Zusammenfassung
Erziehung als Grundbegriff der Erziehungswissenschaft ist bisher kaum zum Gegenstand der Unterrichtsforschung geworden. Der Beitrag stellt an einem empirischen Beispiel einer Situation im Klassenrat vor, wie Erziehung in Lehrer-Schüler-Interaktionen rekonstruiert werden kann. Der Erziehungsbegriff wird in Anlehnung an Nohl als „Zumutung von Handlungs- und Lebensorientierungen“ sozialwissenschaftlich reformuliert und damit für eine wissenssoziologisch fundierte Unterrichtsforschung mit der Dokumentarischen Methode anschlussfähig gemacht. In der spezifischen Situation des Klassenrats können unterschiedliche, sich überlagernde Erziehungszumutungen der Organisation Schule, der anwesenden Lehrperson und der Schüler*innen als Ko-Erziehende rekonstruiert werden, die teilweise mit peerkulturellen Orientierungen in Konflikt stehen. In der Lehrer-Schüler-Interaktion wird Erziehung auch in einer spezifischen Zeitlichkeit beobachtbar: Zum einen als aktuelle bzw. aktualisierte Zumutungen, die situativ artikuliert und prozessiert werden, zum anderen als Zumutungen, die von den Schüler*innen bereits habitualisiert wurden und als bestimmte, organisationsspezifische Formen des Erzogen-Seins beobachtbar sind.
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Asbrand, B., Martens, M. (2020). Erziehung in Lehrer-Schüler-Interaktionen. In: Nohl, AM. (eds) Rekonstruktive Erziehungsforschung. Rekonstruktive Bildungsforschung, vol 20. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28126-7_10
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