in the West and the tribal and religious leadership of Kurdish society in the East. Not having the slightest confidence in the large masses of the poor peasantry and actively suppressing political movements that claimed allegiance to the working class, the Kemalist leadership had to lean back on the landowners and tribal leaders, who, for fear of losing their property to the Greeks and Armenians, supported the National Struggle and, thereby rather grudgingly, the bourgeois revolution.”

  12. 12.

    Anders formuliert: Mardins Postulat bleibt auf der phänomenologischen Ebene – d. h. einer Kritik (kemalistischer) passiver Revolution als Form (bürokratischer) autoritärer Modernisierung aus dem Zentrum heraus – stehen (vgl. Mardin, 1978). Es fragt nicht, welche Klassenkräfte das Projekt getragen haben und wendet sich sogar explizit gegen die Thematisierung von Klassenverhältnissen, obwohl das kemalistische Projekt als Projekt der Klassenformation konzipiert war (vgl. kritisch Yalman, 2009, 171).

  13. 13.

    In der Industrieproduktion belief sich der Rückgang zwischen 1940 und 1945 auf 5,6 %, in der Agrarproduktion auf 7,2 % und insgesamt schrumpfte das Bruttosozialprodukt um 6,3 % (vgl. Boratav, 1987, 67).

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Gehring, A. (2019). Staatszentrierte Entwicklung oder Rahmen der produktiven Welt? Die Gründungsjahre der Republik. In: Vom Mythos des starken Staates und der europäischen Integration der Türkei . Globale Politische Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24572-6_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-24572-6_3

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-24571-9

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