Zusammenfassung
Die ersten Monate des Jahres 1889 standen vollständig unter dem Banne des Namens „Boulanger“. Mit seinem Schagwort „Verfassungsrevision“gewann er alle Ehrgeizigen, alle Unzufriedenen und alle Dummköpfe. Nach den Grundzügen seiner Verfassungsrevision sollte die Kammer aufgelöst, eine konstituierende Versammlung einberufen, eine neue Verfassung eingeführt, Senat und Präsidentschaft abgeschafft und ein allmächtiger Konvent eingesetzt warden. Gegenüber der „parlamentarischen Republik“, welche von der Regierung und der Kammermehrheit vertreten war, sprach er von der „nationalen Republik“, ohne sich auf eine scharfe Definition derselben einzulassen, bezeichnete sich felbst als den Soldaten, als die Verkörperung derselben und trat überall, wo er sprach, im Namen des französischen Volkes auf. Er ahmte bereits den napoleonischen Stil nach. Einem solchen Treiben war das Ministerium Floquet und zwar besonders Floquet selbst nicht gewachsen. Als Mitglied der radikalen Partei konnte er die radikalen Phrasen, mit denen Boulanger um sich warf, nicht verdammen, konnte nicht die Verfassungsrevision als den Anfang vom Ende der französischen Republik brandmarken und glaubte, dem Stoß dadurch ausweichen zu können, daß er, wie wir im Jahrbuch 1888 (Seite 276) gesehen haben, selbst die Vorlage einer Verfassungsrevision einbrachte. Da aber diese sich fast nur mit dem Senat beschäftigte und dessen Befugnisse beschränkte, so konnte Floquet niemand damit befriedigen, selbst nicht seine eigene Partei und die gemäßigten Republikaner, geschweige die Boulangisten und Monarchisten. Um der Gefahr eines Staatsstreichs vorzubeugen, brauchte es ein entschiedeneres Ministerium, ein solches, das gegen Boulanger soweit vorging, als es gesetzmäßig überhaupt möglich war, im Gedanken, daß es keine andere Wahl habe, als Boulanger am Schopf zu packen oder selbst von ihm dieses Schicksal zu erleiden. Es mußte den Mut haben, seinen Kopf zu riskieren; je mehr es wagte, desto sicherer war sein Sieg.
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Müller, W. (1890). Frankreich. In: Politische Geschichte der Gegenwart. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-36389-8_5
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